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Johannes Vogel will, dass seine Partei in alle Richtungen wächst.

© dpa/Michael Kappeler

FDP-Vize Johannes Vogel: Kommt der Hoffnungsträger jemals an Christian Lindner vorbei?

Wenn es um einen möglichen Nachfolger für Christian Lindner als FDP-Chef geht, fällt der Name Johannes Vogel sehr häufig. Der bisherige Stellvertreter traut sich viel zu – doch einfach wird es nicht. 

Johannes Vogel ist spät dran. Er hatte die Wahl, pünktlich zu sein oder joggen zu gehen. Er hat sich fürs Joggen entschieden. Nun rauscht er heran, in einem Audi e-tron GT, ein Auto, das aussieht, wie man es sich bei dem Namen vorstellt. Ein Elektro-Sportwagen, innen Leder, außen schwarz.

Es ist ein Auto, das zu einem stellvertretenden FDP-Vorsitzenden passt, aber nicht so recht zu diesem. Vogel ist ein Politiker, der eher bescheiden wirkt. Typ smarter Überflieger, den die westdeutsche Hausfrau gern zum Schwiegersohn hätte. Ein glatter Mensch. Da wird das Auto schon zur Kante.

Seit zwei Jahren ist er Vize-Vorsitzender der FDP, am kommenden Wochenende will er wiedergewählt werden, und der Gedanke, irgendwann noch höher zu steigen, dürfte ihm nicht schwerfallen. Fragt man Funktionäre nach einem Generationenwechsel an der Spitze der FDP, fällt sein Name fast immer als Erster.

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Vogel ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, viele mögen, wie er führt. Er könne die Wirtschaftsliberalität mit den gesellschaftspolitisch progressiven Zielen der Partei glaubhaft verbinden, sagen die, die ihm wohlgesonnen sind.

Die Frage nach dem Generationenwechsel ist drängender geworden, dringend aber ist sie noch nicht. Das liegt an Christian Lindner, FDP-Chef und Bundesfinanzminister. Die Partei hat ihm den Wiedereinzug in den Bundestag nach dem Rauswurf 2013 und die erste Regierungsbeteiligung seitdem zu verdanken.

Doch es gibt kleine Kratzer im Bild des perfekten Vorsitzenden. Die Berichte, dass Lindner nicht so gern Parteivorsitzender ist wie Finanzminister. Die Hochzeit auf Sylt, die viele in der FDP überbordend fanden. Die fünf verlorenen Landtagswahlen in den vergangenen Monaten. Lindner ist umstrittener geworden, er wirkt auch entrückter. Als ginge ihn die Misere der Partei wenig an.

Trotzdem. Einen Vorsitzenden wie ihn kann man nicht einfach stürzen, vor allem nicht, wenn man sich wenig Feinde machen will. Es braucht Geduld.

Vogel will die FDP nicht als „Dagegen“-Partei

Vogel hat in seinen Wahlkreis ins Sauerland geladen, viel Wald, hügelig, das Licht bricht durch die Wolken. Vogel muss viel Autofahren in diesem Wahlkreis. Er fragt, ob man das Lied „Everybody’s free (to wear sunscreen)“ kennt. Platz 1 der britischen Charts im Jahr 1999, Vogel wurde 17 in dem Jahr. Er spielt es ab. Es ist eine fiktive Rede mit Ratschlägen an eine Abschlussklasse. Es begleitet Vogel seit seiner Jugend. Ein Ratschlag: Sonnencreme tragen.

Ein anderer: „Verschwendet Eure Zeit nicht mit Neid auf andere. Manchmal wirst Du anderen voraus sein, manchmal hinterherhinken. Das Rennen ist lang und am Ende ist es nur mit Dir selbst.“

Vogel kämpft um den Kurs der FDP. Er will, dass die Partei in alle Richtungen wächst. Obwohl die FDP unter Druck steht, sodass viele glauben, sie solle sich auf ihre Kernklientel konzentrieren. Männer, die ihre Liebe zu schnellen Autos und dem Grill als Freiheit empfinden.

