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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gibt im Bundestag eine Regierungserklärung zum Europäischen Rat ab.

© dpa / Foto: Kay Nietfeld/dpa

Der Kanzler, der Preuße und die Wintersorgen: Wie Carl von Clausewitz den Bundestag erobert

Fünf Bewährungsproben sieht Olaf Scholz für die nächsten Monate, man werde es „wohl“ schaffen, sagt er in seiner Regierungserklärung. Der Ampel-Frieden ist schon wieder passé.

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Der Krieg, das sei eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Dies sagte der preußische Heeresreformer Carl von Clausewitz, 1831 verstorben. Dass er in einem an Frieden gewöhnten Europa, in Zeiten, in denen Wladimir Putin auf diese anderen Mittel setzt, im Deutschen Bundestag gleich mehrfach zitiert wird, symbolisiert diese neue Zeit, die bis zum 24. Februar undenkbar schien.

Der Kanzler ist an diesem Tag sehr früh dran, redet mit Außenministerin Annalena Baerbock, begrüßt FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Zu seiner rechten sitzt heute nicht Robert Habeck, der ist verhindert, sondern Franziska Brantner (Grüne), Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium. Es wird sehr viel Smartphone- und Aktenarbeit betrieben auf der Regierungsbank.

Christian Lindner kommt zu spät, da hat der Kanzler schon das erste Mal an diesem Tag Clausewitz zitiert. „Der Krieg setzt menschliche Schwäche voraus, und gegen sie ist er gerichtet“, referiert Scholz von Clausewitz. Und betont: „Putin handelt danach. Er überzieht die Ukraine mit Terror. Er droht der Welt unverhohlen und vollkommen verantwortungslos mit dem Einsatz von Nuklearwaffen. Er will Angst säen, spalten und einschüchtern. Er spekuliert auf unsere Schwäche. Aber er irrt sich.“ Applaus.

Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender und Unionsfraktionsvorsitzender kritisiert fehlende Details zur Gaspreisbremse des Kanzlers.

© dpa / Kay Nietfeld

CDU-Chef Friedrich Merz bekommt die Kanzler-Rede immer vorab, er sucht sich geschwind ein passendes Clausewitz-Zitat für seine Replik auf die Regierungserklärung des Kanzlers zum EU-Gipfel in Brüssel. Scholz listet derweil all die Maßnahmen auf, die man zur Sicherung der Energieversorgung ergriffen hat, bis hin zu den fast komplett gefüllten Gasspeichern und den im Rekordtempo hochgezogenen Flüssiggas-Terminals.

Er zeichnet das Selbstbild eines Kanzlers, der eigentlich alles richtig macht, um das Land vorausschauend durch die Krise zu führen. „Wir als Land haben mit den Maßnahmen der vergangenen Wochen und Monate sichergestellt, dass wir voller Zuversicht sagen können: Gemeinsam kommen wir wohl durch diesen Winter.“

Merz setzt einen Stich gegen Scholz

Der Kanzler fügt das Wort „wohl“ ein, so ganz sicher scheint er sich nicht zu sein. Merz antwortet später, Scholz habe bis zum Kriegsbeginn Nord Stream ja immer als privatwirtschaftliches Projekt bezeichnet. Nun sage er, er habe immer schon gewusst, Putin werde Gas als Waffe einsetzen. Der Kanzler habe zu Beginn seiner Regierungserklärung ja Clausewitz zitiert. Von Clausewitz stamme auch der schöne Satz: „Aus dem Wissen muss ein Können werden.“ Solche Stiche mag Merz.

Ein neuer Streit in der Ampel – wegen China

Die anderen kommen von den eigenen Partnern für Scholz. Es ist fast wie immer in den vergangenen Wochen. Eine wichtige Entscheidung wird auf unorthodoxe Weise getroffen (per Brief wird bestimmt, dass die drei Atomkraftwerke bis Mitte April 2023 laufen), zwei Tage Ruhe. Nun wird publik, dass das Kanzleramt gegen den Willen der anderen Ministerien und Koalitionspartner, den von der Hamburger SPD unterstützen Verkauf von Teilen eines Containerterminals im Hamburger Hafen an den chinesischen Staatskonzern Cosco genehmigen will.

„Ich halte einen chinesischen Einstieg beim Hamburger Hafen (kritische Infrastruktur!) für einen schweren Fehler“, twittert der FDP-Vize-Chef und Erste Parlamentarische Geschäftsführer Johannes Vogel pünktlich zur Kanzlerrede, weitere kritische Stimmen von FDP und Grünen folgen. Passt das gar doch nicht zum Ziel, auch die Abhängigkeiten von China zu reduzieren.

Ein besonderer Gast aus Odessa

Scholz geht darauf nicht näher ein, er skizziert die großen fünf Bewährungsproben dieses Winters: Der Krieg in der Ukraine, Hunger als Waffe, Energie als Waffe, Preissicherheit, Transformation in der Zeitenwende. „Die Ukraine wird sich erfolgreich verteidigen. Und wir werden sie unterstützen – so lange, wie das erforderlich ist“, betont Scholz. Lauter Applaus.

Rettungskräfte sind nach einem russischen Drohnenangriff im Stadtzentrum von Kiew im Einsatz.

