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Gil Ofarim vor dem Landgericht in Leipzig.

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Antisemitismus und der Fall Ofarim: Zweifel müssen wieder möglich werden

Mit dem jüdischen Sänger steht auch eine politische Kultur vor Gericht, für die das richtige Urteil nur ein schnelles Urteil sein kann.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Es sind denkbar schwierige Zeiten, um Vorfälle, in denen Antisemitismus eine Rolle spielen könnte, nicht sogleich scharf zu verurteilen. Auch, wenn es sich um nicht mehr handelt als einen Verdacht. Zögern oder Bedenken werden vielfach nicht als Unsicherheit ausgelegt, sondern als Indiz für stille Kumpanei.

Es sind auch denkbar schwierige Zeiten, um einen Fall wie den des jüdischen Musikers Gil Ofarim zu betrachten, der seit Dienstag in Leipzig vor Gericht steht. Denn da es um Falschaussagen, falsche Verdächtigung und einen Davidstern geht, läuft jedes Wort Gefahr, giftige antisemitische Bilder zu beschwören. Das Internet ist voll davon.

Dennoch liegt in diesen Dilemmata das Problem, das am Geschehen um Ofarim in mikroskopischer Schärfe sichtbar wird: das Problem des vorschnellen Urteils.

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Ofarim hat als unschuldig zu gelten, bis seine Schuld gerichtsfest erwiesen ist. Ein wichtiger Maßstab, der auf einen von ihm beschuldigten Hotelmanager, der ihn judenfeindlich angegangenen haben soll, seinerzeit allerdings in keiner Weise zur Anwendung kam.

Politikerinnen und Politiker traten auf den Plan, für die umgehend feststand, dass der eine das Opfer und der andere der Täter war. Der Antisemitismusbeauftragte lobte, wie flott der Mann vom Job abgezogen wurde.

Man mag das als die Pflichtschuld erachten, die im nötigen Kampf gegen einen aufflammenden Antisemitismus zu erbringen ist. Denn was nicht sofort so aussieht wie unverzügliche Parteinahme, wirkt wie unverzeihliches Unterlassen, siehe oben. Stellt sich dann aber heraus, dass möglicherweise alles anders gewesen sein könnte als zunächst gedacht, erzeugt die uneingeschränkte Solidarität das Gegenteil von dem, was sie beabsichtigt.

Der Kampf gegen Antisemitismus ist, auch als Teil der Staatsraison, auf Glaubwürdigkeit angewiesen. Ein Satz wie der, dass man, wo ein Sachverhalt unklar ist, nur unter Vorbehalt näherer Aufklärung urteilen kann, sollte auch bei vermeintlich antisemitischen Vorfällen möglich bleiben.

Der Fall Ofarim gibt ein Beispiel, wie es in politischen Debatten um die Kultur des Zweifels bestellt sein könnte. Dass kaum ein Beteiligter sein frühes Urteil einer Revision unterzieht, verschlimmert den Befund.

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