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Giorgia Meloni von den „Fratelli d' Italia“ könnte Italiens erste Ministerpräsidentin werden.

© Reuters/Yara Nadi

Ist Giorgia Meloni eine Faschistin?: Die Chefin der rechtsextremen Fratelli d'Italia versetzt Teile Italiens in Angst

Giorgia Meloni will keine Faschistin sein. Doch daran gibt es große Zweifel. Wer ist die Frau, die Italiens rechtsextremes Bündnis zum Sieg führen könnte?

Wenn italienische Zeitungen in diesen Tagen Giorgia Meloni zitieren, dann handelt es sich meist um Übersetzungen, vorwiegend aus dem Englischen. Denn die 45-jährige Chefin der Fratelli d’Italia spricht seit längerem mehr mit ausländischen Medien als mit den heimischen.

In den Interviews sagt sie dann Sätze wie: „Ich stehe zu dem, was ich denke. Wenn ich eine Faschistin wäre, dann würde ich das sagen. Aber ich bin keine Faschistin.“ Oder: „Die italienische Rechte hat den Faschismus der Geschichte überantwortet und die Unterdrückung der Demokratie sowie die schändlichen antijüdischen Gesetze verurteilt.“

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Keine Faschistin also. Und auch keine finanzpolitische Hasardeurin, wie sie selbst sagt. „Ich bin da sehr vorsichtig – keine verantwortungsvolle Person kann es sich vorstellen, die Finanzen des Landes zu ruinieren“, erklärte Meloni am 25. August im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters. Italien werde sich an die Vorgaben aus Brüssel halten.

Sollten ihre Bündnispartner Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega und Ex-Premier Silvio Berlusconi im Wahlkampf eine Einheitssteuer von 15 Prozent und die Verdoppelung der Mindestrenten versprechen, dann mahnt sie, „keine unrealistischen Wahlversprechen zu machen“.

Giorgia Meloni ist sich bewusst, welche Ängste und Bedenken ihre Favoritenrolle bei den Parlamentswahlen auslöst. Das ist letztlich der Grund für ihre derzeitige Charme- und Beruhigungsoffensive.

Doch der Versuch, sich als gemäßigte Politikerin darzustellen, die mit beiden Füßen auf dem Boden des demokratischen Rechtsstaats steht und sich vom ideologischen Ballast der postfaschistischen Vorgängerparteien befreit hat, scheitert an der Wirklichkeit.

In ihrer Partei wimmelt es von hartgesottenen Duce-Nostalgikern

Das beginnt schon bei ihrer Partei. In den Fratelli d’Italia wimmelt es bis hinauf in Führungspositionen nach wie vor an hartgesottenen Duce-Nostalgikern, die bei jeder Gelegenheit die rechte Hand zum „römischen Gruß“ ausstrecken, zu Mussolinis Grab pilgern und enge Kontakte zu Holocaust-Leugnern pflegen.

Auf dem Partei-Logo der „Brüder Italiens“ prangt noch immer die grün-weiß-rote Flamme, die über dem durch einen schwarzen Strich symbolisierten Sarg des Diktators Benito Mussolini züngelt. Als Meloni unlängst aufgefordert wurde, auf die Flamme im Partei-Logo zu verzichten, weigerte sie sich. „Wir sind stolz darauf.“

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Es sind freilich nicht nur Symbole, die Zweifel an der Mäßigung Melonis nähren. Die 45-Jährige pflegt beste Kontakte zu Rechtsextremisten, Nationalisten und EU-Feinden in aller Welt. So lud sie 2018 zu einer großen Parteiversammlung den früheren Trump-Berater Steve Bannon ein, der mit Ovationen gefeiert wurde.

Ein Jahr später war der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban an der Reihe, den Meloni für seine Mauer gegen die syrischen Kriegsflüchtlinge, die „Verteidigung der christlichen Identität Ungarns“, seine Förderung der „natürlichen Familie aus Mann und Frau“ sowie für die Steuern gegen Banken und Spekulanten lobte.

Das rechtsextreme Bündnis aus Forza Italia unter Silvio Berlusconi (l), Fratelli-d'Italia-Chefin Georgia Meloni (r.) und Lega-Parteichef Matteo Salvini könnte die Wahl gewinnen.

© Reuters/Flavio Lo Calzo

Das alles verspricht für das künftige Verhältnis zwischen Rom und Brüssel wenig Gutes, auch wenn Meloni in den vergangenen Wochen mehrfach versicherte, dass Italien „ein verlässlicher Partner“ der EU bleiben werde.

Das hat ihre Partei aber nicht daran gehindert, im Parlament in sämtlichen fünf Abstimmungen, in denen der nationale Wiederaufbauplan zur Debatte stand, mit Nein zu stimmen – obwohl Italien im Rahmen des EU-Rettungspakets 191 Milliarden Euro erhält. Meloni nutzte dabei jeweils die Gelegenheit, um gegen die Bevormundung durch Brüssel und die Nachteile der Einheitswährung vom Leder zu ziehen.

Wie tickt Giorgia Meloni wirklich? Mögliche Antworten auf diese Fragen geben ihre Autobiografie „Io sono Giorgia“ (Ich bin Giorgia) sowie eine detailreiche Recherche der Zeitung „La Repubblica“. In ihrem Buch beschreibt Meloni, wie ihr Vater Franco die Familie verlassen hat, als sie vier Jahre alt war – der Papa, ein Kommunist, segelte um die Welt und eröffnete dann auf den Kanarischen Inseln eine Bar.

Wenige Monate nach dem Verschwinden des Vaters vergaßen die kleine Giorgia und ihre Schwester Arianna eine brennende Kerze in ihrem Kinderzimmer – das Haus brannte ab. Giorgia, Arianna und Mutter Anna zogen in eine 45-Quadratmeter-Wohnung im Römer Arbeiterquartier Garbatella; die Mutter hielt sich und die beiden Mädchen mit wechselnden Arbeiten über Wasser.

Die einstige Außenseiterin aus dem Arbeiterquartier wollte es immer allen zeigen

Als Kind einer alleinerziehenden Mutter war Giorgia in der neuen Umgebung eine Außenseiterin. Als sie 15 war, trat Meloni der „Jugendfront“ des postfaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) bei, wo sie Freunde und Anerkennung fand. Dank ihrem Temperament, ihrer geschliffenen Rhetorik und ihrer Unerschrockenheit stieg sie innerhalb der „Jugendfront“ schnell auf.

Später war sie in der Alleanza Nazionale (AN) von Gianfranco Fini, der die Postfaschisten auf die Demokratie verpflichtet und regierungsfähig gemacht hatte. 2008 wurde Meloni unter Silvio Berlusconi als 31-Jährige Jugend- und Sportministerin, 2012 gründete sie die Fratelli d’Italia.

Die einstige Außenseiterin aus dem Arbeiterquartier wollte es immer allen zeigen. Doch bei der ersten Teilnahme der neuen Partei bei Parlamentswahlen 2013 erzielten die Fratelli gerade mal zwei Prozent der Stimmen, beim letzten nationalen Urnengang kamen sie auf vier Prozent.

In der nach wie vor von männlichen Platzhirschen dominierten italienischen Politik wurde Meloni angesichts dieser mageren Resultate lange belächelt. Die „ragazza aus Garbatella“ wurde – auch in ihrer eigenen Partei – nicht richtig ernstgenommen. Das hat sich gründlich geändert. Heute, einen Monat vor den Wahlen, bei denen sie zur ersten Ministerpräsidentin der italienischen Republik gekürt werden könnte, zittern alle vor Giorgia Meloni. In Italien, aber vor allem auch im Ausland.

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