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Der Start des neuen Hyperschall-Marschflugkörpers «Zircon», der vom Atom-U-Boot «Sewerodwinsk» aus durchgeführt wird.

© dpa / Uncredited

Putins blassrote Linie: Atombomben, um Luhansk zu verteidigen?

Der russische Präsident droht mit dem Einsatz von Kernwaffen, falls russisches Gebiet angegriffen wird. Das könnte demnächst auch die besetzten Gebiete in der Ukraine betreffen.

Es waren wahrscheinlich die Sätze in Putins Rede am Mittwochmorgen, die im Westen am meisten Aufmerksamkeit bekamen: „Im Falle einer Bedrohung der territorialen Integrität unseres Landes und zur Verteidigung Russlands und unseres Volkes werden wir mit Sicherheit von allen uns zur Verfügung stehenden Waffensystemen Gebrauch machen“, sagte Putin und setzte hinzu: „Das ist kein Bluff.“

Der russische Präsident hatte zuvor erklärt, dass sich „einige hochrangige Vertreter der führenden Nato-Länder über die Möglichkeit und Zulässigkeit“ des Einsatzes von Atomwaffen gegen Russland geäußert hätten. Wer und wann das gewesen sein soll, sagte er nicht.

Klar war, was er meinte: Greift ihr Russland an, dann nutzen wir alle Mittel, um zurückzuschlagen, auch Atomwaffen.

Besondere Aufmerksamkeit bekam die Äußerung, weil in vier von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine Referenden anstehen, bei denen es um einen Anschluss an Russland geht. Putin versicherte in seiner Rede, dass er diese Referenden unterstützen werde.

Greift Putin zur Atombombe, um Luhansk zu verteidigen?

Die Folge, so interpretieren es zumindest einige Beobachter im Westen: Wenn die Ukraine die wohl schon bald für Moskau als russisches Staatsgebiet geltenden Regionen angreift, könnte Russland mit dem Einsatz von taktischen Atombomben antworten. Putin, so diese Interpretation, zieht eine neue rote Linie. Zwar haben diese Gefechtsfeldwaffen eher lokale Auswirkungen und sind nicht auf Massenvernichtung ausgelegt. Ein eklatanter Bruch der Sicherheitsordnung nach 1945 wäre ihr Einsatz dennoch.

Der russische Ex-Präsident und aktuell stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates Dmitri Medwedew schien am Donnerstag genau diese Sorge aufzugreifen und verstärken zu wollen als er sagte, dass die annektierten Gebiet in der Ukraine mit allen Mitteln verteidigt würden, auch mit Atomwaffen.

Tatsächlich wäre ein Einsatz in der Ukraine wohl durch Russlands Militärdoktrin gedeckt, glaubt mancher Experte. Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik der Universität Kiel, sagte kürzlich im Gespräch mit dem Tagesspiegel: Im Prinzip läuft die Doktrin Russlands darauf hinaus, bei regionalen Kriegen – also Kriegen an der Peripherie Russlands – im Falle einer absehbaren Niederlage auf Kernwaffendrohungen und deren Einsatz zurückzugreifen, um eine Kriegsbeendigung zu russischen Bedingungen zu bewirken.“

Die russische Doktrin gelte demnach auch für den Fall, dass Russland ausländisches Territorium erobert und besetzt habe. Niemand solle wagen, diese eroberten Gebiete wieder zu befreien.

Konsequenzen, wie sie sie noch nie zuvor in der Geschichte erlebt haben.

Wladimir Putin am 24. Februar

Allerdings droht Putin nicht das erste Mal mit dem Einsatz von Atomwaffen.

  • Das nukleare Säbelrasseln begann schon vor dem Krieg in der Ukraine. Mitte Februar hatte er ein Manöver seiner Nuklearstreitkräfte durchführen lassen.
  • Dann erklärte er zusammen mit seiner Kriegserklärung an die Ukraine am 24. Februar: „Jeder, der versucht, sich bei uns einzumischen, unser Land und unser Volk bedroht, muss mit einer sofortigen Reaktion Russlands rechnen.“ Und mit Konsequenzen, „wie sie sie noch nie zuvor in ihrer Geschichte erlebt haben“.
  • Nur einige Tage später wies Putin seinen Verteidigungsminister Sergei Shoigu an, die Abschreckungskräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen. Wieder einige Tage später fanden Übungen mit Interkontinentalraketen statt.

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Kaskade an Drohungen - dann wieder versöhnlichere Worte

Die Kaskade an Drohungen löste damals im Westen erhebliche Sorgen aus. Tatsächlich aber erfolgten auf die umfangreichen Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine keine Reaktionen Russlands. Zudem, so sehen es jedenfalls die westlichen Geheimdienste, gibt es in Russland bis jetzt keine Vorbereitungen für einen Einsatz der Waffen. Zudem folgte in den Monaten nach dem Kriegsbeginn eher eine verbale Abrüstung im Kreml.

Ende März erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow im US-TV-Sender CNN, dass Atomwaffen „nur im Fall einer existentiellen Bedrohung“ Russlands eingesetzt würden. Diese gibt es nun faktisch nicht, obwohl Putin vor dieser warnt, wenn er in seiner Rede am Mittwoch sagte sagt, dass „Teile des Westens“ versuchten, „Russland zu zerstören“.

Anfang August veröffentlichte die Webseite des Kremls ein Grußwort von Putin an die Teilnehmer einer UN-Konferenz, in dem es hieß: „Wir gehen davon aus, dass es in einem Atomkrieg keine Sieger geben kann und er niemals begonnen werden darf.“ Hier war die Linie nicht mehr rot, sondern eher blassrot.

Auch praktische Gründe sprechen eher gegen einen Einsatz Russlands von Atomwaffen. Ein Einsatz an der Front würde auch die russischen Truppen treffen, und die Grenze zu Russland ist nicht weit. Zudem spricht nichts dafür, dass selbst eine solche Eskalation die Ukrainer zum Aufgeben bewegen würde. Kiew hat denn auch bisher mit großer Gelassenheit auf alle Drohungen reagiert.

Auch der Westen lässt sich von den Drohungen bisher nicht einschüchtern. Als Reaktion auf die Teilmobilmachung kündigte die EU weitere Sanktionen und Waffenlieferungen an. Auch die USA bekräftigten, die Hilfen fortzuführen und wenn nötig sogar noch zu verstärken.

Ernst genommen werden Putins Worte aber durchaus. US-Präsident Joe Biden griff Putins Worte bei seiner Rede vor der UN am Mittwochabend auf. Russland werde weltweit zum „Paria“, wenn es Kernwaffen einsetzte, prophezeite Biden. In einem Interview drohte er zudem mit einer angemessenen Reaktion.

Dass sich auch in den USA die Gefahreneinschätzung zu ändern scheint, zeigt eine Aussage des US-Admirals Charles Richard, Leiter des Strategischen Kommandos des Militärs, das das Atomwaffenarsenal des Pentagon beaufsichtigt. Die „New York Times“ zitiert ihn mit den Worten: „Wir sind wieder soweit, einen möglichen direkten bewaffneten Konflikt mit einem nuklear bewaffneten Partner in Erwägung zu ziehen. Das haben wir seit über 30 Jahren nicht mehr tun müssen“.

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