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Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist der Antreiber bei der Aktienrente.

© dpa/Kay Nietfeld

Großer Wurf oder Mogelpackung? : Für sein Lieblingsprojekt fehlen dem Finanzminister die Milliarden

Mit zehn Milliarden Euro startet die Bundesregierung eine Aktienrücklage zur Dämpfung des Rentenbeitrags. Doch die Summe müsste viel höher sein.

Gaukelt die Ampel-Koalition bei der Aktienrente den Bürgern etwas vor? Oder hat die Regierung mit dem Haushalt für 2023 doch ein Riesenprojekt auf den Weg gebracht, das in einigen Jahren die Finanzierung des Rentensystems erleichtern wird? Wohin die Reise geht, ist vorerst unklar.

Sicher ist nur, dass die FDP ihr ursprüngliches Konzept einer Aktienrente schon vor einem Jahr nicht in den Koalitionsvertrag hat boxen können. Aber das Schlagwort, mit dem sie auch im Wahlkampf Punkte zu machen hoffte, nicht zuletzt bei Jüngeren, wird am Leben erhalten. Der eigentliche Begriff, unter dem das Projekt nun firmiert, lautet „Aktienrücklage“.

Anfang November hat das Bundesfinanzministerium Eckpunkte für eine kapitalgedeckte Säule im Rentensystem vorgelegt. Es geht nun nicht mehr, wie im Ur-Konzept der Freien Demokraten, um eine individuelle Ansparmöglichkeit in Ergänzung zur gesetzlichen Rente, die nach dem Umlageverfahren funktioniert – Jüngere finanzieren mit Beiträgen die Renten der Älteren. Stattdessen sollen die Börsen genutzt werden, um zur Stabilisierung des Rentenbeitrags beizutragen und den Anstieg des Rentenzuschusses im Bundeshaushalt – derzeit fast 100 Milliarden Euro – zu begrenzen.

Zehn Milliarden Euro hat Finanzminister Christian Lindner im Etat 2023 für den Einstieg in diese Form der Aktienrente untergebracht. Allerdings gilt eine solche Summe unter Experten als viel zu gering, um Messbares bewegen zu können bei der Rentenbeitragsdämpfung. Die FDP spricht denn auch von einem ersten Schritt.

Für eine deutliche Korrektur beim Beitragssatz braucht es deutlich mehr Mittel. Reinhold Thiede, Leiter der Forschungsabteilung der Deutschen Rentenversicherung, hat unlängst vorgerechnet, dass aktuell ein Prozentpunkt beim Rentenbeitrag etwa 17 Milliarden Euro im Jahr entspricht.

Um eine entsprechende Dämpfung des Rentenbeitrags aus der Aktienrücklage zu finanzieren, müsste diese Rücklage - bei einer unterstellten Rendite von acht Prozent - ein Volumen von gut 210 Milliarden Euro haben. Soll die Dämpfung zwei Prozentpunkte ausmachen, wären es schon doppelt so viel. Stand heute.

Doch wie soll solch eine Riesenrücklage in wenigen Jahren aufgebaut werden?  Die zehn Milliarden werden über neue Schulden finanziert – was ohne Anrechnung auf die Schuldenbremse möglich ist, weil es sich um ein Darlehen handelt. Doch lassen sich dreistellige Milliardensummen so aufbringen?

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Milliarden Euro ist die Startsumme der Aktienrücklage

Ganz unvorstellbar ist das nicht. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium hat in einer Studie zu einer kapitalgedeckten Rente unlängst schon in diese Richtung vorgedacht. Zwar geht es dort um einen etwas anderen Ansatz, aber grundsätzlich wird die Möglichkeit eines „schuldenfinanzierten Kapitalstocks“ nicht ausgeschlossen.