Vogel findet, die FDP müsse eigene Lösungen anbieten, keine „Dagegen-Partei“ sein, die hauptsächlich mit dem Verhindern beschäftigt ist. Die Richtung ist nicht neu, eigentlich stammt sie aus der Zeit der außerparlamentarischen Opposition, als sich die FDP nach dem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde wiederfinden musste.

„Wir hatten diese Erkenntnis schon mal. Jetzt ist die Frage, halten wir daran fest, obwohl es Gegenwind gibt? Überlegen wir, in welche Richtung die Partei sich entwickeln muss, oder fallen wir dahinter zurück? Die Frage entscheidet sich in dieser Legislaturperiode“, sagt Vogel.

Gerade wirkt Vogel damit manchmal ziemlich allein. Die bekanntesten FDPler sind Lindner und der andere FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Beide arbeiten sich in letzter Zeit eher an den Vorschlägen der Grünen ab.

Vor ein paar Jahren war das anders. Damals wirkten Vogel und Lindner wie ein Team, Vogel war FDP-Generalsekretär in Nordrhein-Westfalen. Sie haben den entscheidenden Landtagswahlkampf 2017 gemeinsam vorbereitet. Es gibt einen Wahlwerbespot aus dem Jahr, ein ikonisches Video, schwarz-weiße Bilder. Eines zeigt Lindner vor einer Currywurst-Bude, daneben steht Vogel. In einem anderen beugt er sich über Papiere auf einem Tisch, daneben wieder Vogel.

Das Verhältnis hat sich geändert, spätestens seit Lindner 2019 Linda Teuteberg zur Generalsekretärin machte. Wie war das für ihn? Vogel schweigt, bevor er antwortet. „Ich habe nachvollziehen können, dass er sich anders entschieden hat. Es ist kein Geheimnis, dass ich damals Freude an der Aufgabe gehabt hätte – aber später habe ich ja auf eigene Initiative als stellvertretender Bundesvorsitzender kandidiert, und jetzt ist es gut so, wie es ist.“

Vogel und Lindner im Jahr 2017: Damals wirkten sie wie ein Team.

© Imago/Sven Simon/Elmar Kremser

Aus dem Bundestagswahlkampf 2021 gibt es einen ähnlichen Wahlwerbespot. Vogel ist in keiner Einstellung zu sehen. Eine Entfremdung in Bildern.

Im Lied sagt Baz Luhrmann: „Akzeptiere manche Gewissheiten: Preise werden steigen, Politiker werden über die Stränge schlagen, auch Du wirst alt werden – und wenn Du es wirst, wirst Du glauben, dass die Preise früher moderat und Politiker nobel waren, und Kinder noch Respekt vorm Alter hatten.“

Die Familienunternehmer in Siegen haben Vogel eingeladen, grauer Boden, viele Fenster, in der Ecke ein Tisch mit programmiertem Lego-Spielzeug, viele Männer in Anzügen. Auf dem Dach ist eine Solaranlage. Der Termin gerät zu einer Art Scherbengericht.

Frank Sebastian Weber, Geschäftsführer eines Unternehmens in der Region, sagt: „Ich habe sehr viel für die grundlegende Ausrichtung der FDP übrig.“ Aber mit jedem Tag in der Ampel-Koalition falle ihm „die Zuneigung“ schwerer. Die FDP solle „die Koalition verlassen“, wenn das Verhältnis von „Staat und Markt“ nicht mehr durchsetzbar sei. „Verhindern Sie zwei Dinge“, sagt er, „die Rückentwicklung unseres Landes in eine DDR 2.0. Und die zukünftige Regierungsbeteiligung der AfD.“

Er ist nicht der Einzige, der drastische Worte wählt. Die Unternehmer sprechen von Wirtschaftsminister Robert Habeck als „Habot“, eine Mischung aus „Habeck“ und „Verbot“. Die Grünen als „Verbotspartei“ hätten die „Vorherrschaft“. „Klassennote 5 für die FDP“, sagt einer. Die letzten Arbeiten, immerhin, seien besser gewesen. Vogel steht vorn, hält sich an seiner Cola Zero fest und fordert von den Unternehmern, sich einzubringen. „Nicht im Sinne von ,Alles scheiße’“, sagt Vogel, sondern konstruktiv.

