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Vor dem 6. Strafsenat des Kammergerichts Berlin findet derzeit der Prozess wegen Landesverrats statt.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Angeklagter im BND-Prozess sagt aus: „Die Russen wussten alles über mich“

Ein BND-Mitarbeiter soll Staatsgeheimnisse an Russland verraten haben. Im Prozess schilderte der Mitangeklagte, wie ihm ein russischer Geheimdienstler indirekt mit der Waffe drohte.

Der Angeklagte sitzt in lockerer Haltung vor der Richterbank. Sein Schädel ist glattrasiert, er trägt einen schwarzen Pullover, eine schwarze Hose und Turnschuhe. Der 32-Jährige spricht fast beiläufig. Für das Publikum im Saal des Berliner Kammergerichts ist er gelegentlich schwer zu verstehen, was allerdings nicht unbedingt an seinem leichten russischen Akzent liegt.

Die scheinbare Gelassenheit des Angeklagten steht in einem seltsamen Widerspruch zu dem, worum es in diesem Verfahren geht. Arthur E. muss sich wegen schweren Landesverrats verantworten. Es handelt sich um einen der spektakulärsten Spionageprozesse der vergangenen Jahre.

Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, gemeinsam mit dem BND-Mitarbeiter Carsten L. Staatsgeheimnisse an Russland verraten zu haben. Im Fall einer Verurteilung drohen ihnen mindestens fünf Jahre Haft, schlimmstenfalls kann eine lebenslange Strafe verhängt werden.

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Arthur E. ist eine schillernde Figur. Als Beruf gibt er vor Gericht „Unternehmer“ an. Er handelt mit Edelmetallen und Diamanten und ist oft in Afrika unterwegs. Innerhalb weniger Monate fliegt er zudem nach Dubai, Monaco, Russland und in die USA.

Der Angeklagte sagt bereitwillig und detailreich aus

Vor Gericht sagt Arthur E. bereitwillig aus. Als er am Mittwoch mit seinem Statement beginnt, liest er nicht etwa ein vorbereitetes Papier ab, sondern spricht frei. Er erzählt chronologisch und detailgenau von seinen Treffen mit Carsten L. und von drei Reisen nach Moskau. Der Russlanddeutsche, der aus der Region Wolgograd stammt und als Kind nach Deutschland kam, soll als eine Art Kurier gedient haben.

Die Anklage wirft ihm vor, im Jahr 2022 geheime Dokumente von Carsten L. entgegengenommen, mit seinem Handy abfotografiert und in Moskau an Mitarbeiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB übergeben zu haben. Im Gegenzug soll er Umschläge mit Bargeld zurück nach Deutschland gebracht haben.

Wenn man der Aussage von Arthur E. glaubt, dann hätten sich die beiden Männer, die nun auf der Anklagebank sitzen, am Vatertag 2021 auf einem Fest in einer bayerischen Kleinstadt kennengelernt. Doch sollte dies wirklich nur ein Zufall gewesen sein? Ob Carsten L. gesagt habe, dass er beim BND arbeite, will der Vorsitzende Richter Detlev Schmidt am Donnerstag wissen. „Das wurde am Rande angesprochen, aber jetzt nicht vertieft“, antwortet Arthur E. Später hätten sie sich „sozusagen angefreundet“.

Eine Schlüsselrolle in diesem Spionagekrimi spielt der russische Geschäftsmann Visa M., den Arthur E. offenbar länger kennt. Dem Russen sollte Carsten L. anfangs helfen, einen dauerhaften Aufenthaltsstatus in Deutschland zu erhalten – eine scheinbar harmlose Bitte.

Ich hab diese Zettel genommen, abfotografiert und bin am selben Tag noch nach Moskau geflogen.

Arthur E., Angeklagter im BND-Prozess

Bei einem Treffen im September in Starnberg war Visa M. dabei. Er war es, der den Kontakt zum FSB herstellte und die Russland-Reisen von Arthur E. organisierte. Ansonsten ist über den Geschäftsmann wenig bekannt. Seine Frau gilt als eine der reichsten Russinnen.

Kurz nach dem Treffen mit Visa M. habe ihn Carsten L. angerufen, sagt Arthur E. vor Gericht. „Da ging es darum, er hätte was für Russland.“ Er fuhr nach Pullach und traf sich in seinem Auto mit Carsten L., der Dokumente dabeihatte. „Da bin ich hin, hab diese Zettel genommen, abfotografiert und bin am selben Tag noch nach Moskau geflogen.“

In der Schilderung von Arthur E., die sonst so detailreich ist, bleibt alles, was in Russland passiert sein soll, seltsam unscharf. Am Mittwoch, dem ersten Tag seiner Aussage, erwähnt er nicht ein einziges Mal den russischen Geheimdienst. Auch die Decknamen seiner Kontaktpersonen vom FSB nennt er zunächst nicht, erst auf Nachfrage gibt er an, sie hätten sich „Pawel“ und „Gassan“ (offenbar die russische Version des Namens Hassan) genannt.

