zum Hauptinhalt
Verkehrsknoten an Grün. Spazierengehen könnte hier laut werden.

© Getty Images / Getty Images/JaCZhou

Update

Fridays for Future und Mobilitätsforscher: Kampf gegen Wissings Autobahnpläne

Rund um Köln und Hannover achtspurig, die A3 oder die A5 sogar zehnspurig – das sind die Pläne des Verkehrsministers. Dabei wächst der Straßenverkehr nach Ansicht von Experten nicht mehr.

| Update:

Die Kritik an Volker Wissings Autobahnplänen nimmt zu. Diese Woche wurde bekannt, welche Autobahn-Projekte der FDP-Verkehrsminister mit dem Status „im überragenden öffentlichen Interesse“ so schnell wie möglich bauen will. Unter anderem sollen Abschnitte in Großstädten wie Köln, Düsseldorf, Hannover und München achtspurig werden. Für die A3 und die A5 in Frankfurt plant Wissing sogar zehn Spuren.

Gegen diese Ausbaupläne will Fridays for Future an diesem Freitag in ganz Deutschland protestieren. „Es gibt keinen Minister in Deutschland, der seine Klimaziele so torpediert wie Verkehrsminister Volker Wissing“, sagte die Sprecherin der Bewegung, Luisa Neubauer, vorab dem Tagesspiegel. Der geplante Autobahnausbau sei eine rote Linie im Verkehrssektor. Deutschland sei bereits voll mit Autobahnen. „Jetzt braucht es eine Kehrtwende, sonst können wir die Klimaziele an den Nagel hängen.“ 

Man werde die Verkehrswende das ganze Jahr in den Fokus stellen, kündigte Neubauer an. Der Autobahnausbau sei ein Relikt aus einer anderen Zeit und keine Antwort auf die heutige Klimafrage und die Mobilitätsbedürfnisse einer alternden Gesellschaft. Neubauer verwies auf ihre Großmutter, die auf die S-Bahn und breite Radwege, auf denen sie mit dem elektrischen Dreirad fahren kann, angewiesen sei.

Sie fahre manchmal auch gerne Auto, betonte Neubauer. Doch von der Verkehrspolitik erwarte sie, dass man auch ohne Auto oder ohne eigenes Auto mobil sein könne. Die Grünen warnte die Umweltaktivistin davor, auf sich die von Wissing geforderte Planungsbeschleunigung von Autobahnprojekten einzulassen. Die Partei habe sich einen Gefallen damit getan, Wissings Gesetzentwurf im Koalitionsausschuss abzulehnen. Die Grünen nähmen offensichtlich war, „dass es eine sehr wache und widerständige Auseinandersetzung der Klimabewegung mit der Verkehrspolitik und den Autobahnplänen von Volker Wissing gibt.“ Neubauer forderte die Ampel auf, ein Autobahn-Moratorium zu verhängen.

Annahmen von einst sind heute nicht mehr gültig

Unterstützt wird ein Ausbau-Moratorium vom Berliner Mobilitätsforscher Andreas Knie. Viele Annahmen, die zur Bewilligung des Autobahn-Ausbaus geführt haben, seien heute nicht mehr gültig, sagt der Professor Tagesspiegel Background.

Beschlossen wurde der noch bis 2030 gültige Bundesverkehrswegeplan 2016 – also vor der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und bevor das Bundesverfassungsgericht sein wegweisendes Klimaschutz-Urteil gefällt hat. „Deshalb sollte die Politik jetzt sagen: Stopp mal, wir müssen gucken, wie sinnvoll diese Projekte noch sind“, findet der Soziologe vom Wissenschaftszentrum Berlin.

Auf Strecken über 50 Kilometer gibt es im Personenverkehr einen Rückgang der gefahrenen Kilometer um 20 bis 25 Prozent.

Andreas Knie Mobilitätsexperte und Soziologe, Wissenschaftszentrum Berlin

Denn die Doppelkrise der vergangenen Jahre hat nicht nur das Wirtschaftswachstum reduziert, die Pandemie hat auch das Mobilitätsverhalten verändert, erklärt Knie. „Auf Strecken über 50 Kilometer gibt es im Personenverkehr einen Rückgang der gefahrenen Kilometer um 20 bis 25 Prozent“, so Knie unter Verweis auf ein aktuell laufendes Forschungsprojekt, das repräsentative Befragungen mit Daten des Navigationsdienstleisters TomTom kombiniert.

Knie geht davon aus, dass dieser in der Corona-Zeit gestartete Trend stabil bleibt. Dank Homeoffice gingen die berufsbezogenen Wege stark zurück – gerade für Fernpendler. Zudem werde die Gesellschaft immer älter, weshalb zunehmend mehr Menschen nicht mehr zur Arbeitsstelle pendeln müssten. „Das Verkehrsaufkommen auf unseren Straßen stagniert deshalb“, sagt Knie. Das Wachstum im Güterverkehr werde durch den Rückgang im Personenverkehr kompensiert.

Verkehrsministerium erwartet nur vorübergehende Delle

Die Experten des Bundesverkehrsministeriums (BMDV) halten das für abwegig. Dass der Verkehr dauerhaft nicht mehr zunehmen werde, habe er noch nie gehört, sagt ein Gutachter, will damit jedoch nicht zitiert werden. Das Verkehrsministerium verweist auf Anfrage auf die zuletzt im Oktober 2022 aktualisierte „gleitende Mittelfristprognose“ für das Verkehrsaufkommen.