Für die FDP ist die kategorische Ablehnung des Ampel-Bündnisses in einem Teil ihrer Basis ein Problem. Wie soll man gegenüber Leuten argumentieren, die behaupten, die Grünen hätten in ihren Reihen keine Unternehmer, „die den Namen verdienen“?

Sie sind so sauer, dass ihre Worte fast ätzend klingen, stellenweise gleiten sie ab in eine Sprache, die die AfD benutzt. Diese Kritik landet jeden Tag bei der FDP. Es ist ein Grund, warum das Bündnis mit SPD und Grünen für sie schwierig bleiben wird.

Baz Luhrmann sagt: „Was auch immer Du machst, klopf Dir nicht zu sehr auf die Schulter, aber geißel Dich auch nicht dafür. Deine Entscheidungen sind halb Zufall, so wie die aller anderen auch.“

Vogel setzt sich wieder ins Auto. Er findet, die FDP solle einen „ganzheitlichen Liberalismus“ bedienen. Nicht nur für Steuern und Tempolimit stehen. Vogel hat schon zu seiner Zeit als Juli-Vorsitzender in den Jahren 2005 bis 2010 entschieden, Sozialpolitiker zu werden.

Für ihn war die Bürgergeld-Reform, mit der die Zuverdienstgrenzen für Kinder aus Familien im Sozialhilfebezug angehoben wurden, ein Meilenstein, er hat daran über ein Jahrzehnt gearbeitet. In diesem Jahr soll die Einwanderungspolitik reformiert werden, seit Jahren wirbt er für ein Punktesystem für Einwanderer nach kanadischem Vorbild. Noch so ein Meilenstein.

Sein verkehrspolitischer Vorstoß stieß in der Partei auf Kritik

Doch die Verlockung, in Zeiten von hohem Druck mit polarisierenden Zitaten Schlagzeilen zu produzieren, ist für FDP-Politiker gerade sehr hoch. Vogel sieht das kritisch. „Unser Problem ist die wahrgenommene Zukunftskompetenz“, sagt er. Die Liberalen müssten „unterscheidbar von den Koalitionspartnern“ bleiben, aber gleichzeitig Optimismus ausstrahlen.

Vogel versucht das. Ein Beispiel: In einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel hatte Vogel im Dezember auf das Auto und das Fahrrad als Zukunft der Mobilität gesetzt. Er forderte eine bauliche Trennung von Radwegen und Straße. „Viel zu lange wurden Fahrradwege an die Straße gepresst“, schrieb er.

Er wollte einen Kontrapunkt zur Auto-fixierten Verkehrsdebatte in seiner Partei setzen. Vogels parteiinterne Kritiker fanden das falsch. Zu viel Fahrrad, keine Konzentration auf die Kernklientel.

Ein Abend im Dezember. Vogel ist zum Wahlkampfauftakt der Berliner Abgeordneten Maren Jasper-Winter in ihr Wahlkreisbüro in Berlin-Mitte eingeladen. Die Menschen hier haben mit den Grünen im selben Kiez wahrscheinlich mehr gemein als mit manchen Parteifreunden aus dem Sauerland.

Vogel spricht mit einem jungen Mann, fast noch ein Jugendlicher, er trägt Käppi, eine Jeans, er will vielleicht Parteimitglied werden. „Was hält Dich noch ab?“, fragt Vogel, der junge Mann weiß es nicht so genau. Vogel lässt nicht locker. „Gibts was, was Dich hadern lässt? Wenn ja, schreib mir“, sagt er. Solche Leute will er haben. Menschen, denen man die FDP-Mitgliedschaft nicht auf den ersten Blick ansieht.