Die beiden Angeklagten trafen sich in der Nähe des BND-Geländes in Pullach.

© picture alliance / dpa/Stephan Jansen

Zugleich behauptet er, sie seien von dem übergebenen Material „nicht wirklich beeindruckt“ gewesen, sondern hätten sich mehr für die Person interessiert, von der die Dokumente kamen. Andererseits berichtet er, nach seinem ersten Besuch in Moskau Anrufe aus Moskau erhalten zu haben, „dass man mehr solche Listen haben wollte“.

Fragen zu westlichen Waffensysteme in der Ukraine

Die beiden FSB-Mitarbeiter übergeben ihm seiner Aussage zufolge außerdem eine Liste mit Fragen, zu denen sie mehr Informationen wollen. Dabei sei es ausschließlich um den Krieg in der Ukraine gegangen. Die Russen interessieren sich insbesondere für die dort eingesetzten westlichen Waffensysteme.

Arthur E. sagt vor Gericht aus, der BND-Mann Carsten L. und er seien zu dem Schluss gekommen, dass „diese Fragerei“ weit über das Ziel hinausschieße. Doch sie hätten die Russen nicht verärgern wollen und daher „gegoogelt, was so im Internet steht“. So hätten sie die Fragen teilweise beantwortet.

Die wussten alles über mich, woher ich komme, wo meine Eltern wohnen, wo meine Schwiegereltern wohnen.

Arthur E.

Erst auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters und am zweiten Tag der Aussage wird Arthur E. etwas konkreter. Nun gibt er zu, dass sich seine russischen Gesprächspartner schon während seines ersten Moskau-Besuchs als FSB-Mitarbeiter zu erkennen gaben.

Bei einem Treffen im VIP-Raum eines Moskauer Restaurants hätten die beiden immer wieder wissen wollen, von wem er die Dokumente habe. „In dem Moment haben sie meine Familiengeschichte komplett runtergelesen. Die wussten alles über mich, woher ich komme, wo meine Eltern wohnen, wo meine Schwiegereltern wohnen.“

Der FSB-Mann zeigte demonstrativ seine Waffe

Als der Mann, der sich „Pawel“ nannte, das Papier hervorholte, auf dem die Informationen über die Familie von Arthur E. standen, sah dieser kurz die Waffe des FSB-Mannes. Das Papier habe neben der Waffe gesteckt. Vor Gericht sagt der Angeklagte, er habe „keinen Stress mit den Russen“ haben wollen, seine Familie lebe ja dort. Deswegen hätten sie die Beantwortung der Fragen nicht verweigert, sondern mit Hilfe des Internets erledigt.

An einer anderen Stelle bleibt die Aussage des Angeklagten bis zum Schluss vage. Er berichtet zwar, dass die FSB-Männer ihm einschärften, die Umschläge, die sie ihm mitgaben, müssten bei Carsten L. ankommen, das solle er garantieren.

400.000 
Euro erhielt Arthur E. nach Angaben der Bundesanwaltschaft mindestens aus Russland.

Aber unerwähnt lässt er, dass in diesen Umschlägen eine sechsstellige Bargeldsumme steckte und dass auch er vom FSB für seine Dienste entlohnt worden sein müsste. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft erhielt Carsten L. aus Russland mindestens 450.000 Euro und Arthur E. mindestens 400.000 Euro.

Am Flughafen München sollen drei BND-Mitarbeiter Arthur E. am Zoll vorbeigeschleust haben, so dass das Geld nicht entdeckt wurde. Offiziell war der BND auf Betreiben von Carsten L. in der Zeit dabei, den gut vernetzten Afrika-Reisenden Arthur E. für eine Mitarbeit anzuwerben – als „NDV“ (nachrichtendienstliche Verwendung), wie dies beim BND genannt wird. Unter diesem Deckmantel konnte Carsten L. offenbar BND-Kollegen für seine Zwecke einspannen.

Zu den skurrileren Anekdoten aus diesem Prozess gehört, dass Carsten L. unmittelbar nach der Rückkehr von Arthur E. mit den Geld-Umschlägen spontan beschlossen haben soll, dem Beispiel des anderen zu folgen und der Degussa-Bank in München einen Besuch abzustatten. „Er wollte noch Goldmünzen kaufen.“

Der Landesverrats-Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt, ein Urteil wird frühestens im Juli erwartet.

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