Darin gehen die beauftragten Planungsbüros davon aus, dass der motorisierte Individualverkehr bis 2024 nicht das Vor-Corona-Niveau von 2019 erreichen wird. Dämpfend wirken sich laut einem Ministeriumssprecher der Trend zum Homeoffice sowie die gestiegenen Kraftstoffpreise nach Beginn des Ukraine-Kriegs aus. Dieser Trend könne auch noch bis 2026 anhalten.

Was hat Homeoffice für Mobilitätsfolgen?

„Danach steigt das Verkehrsaufkommen im Personenverkehr aber wieder an“, sagt der Sprecher. Denn dann setzten sich E-Autos zunehmend durch, die geringere Betriebskosten als Verbrennerautos haben. Das spiegelt sich auch in der „Gleitenden Langfristverkehrsprognose“ wider. Bis 2051 erwartet das Bundesverkehrsminsterium demnach 5,4 Prozent mehr motorisierten Individualverkehr.

Neben dieser laufenden Aktualisierung der bestehenden Verkehrsprognose arbeitet das Bundesverkehrsministerium derzeit auch an einer völlig neuen Untersuchung des zukünftigen Verkehrs. Aus den bereits veröffentlichten Prämissen für die Verkehrsprognose 2040 geht hervor, wie die BMDV-Gutachter die Wirkung von Homeoffice einschätzen.

Das 49-Euro-Ticket spielt noch keine Rolle

Langfristig könnten demnach rund 20 Prozent der Beschäftigten regelmäßig von zu Hause aus arbeiten, im Mittel zwei bis 2,5 Tage die Woche. Über alle Verkehrsarten gehen Berufsfahrten dadurch um sechs Prozent zurück, prognostizieren die BMDV-Experten, jedoch mehr im ÖPNV als beim Autoverkehr. Das 49-Euro-Ticket spielt in der Debatte zur Verkehrsplanung derzeit keine große Rolle. Denn noch lässt sich schwer abschätzen, wie viele Menschen tatsächlich umsteigen, wenn das Ticket am 1. Mai in Kraft tritt.

Knie sieht einen grundlegenderen Wandel. „Wir sind in einer modernen Gesellschaft angekommen, die nicht mehr den Widerstand des Raumes abbauen muss, um Wohlstand zu generieren“, sagt er. So müssten Beschäftigte für einen guten Job nicht mehr möglichst schnell vom Land in die Stadt kommen, sondern könnten auch zu Hause arbeiten. Er plädiert deshalb dafür, den Fernstraßenausbau weitgehend einzustellen.

In ganz Deutschland waren die Regionalzüge durch das 9-Euro-Ticket voll.

© Imago/Arnulf Hettrich

Denn bisher wurde das wachsende Straßennetz auch mit dem Argument der gleichwertigen Lebensverhältnisse begründet. Zusätzliche Straßen führen deshalb nicht unbedingt zu weniger Staus, sondern eher zu mehr Verkehr, weil Menschen für Arbeit oder Freizeit weitere Distanzen zurücklegen, wie Verkehrswissenschaftler übereinstimmend betonen.

34
Prozent könnte die Transportmenge auf der Straße zulegen.

Das größere Problem beim Verkehrswachstum ist jedoch – da sind sich Volker Wissing und Andreas Knie einig – der Güterverkehr. Wissing verwies zuletzt darauf, dass die Transportmenge auf der Straße bis 2051 um 34 Prozent steigen könnte, die Transportleistung, die auch die gefahrenen Kilometer einbezieht, wächst nach den Prognosen seines Ministeriums sogar um 54 Prozent.

Diese Prognosen seien vielleicht etwas zu optimistisch, aber nicht abwegig, weil die Transportmenge stark vom Wirtschaftswachstum abhänge, erläutert Knie. Zudem gibt es einen Trend zu mehr Onlinebestellungen. Auch das treibt das Verkehrsaufkommen im Güterverkehr.

CO2-Preis soll Transporte unrentabel machen

Der Mobilitätsforscher Knie fordert Wissing deshalb auf, steuernd einzugreifen. „Wenn der Transport teurer wird, werden wir wieder mehr regionale Wirtschaftskreisläufe haben“, sagt er. Mit einem hohen CO2-Preis für den Verkehr lohne es sich nicht mehr, Joghurt durch halb Europa zu fahren. „Es wird dann schlichtweg weniger transportiert.“

Man plane ja bereits, 2024 einen CO2-Preis bei der Lkw-Maut einzuführen, entgegnet das BMDV. Über die Höhe dürfte in der Ampel aber noch viel gestritten werden. Denn Wissing will den Preis nicht zu hoch ansetzen, um die Speditionsbranche nicht zu überlasten. Denn derzeit fehlt es noch an E-Lkw mit ausreichend Reichweite, und auch die Verlagerung auf die Bahn ist aufgrund des maroden Schienennetzes kaum möglich, lauten seine Argumente. Bleibt Wissing bei dieser Haltung, droht der nächste Streit mit den Grünen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false