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Die Polizei hebt die Blockaden der Klimaaktivisten in Lützerath auf.

© dpa/Oliver Berg

Update

Aufgeheizte Stimmung in besetztem Dorf: Polizei bereitet Räumung von Lützerath vor

Die Einsatzkräfte haben erste Barrikaden in Lützerath abgebaut. Klimaaktivisten leisten im rheinischen Braunkohlerevier Widerstand, Neubauer kritisiert das Vorgehen der Polizisten.

| Update:

Kurz vor der ab Mittwoch erwarteten Räumung des Dorfes Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier hat sich die Stimmung spürbar aufgeheizt. Die Polizei räumte am Dienstag auf dem Zufahrtsgelände Barrikaden weg, was die Klimaaktivisten empörte. Über Lautsprecher appellierte die Polizei: „Greifen Sie die Polizei-Einsatzkräfte nicht an! Wenn Sie die Polizei angreifen, können Sie sich strafbar machen!“

Es kam vereinzelt zu Handgreiflichkeiten. In mehreren Reihen stemmten sich Aktivisten gegen die Einsatzkräfte, es wurde geschubst und gebrüllt. Ein Aktivist mit Blut im Gesicht sagte, er sei an der Nase verletzt worden, als er von seiner Sitzblockade weggetragen worden sei. Mit einer Hebebühne holte die Polizei zwei Aktivisten von einem sogenannten Monopod, einer Art Hochsitz, herunter.

Die bevorstehende Räumung des Protestdorfs ist nach Einschätzung von Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach einer der herausforderndsten Einsätze der letzten Jahre. Das bekräftigte er am Dienstagabend bei einer Informationsveranstaltung mit rund 300 Teilnehmern und Vertretern von Polizei und Kreis Heinsberg. Die Aachener Polizei hat die Einsatzleitung.

Vertreter örtlicher Initiativen forderten ein Moratorium für die Räumung des kleinen Ortes. Viele zogen auch die Gutachten in Zweifel, auf die sich die Inanspruchnahme des Ortes für den Braunkohletagebau stützt.

„Die Polizei ist jetzt massiv vorgerückt und hat massiv gedrückt“, sagte Johanna Inkermann von der Initiative „Lützerath lebt“. „Wir lassen uns aber nicht wegdrängen. Es ist eine extrem dynamische Situation.“

In unübersichtlicher Formation hatten etwa 300 Aktivisten am Vormittag Menschenketten gebildet und eine Sitzblockade errichtet, bei der sich einige Beteiligte etwa einen halben Meter tief in die Erde eingegraben hatten. „Es geht darum, dass wir die Zufahrt zu Lützi versperren“, sagte eine Aktivistin.

Aggressiver Ton gegenüber der Polizei

Die Aktivisten riefen unter anderem „Haut ab!“, „Schämt euch!“, „Auf die Barrikaden!“ und „Klima schützen ist kein Verbrechen!“. Der Ton gegenüber der Polizei war teils aggressiv, die Atmosphäre aufgeheizt. Die meisten Aktivisten waren vermummt. Manche sprachen Englisch, andere Französisch, Italienisch oder Niederländisch.

Der Energiekonzern RWE will die unter Lützerath liegende Kohle abbaggern – dafür soll der Weiler auf dem Gebiet der Stadt Erkelenz abgerissen werden. Seit Dienstag hat die Polizei aufgrund einer Allgemeinverfügung des Kreises Heinsberg die Möglichkeit zur Räumung des Dorfes. Allerdings wollte der Heinsberger Landrat Stephan Pusch (CDU) am Nachmittag zunächst noch über die Räumung und den damit verbundenen Polizeieinsatz informieren.

Linken-Chefin Janine Wissler bekundete in Lützerath Unterstützung für die Aktivisten. „Es ist so absurd, was hier passiert. Was für ein Geld, was für ein Aufwand, um noch 2023 Kohle auszubaggern, die man Studien zufolge gar nicht mehr braucht“, sagte die Bundestagsabgeordnete der Deutschen Presse-Agentur. Sie sei als parlamentarische Beobachterin vor Ort, um Solidarität mit den Aktivisten zu zeigen. Letztlich gehe es in Lützerath nur um die „Profitinteressen eines Kohlekonzerns“.

Aus Protest gegen die Haltung der Grünen lud ein Düsseldorfer Bündnis am Dienstag 250 Kilo Braunkohle-Briketts vor der nordrhein-westfälischen Parteizentrale ab. „Wir wollten den Grünen den Spiegel vorhalten, dass sie nicht mehr die Partei der Klimaschützer sind, sondern die Kohle-Partei“, sagte ein Sprecher des Bündnisses.