Vogel neben Verkehrsminister Wissing und Lindner während eines Koalitionsausschusses: Manchmal wirkt er ziemlich allein.

© dpa/Christophe Gateau

Zurück im Sauerland, im Auto, auf dem Weg zum nächsten Termin. „Von diesen Menschen brauchen wir mehr“, sagt er. „Aber ich habe auch bei mir im Sauerland das stärkste Wahlergebnis im ländlicheren Westfalen bekommen.“ Soll heißen: Er kann beide Gruppen erreichen. Die Partei kann mit ihm beides.

Vogel spricht über Winfried Kretschmann, den Grünen-Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg. „Kretschmann hat es auf eine grün-konservativ bewahrende Art geschafft, die Grünen mehrheitsfähig zu machen. Ich glaube, auf eine nicht-bewahrend-konservative, sondern gestaltende, optimistische, innovationslustige Art und Weise können wir noch viel mehr Menschen für eine moderne liberale Partei begeistern.“

Insgesamt wird unsere Gesellschaft besser sein, wenn es eine mittelgroße liberale Partei gibt. Daran will ich weiter mitarbeiten.

Johannes Vogel

Vogel redet wirklich so – „innovationslustig“, das steht nicht im Duden – oft ein bisschen verklausuliert. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum er häufig weniger durchdringt als zum Beispiel Kubicki.

Baz Luhrmann sagt: „Fühl Dich nicht schlecht, wenn Du nicht weißt, was Du mit Deinem Leben machen willst. Die interessantesten Menschen, die ich kenne, wussten es mit 22 nicht. Manche der interessantesten 40-Jährigen wissen es immer noch nicht.“

Vogel ist 40 Jahre alt. „An die Zeile habe ich als junger Mensch viel gedacht. Ich wusste es nicht. Manchmal denke ich heute noch daran. Mal sehen, was noch kommt. Die Zeile fühle ich sehr“, sagt er.

Mit 16 Jahren ging er zu den Jungen Liberalen

Er ist in Wermelskirchen aufgewachsen, eine Autostunde vom Sauerland entfernt, mit einer Schwester, die sieben Jahre älter ist und die er sehr bewundert, und Eltern, die sehr liebevoll gewesen seien.

Mit 16 trat er den Jungen Liberalen bei, nachdem er ein Jahr bei der Grünen Jugend gewesen war. Er hat ein Jugendparlament gegründet, früh gemerkt, was er mit Politik bewegen kann. Mit 19 wurde er Rettungssanitäter, das habe ihn erwachsen werden lassen. „Wenn Dein einziges Problem der fehlende Nachtbus nach Köln ist, dann hast Du keine echten Probleme“, sagt er über seine Jugend.

Christian Lindner kommt auch aus Wermelskirchen. Sie waren auf derselben Schule, drei Stufen auseinander. Näher gekannt hätten sie sich damals nicht. Vielleicht wäre es Vogel lieber gewesen, Lindner hätte ihn als Kronprinzen auserkoren, ihn aufgebaut und unterstützt. Doch so denkt Lindner nicht. In einem Porträt in der „Zeit“ war über ihn zu lesen, dass Lindner glaubt, der Nachfolger müsse den alten Anführer wegbeißen. Wie in einem Wolfsrudel.

Vogel aber will nicht beißen. Es bleibt ihm also wenig anderes übrig, als abzuwarten. Es ist eine seltsam passive Rolle, die eigentlich nicht zu Vogel passt. „Insgesamt wird unsere Gesellschaft besser sein, wenn es eine mittelgroße liberale Partei gibt. Daran will ich weiter mitarbeiten“, sagt er.

Und wenn er sich nicht durchsetzen kann?

Baz Luhrmann sagt: „Lebe einmal in New York.“

Als die Stelle im Lied kommt, dreht sich Vogel Richtung Beifahrersitz. Er nickt.

Anmerkung: In einer früheren Version des Textes hieß es, Siegen sei im Sauerland. Tatsächlich ist Siegen im Siegerland. Wir haben den Fehler korrigiert.

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