© Foto: dpa/Ukrinform

Auf der Tribüne sitzt Roman Schwarzman, der 85-Jährige hat den schweren Weg aus Odessa auf sich genommen. Er überlebte den deutschen Holocaust im Ghetto, nun fühlt er sich von den Russen verfolgt, erlebt wieder einen brutalen Krieg. Er setzt sich seit 30 Jahren in der Ukraine für die jüdischen Überlebenden der Nazi-Zeit ein. Als er von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) begrüßt wird, stehen die Abgeordneten auf. Scholz sagt in seiner Rede, „dass Sie heute hier unser Gast sind, ehrt uns sehr“.

Der Gepard? Viel besser als sein Ruf, sagt Scholz

Der Kanzler macht deutlich, welch erheblichen Beitrag die deutschen Waffenlieferungen leisten würden, vor allem das Luftverteidigungssystem Iris-T, gerade jetzt, wo Russland Raketen- und Drohnenangriffe intensiviert. „Drei weitere werden so schnell es geht folgen“, betont Scholz. „Wir haben Fliegerabwehrraketen und Fliegerfäuste geliefert sowie Gepard-Panzer, über die es zunächst oft hieß: Die bringen doch nichts, dafür gibt es nicht einmal genügend Munition. Heute sehen wir, welchen Unterschied sie ausmachen“

Auch Merz hält sich dieses Mal zurück, betont aber, dass man auch noch Schützen- und Kampfpanzer im Rahmen einer Initiative mehrerer europäischer Länder liefern könnte.

Wem schaden die Sanktionen mehr?

Von Scholz ist es der Versuch einer Mutmacher-Rede: „Putin hat gehofft, uns mit dem Abdrehen des Gashahns erpressen zu können. Doch auch da hat er sich verrechnet. Denn Europa steht zusammen.“ Allerdings werden die Verwerfungen zunehmend kritisch gesehen, erzeugen Protestpotenzial.

So betonte die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht im Vorfeld der Kanzlerrede via Twitter: „Sanktionen dürfen die europäischen Staaten nicht härter treffen als die russische Führung“, habe Kanzler Scholz im März betont. „Nun schlittern wir in eine Rezession, während sich die russische Wirtschaft wieder erholt und die US-Wirtschaft boomt.“

Viel wird nun vom Verlauf des Winters abhängen. Der Kanzler betont im Bundestag bei allem Streit und Herausforderungen die Stärke der Demokratie: „In Demokratien wie unserer aber liefern unsere Debatten, liefern freie Medien und öffentliche Kritik immer wieder Anstöße für Veränderung und Fortschritt. Darin liegt die Stärke offener Gesellschaften. Darin liegt die Kraft der Demokratie.“ Putins Kriegskurs gegen die Ukraine und die gesamte freie Welt werde scheitern, er sei es eigentlich längst. „Die Ukraine, Deutschland und Europa aber werden gestärkt aus diesen Bewährungsproben hervorgehen – geeinter und unabhängiger als zuvor.“

Wie sollen Bürger und Unternehmen entlastet werden?

© Imago/Steinach

Die Details von Gas- und Strompreisbremse sind noch unklar

Etwas in der Defensive ist er beim für Bürger und Unternehmen so wichtigen Thema Entlastungen, da die komplizierten Details von Strom- und Gaspreisbremse noch auf sich warten lassen – und in Europa etwa beim Gaspreisdeckel große Uneinigkeit besteht. Noch so ein Problem für Scholz: Vor allem mit Frankreich gibt es Streit, der für Ende Oktober geplante gemeinsame Ministerrat wurde abgesagt.

Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali spricht trotz fast 300 Milliarden Euro Volumen von „lächerlichen Entlastungspaketen“, aber wo noch mehr Geld herkommen soll außer über eine bisher nicht durchsetzbare Vermögenssteuer und Abschöpfen von Übergewinnen, verschweigt sie. „Es reicht nicht den Deich zwei Meter hoch aufzuschütten, wenn eine zehn Meter hohe Flut kommt.“ Wirtschaftsvertreter warnten bereits, Deutschland könne vom „Industrieland zum Industriemuseum werden“.

Friedrich Merz will die Winterreifen jetzt aufziehen

CDU-Fraktionschef Merz kritisiert die massive Unsicherheit für Bürger und Unternehmen und meint zu den wohl erst ab März so richtig greifenden Entlastungen über die Gaspreisbremse: „Winterreifen muss man im Oktober aufziehen und nicht erst im Frühjahr des nächsten Jahres.“

Dann wettert er noch gegen immer neue Auflagen und Bürokratie durch die EU-Kommission in Brüssel. „Wir brauchen jetzt ein Entlastungsmoratorium für die Unternehmen in der Europäischen Union.“ Aus den FDP-Reihen ruft ihm jemand mit Blick auf Ursula von der Leyen (CDU) zu: „Das ist doch ihre Kommissionspräsidentin.“

Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, fordert von Friedrich Merz mehr eigene Lösungsideen statt Pauschalkritik.

© dpa / dpa/Michael Kappeler

Die Grünen sehen die Union in „Fundamentalopposition“

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann übernimmt an diesem Tag die Rolle der Merz-Vorknöpferin für die Ampel. Die Union würde sich unter Merz‘ Führung „verkriechen in Fundamentalopposition“ statt Verantwortung zu übernehmen. „Machen Sie doch mal einen Vorschlag.“

Sie zählt eine Reihe von Maßnahmen auf, Gesetze, das Befüllen der Gasspeicher bis hin zur Aufweichung von Abstandsregeln bei Windkraftanlagen. „Ich weiß, das tut Ihnen weh. wenn man das aufzählt, weil das zeigt, dass konkret gehandelt wird.“ Bei Scholz meint man da ein kleines Grinsen erkennen zu können.

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