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Kanzler Scholz (links) war am Mittwoch bei Präsident Macron in Paris zu Gast.

© Foto: dpa/Christophe Ena

Deutschland und Frankreich im Krisenmodus: „Ich verstehe, dass die Deutschen sehr beunruhigt sind“

Frankreichs Ex-Premier Jean-Marc Ayrault über Differenzen zwischen Berlin und Paris, das deutsche Geschäftsmodell und die Einheit in der EU.

Herr Ayrault, die jüngste Begegnung zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Kanzler Olaf Scholz im Elysée-Palast endete ohne die sonst übliche Pressekonferenz. Ein schlechtes Zeichen für die deutsch-französischen Beziehungen?
Nein, daraus sollte man keine negativen Schlussfolgerungen ziehen. Das Arbeitsessen war im Gegenteil sehr hilfreich, um die Verbindungen zwischen beiden Ländern wieder neu zu knüpfen. Es ging darum, die deutsch-französischen Beziehungen neu zu festigen. Hier geht es weniger um das politische Tagesgeschäft, sondern um eine Daueraufgabe: Es gilt, die Beziehung zwischen beiden Ländern, die entscheidend für den Aufbau Europas ist, mit neuem Leben zu erfüllen. Wenn es zwischen den beiden Ländern nicht gut läuft, dann hat das Folgen für alle anderen EU-Länder.

Warum?
Die gegenwärtige Krise birgt große Gefahren, vor allem für die Einheit der Europäer. Vor der Tür Europas herrscht ein Krieg, die Energiekrise wird von Dauer sein, und die wirtschaftlichen Geschäftsmodelle werden in den einzelnen EU-Ländern hinfällig. Nationale Alleingänge sind in dieser Situation unmöglich. Die Europäer müssen sich im Gegenteil angesichts der Bedrohung, die von Putin ausgeht, untereinander solidarisch zeigen.

Bröckelt der Zusammenhalt der Europäer?
Unmittelbar nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges haben die EU und die Nato gut reagiert. Inzwischen geht es aber darum, mit der Bedrohung unseres Wirtschaftsmodells fertigzuwerden. Die größte Sorge bereitet dabei die Energieversorgung. Es stimmt, dass jedes Land erst einmal versucht, in der Krise mit nationalen Notfall-Maßnahmen gegenzusteuern…

…Scholz wird vorgeworfen, seinen 200-Milliarden-Plan für eine Gaspreisbremse vorher nicht mit Frankreich abgestimmt zu haben.
Das Vertrauen in der historisch gewachsenen Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich entsteht auch durch Transparenz. Es geht gar nicht darum, die unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen unter den Teppich zu kehren. Aber man muss mehr miteinander reden und dabei ganz offen sein. Das gilt sowohl für Deutschland als auch für Frankreich.

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Angesichts des deutschen „Doppel-Wumms“ besteht in vielen anderen EU-Ländern die Sorge, dass bei ihnen die Gaspreise für Wirtschaft und Privatverbraucher noch weiter steigen könnten.
In der Tat muss man die Auswirkungen auf den EU-Binnenmarkt bedenken. Maßnahmen, die auf nationaler Ebene ergriffen werden, dürfen nicht das europäische Gesamtgefüge in Gefahr bringen. Anderseits verstehe ich auch, dass die Deutschen sehr beunruhigt sind: Die Industrie in Deutschland hing bislang weit gehend vom billigen russischen Gas ab. Heute ist dieses Modell zerbrochen. Auch das deutsche Geschäftsmodell, das auf Exporten nach China beruht, ist in Gefahr. Daher rührt die Notwendigkeit einer schnellen Reaktion in Deutschland. Umso mehr hoffe ich, dass es demnächst auf EU-Ebene einen Kompromiss beim geplanten Gaspreisdeckel gibt.

Macron hat derzeit einige innenpolitische Probleme: Sein Zeitplan zur Einführung der umstrittenen Rentenreform wankt, bei seinen Landsleuten wächst angesichts der Kaufkraft-Verluste der Unmut. Will der Staatschef von seinen gegenwärtigen Problemen ablenken, indem er Deutschland medienwirksam eines europapolitischen Alleingangs bezichtigt?
Ich weiß nicht, ob man das so interpretieren kann. Eines ist sicher: Deutschland und Frankreich müssen jeweils einen Schritt aufeinander zugehen. Noch etwas anderes ist wichtig: Jenseits ihrer jeweiligen innenpolitischen Befindlichkeiten haben Deutschland und Frankreich die Aufgabe, in der gegenwärtigen Situation insbesondere EU-Länder wie Polen und die baltischen Staaten zu unterstützen.

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