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Studenten protestieren am 27. November 2022 an der Tsinghua-Universität in Peking (China) gegen die COVID-19-Beschränkungen.

© Foto: Reuters/Uncredited

Update

China erlebt einen Protestherbst: Kocht der Zero-Covid-Kessel über?

Studenten fordern in Sprechchören den Rücktritt von Xi Jinping, Protestierende singen höhnisch die Nationalhymne, Arbeiter gehen auf die Barrikaden. Der November wird in China zum Monat des Zorns.

| Update:

„Lasst uns gemeinsam sterben!“, ruft die wütende Menschenmenge. Anderswo singen Protestierende höhnisch Chinas Nationalhymne, wie auf Handyvideos zu hören ist: „Steht auf, all ihr, die ihr keine Sklaven sein wollt!“

Zuvor sind in Urumqi, der Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang, mindestens zehn Menschen bei einem Hausbrand gestorben, neun weitere wurden verletzt.

Der Vorfall am Donnerstag fällt in eine Zeit, da viele in der für das rigorose Sicherheitsregime und die Unterdrückung der uigurischen Minderheit berüchtigten Region wegen der strengen Corona-Politik das Haus nicht verlassen dürfen.

Protestierende fordern offen den Rücktritt von Xi Jinping

Bereits am Samstag versammelten sich in Schanghai mehrere Hundert Menschen in der Urumqi-Straße, um der Toten in der mehr als 3000 Kilometer entfernten Stadt zu gedenken und ein Ende der Lockdowns zu fordern. Ein Wortführer ruft: „Kommunistische Partei…“ Die Menge antwortet: „Tritt ab!“ Dann: „Xi Jinping…“ – „Tritt ab!“

Tritt ab! Xi Jinping! Tritt ab!

Protestierende in Schanghai

Den für die Volksrepublik höchst außergewöhnlichen, mit erheblichen persönlichen Risiken verbundenen Protest gegen den Partei- und Staatschef filmt ein dänischer Radiokorrespondent.

Parallel gibt es in den sozialen Medien Livestreams. „Wir wollen keine Diktatur, wir wollen Demokratie!“, skandieren Demonstranten. Auch hier wird die Nationalhymne als Protestgeste gesungen: „Steht auf! Steht auf!“

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Mahnwachen am Sonntag fortgesetzt

Zum symbolischen Protest gegen die Zensur sollen einige Protestierende weiße Papierbögen in die Höhe gehalten haben. Zudem wurden weiße Blumen als Zeichen der Trauer an mehreren Kreuzungen niedergelegt, wie die Nachrichtenagenturen berichten.

Menschen an der „Communication University of China“ in Nanjing protestieren nach dem tödlichen Brand in Urumqi gegen die Covid-19-Sperren (Videostandbild vom 26. November 2022).
Menschen an der „Communication University of China“ in Nanjing protestieren nach dem tödlichen Brand in Urumqi gegen die Covid-19-Sperren (Videostandbild vom 26. November 2022).

© Foto: Reuters/Uncredited

Die Polizei habe die blockierten Straßen bereits nach kurzer Zeit wieder geräumt, heißt es weiter. Einige der Protestierenden seien aus unbekannten Gründen von den Sicherheitsbeamten abgeführt worden.

Mahnwachen wie diese finden laut verschiedenen Augenzeugenberichten mittlerweile an Universitäten im ganzen Land statt.

Proteste an Elite-Universitäten in Peking

In der chinesischen Hauptstadt Peking versammelten sich bereits Sonntag Vormittag hunderte Studierende im Hof vor der Mensa der Elite-Universität Tsinghua.

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Wie ein Student berichtet habe eine junge Frau damit begonnen, am Eingang zur Mensa ein weißes Stück Papier aus Protest gegen die Zensur hochzuhalten. Kurz darauf hätten sich weitere Frauen der Protestierenden angeschlossen. „Dann kamen mehr und mehr Menschen dazu. Jetzt sind es 200 bis 300“, so der Student.

„Wir haben die Nationalhymne gesungen und die Internationale“, berichtet der Hochschüler weiter.