Grünen-Chef Nouripour verteidigt Räumung

Grünen-Chef Omid Nouripour hingegen hat die bevorstehende Räumung des von Klimaaktivisten besetzten Dorfes Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier verteidigt. Der Streit sei „ausgeurteilt durch alle Instanzen“ und der Energiekonzern RWE habe einen Rechtsanspruch auf das Abbaggern der unter Lützerath liegenden Kohle, sagte Nouripour am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“.

Dies sei Teil eines Kompromisses, der andererseits fünf andere Dörfer im Braunkohlerevier vor der Räumung bewahrt und den Kohleausstieg in Westdeutschland „um acht Jahre vorgezogen“ habe. „Hätten wir den Kompromiss nicht gemacht, dann wäre das alles nicht passiert“, betonte Nouripour. Insofern sei dies „ein guter Kompromiss, den ich wirklich auch gut tragen kann“ und „ein signifikanter Schritt nach vorne beim Thema Klimaschutz“.

Neubauer kritisiert das Vorgehen der Polizisten

Klimaaktivistin Luisa Neubauer kritisierte die Polizeistrategie als nicht besonders friedlich. Von der Politik sei zwar eine friedliche Räumung angekündigt worden, was sich vor Ort abspiele, sei aber „ziemlich genau das Gegenteil davon“, sagte Neubauer im Deutschlandfunk.

„Über Nacht sind gerade verschiedene Hundertschaften in das Dorf reingekommen, aus dem ganzen Land werden eben die Einsatzkräfte hinmobilisiert und offensichtlich hat man politisch gar keinen richtigen Plan, als immer mehr Polizeikräfte da hinzuholen.“

Klimaaktivistin Luisa Neubauer bei einer Rede in Lützerath am Sonntag
Klimaaktivistin Luisa Neubauer bei einer Rede in Lützerath am Sonntag

© Imago/Marc John

Ziel der Aktivisten sei zunächst, die Räumung hinauszuzögern und politisch sehr teuer werden zu lassen. „Das ist auch ganz wichtig, denn mit dieser Entscheidung, dass man Lützerath an RWE gibt, stellt sich die Bundesregierung gegen das Pariser Klimaschutzabkommen.“

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Dabei wird die Kohle unter dem Dorf laut Neubauer nicht mehr für die Energieversorgung in Deutschland gebraucht. Sie erwarte daher von der Bundesregierung, „dass sie in diesem Augenblick mal pausieren und checken, auf welcher Grundlage sie die da diese riesengroßen, weitreichen Entscheidungen fällen.“

Polizei rechnet mit vierwöchigem Einsatz – NRW-Minister sorgt sich

Der zuständige Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach sagte dagegen dem Fernsehsender Phoenix, er und seine Kollegen gingen den Einsatz professionell an und seien gut vorbereitet. Man stelle sich auf einen Einsatz von bis zu vier Wochen ein. Er rechne mit vielfältigen Widerstandsformen.

Neben verbarrikadierten Häusern gebe es rund 25 Baumhäuser, aus denen Protestierende sicher herausgeholt werden müssten, was technisch aufwendig sei. Die Polizei wolle deeskalierend vorgehen. Allerdings sei ihm klar, dass es unter den Protestierenden eine kleine Gruppe gebe, die gewaltbereit sei.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sorgt sich vor der anstehenden Räumung um die Sicherheit der Einsatzkräfte. „Wir haben in Lützerath einen gewissen Anteil an gewaltbereiten Aktivisten. Ihre Anzahl schwankt aktuell täglich“, sagte Reul der „Rheinischen Post“ am Mittwoch. „Daher ist ein solcher Einsatz für die Polizei immer gefährlich, und ich mache mir auch ständig Gedanken um die Sicherheit unserer Beamten.“ Die Einsatzkräfte seien aber gut geschult und ausgebildet, logistisch und personell sei die Polizei gut vorbereitet.

Reul führte aus: „Wir wissen nicht, was die Polizistinnen und Polizisten in den Häusern in Lützerath erwartet. Gibt es Fallen oder andere Barrikaden, die wir von außen nicht sehen? Wir wissen auch nicht, wie viele Menschen sich den Einsatzkräften in den Weg stellen werden.“ Reul fügte hinzu: „Vorsicht ist das Gebot dieser Tage.“

Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sprach sich gegen die Abbaggerung der Kohle unter Lützerath aus. Das 1,5-Grad-Ziel sei andernfalls nicht zu halten, warnte sie. „Entscheidend ist nicht das Kohle-Ausstiegsdatum, sondern das verbleibende CO₂-Budget – und das wird deutlich überschritten.“ Die Grünen argumentieren, dass im Gegenzug für das Abbaggern der Lützerath-Kohle der Kohleausstieg um acht Jahre auf 2030 vorgezogen worden sei. (dpa/AFP)

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