Zwar geht man in der Regierung auch nach dem deutlichen Zinsanstieg seit einem Jahr davon aus, dass über Aktien dauerhaft mehr einzunehmen ist als für die Zinsen ausgegeben werden muss. Aber eine solche Kreditfinanzierung schmälert natürlich die Rendite der Aktienrücklage. Und ob auch künftig noch die hohen Aktienmarktrenditen der vergangenen Jahre herauskommen, ist zumindest unsicher. Schon der Einbruch seit Ende 2021 bedeutet eine Korrektur, die wiederum mit den höheren Zinsen zu tun hat.

In den vergangenen 30 Jahren sind diese stetig gesunken, mit der Nullzinsphase bis Anfang des Jahres als Endpunkt. Bei Staatsanleihen waren allenfalls noch Kursgewinne möglich, aber keine nennenswerten regelmäßigen Erträge mehr.

Höhere Zinsen, schwächere Aktien?

Daher floss viel Geld in andere Märkte, voran in Aktien und auch Immobilien, zuletzt in Kryptowerte. Mit der Zinswende ändern sich nun die Bedingungen wieder. Bei höheren Zinsen schneiden die Aktienmärkte eher schwächer ab, wie sich zwischen 1965 und 1980 zeigte, als die Kurse seitwärts liefen.

In Lindners Plan ist vorgesehen, „die Renditechancen des globalen Kapitalmarkts zu nutzen“, also weltweit anzulegen. Aber es ist auch von Sacheinlagen die Rede. Das könnten Aktien der Unternehmen sein, an denen der Bund beteiligt ist: Deutsche Post, Deutsche Telekom, Airbus und das Wehrtechnikunternehmen Hensoldt.

Langfristig ist für mich vorstellbar, dass auch Beitragsmittel in die Aktienrente fließen.

Christian Lindner, Bundesfinanzminister

Der Börsenwert dieser vier Aktiengesellschaften liegt aktuell bei etwa 50 Milliarden Euro. Post und Telekom sind zwar nicht als verlässliche Wachstumswerte bekannt – aber die Dividenden sind meist recht ordentlich. Die Einnahmen daraus würden dann allerdings im Bundeshaushalt fehlen. Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit hat der FDP-Chef bisher nur angedeutet: Langfristig könnten Beitragsmittel in die Rücklage fließen, sagte er unlängst dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Unabhängiger Verwalter

Verwaltet werden soll die Aktienrücklage von einer neuen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Instanz – Vorbild soll der „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ (Kenfo) sein. Ein kleiner Staatsfonds, der die 24 Milliarden Euro verwaltet, die zur Finanzierung der Zwischen- und Endlagerung von radioaktiven Abfällen von den Atomkraftwerksbetreibern als Stiftungskapital eingezahlt wurden. „Die Aktienrücklage soll von den Erfahrungen und der Expertise des Kenfo als Vermögensverwalter profitieren“, heißt es im Lindner-Papier.

Der Fonds investiert ebenfalls global – aber er ist kein reiner Aktienanleger, sondern verteilt das Geld ganz klassisch auf viele Vermögensklassen. Aktien machen maximal die Hälfte des Anlagevermögens aus, die „Zielallokation“, also der langfristige Durchschnittsanteil, liegt bei 35 Prozent. Der Schwerpunkt liegt bei Anleihen, die bis zu 60 Prozent des Portfolios ausmachen können, mit einem Zielwert von ebenfalls 35 Prozent. Immobilien, Infrastrukturinvestments und andere weniger liquide Anlageformen machen bis zu 30 Prozent aus.

Der Kenfo legt also defensiver an als ein reiner Aktienfonds. 2021 kam er damit zwar auf eine Rendite von 10,4 Prozent, weil die Aktienmärkte boomten. Die langfristige Zielrendite aber liegt weit darunter. Doch gilt ein solcher Anlagenmix, der nicht allein auf Aktien setzt, als langfristig stabiler zur Erwirtschaftung regelmäßiger Renditen. Will heißen: Eine Rücklage zur Rentenbeitragsdämpfung müsste ein noch höheres Volumen haben.

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