Wir haben skandiert: ‘Die Freiheit wird siegen’, ‘Schluss mit den Corona-Tests, wir wollen Essen’ und ‘Nein zu Lockdowns, wir wollen Freiheit’.

Student der Tsinghua-Universität in Peking

Die Tsinghua-Universität in Peking gilt heute als die führende technische Universität des Landes. Seinerzeit hatte hier der heutige Staatschef Xi Jinping höchstselbst studiert.

Eine Studentin der Tsinghua-Universität berichtet laut der Deutschen Presse-Agentur, dass sie es für den Rest ihres Lebens bereuen würde, wenn sie sich nicht zu Wort melden würde.

Wenn wir uns aus Angst nicht zu Wort melden, enttäuschen wir unser Volk. Als Tsinghua-Studentin würde ich dies für den Rest meines Lebens bereuen.

Studentin der Tsinghua-Universität in Peking

Auch an der benachbarten Peking-Universität unweit des Tsinghua-Campus versammelten sich Studierende zum Protest.

China erlebt einen Monat des Zorns

Es sind die jüngsten Proteste in einem November, der für China zu einem Monat des Zorns geworden ist.

In einer iPhone-Fabrik des Apple-Zulieferers Foxconn in Zhengzhou stiegen Arbeiter wegen ausbleibender Löhne und unwürdiger Lebensbedingungen nach einem Corona-Ausbruch auf die Barrikaden. Zehntausende sollen das gigantische Werk verlassen haben, es gibt unbestätigte Berichte von Todesfällen nach Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Menschen singen am 27. November 2022 Slogans auf einer Straße in Shanghai.
Menschen singen am 27. November 2022 Slogans auf einer Straße in Shanghai.

© Foto: AFP/Hector Retamal

Auch in Guangzhou gingen Anwohner Mitte des Monats aus Protest gegen das Zero-Covid-Diktat auf die Straße und warfen einen Streifenwagen um. Weitere Städte sind seitdem hinzugekommen.

Mehr als 800 Fälle von öffentlichem Dissens seit Juni

„2022 ist vermutlich das am breitesten gefächerte Protestjahr seit der Demokratiebewegung 1989“, sagt der China-Historiker und Protestforscher Jeffrey Wasserstrom im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Es habe zwar immer Proteste gegeben, darunter große Arbeiteraufstände Anfang der 2000er Jahre. „Aber seit Langem gab es kein Thema mehr, das so viele Leute in so verschiedenen Umständen und Landesteilen derart frustriert hat wie die Null-Covid-Politik.“

Demonstranten rufen in Shanghai Parolen, während die Polizei ihre Positionen hält (Ausschnitt aus einem Augenzeugenvideo auf AFPTV am 27. November 2022).
Demonstranten rufen in Shanghai Parolen, während die Polizei ihre Positionen hält (Ausschnitt aus einem Augenzeugenvideo auf AFPTV am 27. November 2022).

© Foto: AFP/AFPTV/Uncredited

Der Sinologe erinnert an die Anti-Regime-Banner vor dem KP-Kongress im Oktober in Peking mit der Aufschrift „Stürzt den Diktator und Landesverräter Xi Jinping“. Sie allein hätten das Jahr schon bemerkenswert gemacht, denn die Hauptstadt ist, zumal vor dem nur alle fünf Jahre stattfindenden, politisch alles bestimmenden Parteitag, einer der am strengsten kontrollierten Orte des Landes.

Von einer kohärenten Bewegung zu sprechen, wäre bislang aber übertrieben. Das KP-Regime habe jede Form der organisierten Zivilgesellschaft zerschlagen, sagt Wasserstrom. „Der Schritt von der unmittelbaren Unzufriedenheit zum Systemprotest ist in China groß. Wir sollten nicht glauben, dass nun gleich die KP-Elite gestürzt wird.“

Die Wut der Straße bekommt die Partei dennoch gerade zu spüren. Forscher des Projekts „China Dissent Monitor“ der NGO Freedom House haben seit Anfang Juni 822 Fälle von öffentlichem Dissens gezählt. (mit Agenturen)

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