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Aida Schreiber

© Privat

Investition in die Zukunft: Mit dem Strom gegen den Strom

Südlich der Sahara leben fast 600 Millionen Menschen ohne Strom. Aida Schreiber will das ändern – und damit auch das Klima schützen.

Von Imke Wrage

Als der Anruf kam, war es schon fast zu spät. In wenigen Stunden wollte Nassou Oumar in Marokko ein Boot besteigen. Der junge Afrikaner hatte 5000 Euro für die Schlepper dabei, ein paar Klamotten, ein Handy. Den Rest hatte er in Djoliba gelassen, seinem Heimatdorf in Mali.

Oumar wollte neu anfangen, in Europa, vielleicht Paris – dort, wo es Arbeit gibt. Die Chance auf ein gutes Leben. Dann klingelte sein Handy. „Die Deutschen sind da“, hörte er den Onkel sagen. „Kehr um, Nassou. Sie bringen uns Strom.“

Das Sozialunternehmen Africa GreenTec bringt kleine Solar-Kraftwerke in Länder wie Mali, Niger, Senegal, Tschad und Madagaskar.
Das Sozialunternehmen Africa GreenTec bringt kleine Solar-Kraftwerke in Länder wie Mali, Niger, Senegal, Tschad und Madagaskar.

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Es sind Geschichten wie diese, die sie antreiben, sagt Aida Schreiber. Die sie berühren und ihr zeigen, warum sich ihre Arbeit lohnt – das Risiko, jeder investierte Cent. Aida Schreiber erzählt das per Videochat. Sie ist eine von „den Deutschen“.

Gemeinsam mit ihrem Mann Torsten hat sie 2015 das Sozialunternehmen Africa GreenTec (AGT) gegründet. Mit „Solartainern“, kleinen, mit Sonnenlicht betriebenen Kraftwerken, versorgen sie Dörfer in Mali, Niger, Senegal, Tschad und Madagaskar mit grünem Strom, sauberem Wasser und Internet.

Was das verändern kann, zeigt der Weg von Nassou Oumar: Er kehrte um damals, fuhr zurück nach Djoliba. Er entwickelte ein Geschäftsmodell. Heute ist er Restaurantbesitzer, hat Mitarbeiter, Hühner, ein Auto. „Er führt ein Leben, auf das er stolz ist“, sagt Schreiber. „Er will jetzt nicht mehr weg.“

Ohne Strom kein Licht. Ohne Licht kein Leben.

Oumars Geschichte ist besonders. Und doch eine von vielen. Südlich der Sahara leben fast 70 Prozent der Menschen ohne Strom. Es gibt zwar nationale Stromnetze; Viele Menschen wohnen aber in entlegenen, dünn besiedelten Gebieten. In Dörfern wie Djoliba, gut 5000 Einwohner, eine Autostunde von der Hauptstadt Bamako entfernt, ist der Anschluss an das Stromnetz nicht möglich – oder schlicht nicht profitabel.

Medikamente und Lebensmittel können dadurch nicht gekühlt werden. 40 Prozent der Ernte verderben. Durch die als Folge des Klimawandels steigenden Temperaturen wird das jährlich schlimmer. Hinzu kommt, dass es ohne Strom kein Licht gibt. „Nach Sonnenuntergang versinken Dörfer in Dunkelheit“, sagt Schreiber. Ohne Licht erlischt das Leben.

Schreiber weiß, wovon sie spricht. Sie hat das selbst erlebt. Die 35-Jährige ist in Bamako geboren und aufgewachsen. Die Ferien verbrachte sie im Senegal, dem Geburtsland ihres Vaters. Mit 16 ging sie nach Deutschland. „Ich hatte ein Touristenvisum für drei Monate“, sagt sie.

Dann lernte sie Torsten Schreiber kennen. Beide verliebten sich, wurden früh Eltern. Aida Schreiber blieb. Seitdem hat sie zwei Leben: das im hessischen Hainburg, das privilegierte, mit fließend Wasser, Strom, Licht. Und das in Mali, ihrer Heimat. Das, in dem man aus wenig viel macht. Und wo 2014 das Abenteuer Africa GreenTec begann.

Aida Schreiber hat zwei Leben: eins in Hessen und das in Mali, ihrer Heimat.
Aida Schreiber hat zwei Leben: eins in Hessen und das in Mali, ihrer Heimat.

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Der Mann ihrer Schwester lud sie damals nach Bamako ein. „Dort sollte Torsten den Energieminister treffen“, sagt Schreiber. Der plante, die Energieversorgung in Mali zu verbessern – und erhoffte sich Torsten Schreibers Expertenrat, denn der war damals Mitgründer von bettervest, einer Investitions-Plattform für nachhaltige Geldanlagen. „Er hat sich viel mit dem Klimawandel und mit Energieprojekten beschäftigt.“

Zusammen besichtigten Aida und Torsten Schreiber ein Stromkraftwerk. Und sahen: ein CO2-Monster aus der Kolonialzeit, das 170.000 Liter Diesel am Tag verbrennt „Der Anblick, wie dort Energie gewonnen wird, hat uns schockiert“, sagt Schreiber.

Das Ziel: Drei Millionen Menschen in Subsahara-Afrika mit Strom zu versorgen

Zurück in Deutschland tüftelten sie an Wegen, es besser zu machen. Die Lösung lag nur einen Blick gen Himmel entfernt: Im Vergleich zu Deutschland scheint die Sonne südlich der Sahara etwa doppelt so viele Stunden im Jahr. Sie entwickelten solarbetriebene Container, bauten ein Netzwerk aus Partnern auf, sprachen mit den Menschen der Region. Heute stehen ihre mobilen „Solartainer“ an über 25 Standorten. Viele weitere sollen folgen. Bis 2030 will AGT drei Millionen Menschen mit sauberem Strom versorgen.

Die „Solartainer“ von Africa GreenTec können in 48 Stunden auf- und abgebaut werden.
Die „Solartainer“ von Africa GreenTec können in 48 Stunden auf- und abgebaut werden.

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Das Besondere am „Solartainer“: Er kann in 48 Stunden auf- und abgebaut werden. Dadurch können die Schreibers effektiv auf kurzfristige Bedarfsveränderungen oder politische Instabilität reagieren. Bei Bedarf wird eine Wasseraufbereitungsanlage und eine Satelliten-Kommunikationslösung integriert.

Finanziert wird das per Eigenkapital, Anleihe und Crowd-Investing. Nicht ohne Risiko – finanziell, aber auch persönlich. In Mali herrschen seit fast zehn Jahren Kriege und Terror. Die UN-Mission in Mali gilt als derzeit gefährlichster Einsatz der Vereinten Nationen. Vor allem im Norden des Landes kommt es zu blutigen Konflikten zwischen Rebellen und Regierung. „Das macht die Arbeit vor Ort sehr schwierig“, sagt Schreiber. Auch für sie als Frau.

Ich will keine sein, die nur zusieht. Die Klimakatastrophe betrifft uns alle.

Aida Schreiber, Sozialunternehmerin

Für Frauen ist Mali einer der schwierigsten Orte der Welt. „Man kann das ländliche Afrika mit nichts vergleichen, was es in Deutschland gibt. Das Leben und die Werte könnten unterschiedlicher kaum sein“, sagt Schreiber. Im UN-Gleichstellungsindex rangiert das Land auf einem der letzten Plätze. Malische Frauen unterliegen streng patriarchalen Strukturen. Das bekommt auch Aida Schreiber zu spüren, wenn sie für AGT in Afrika ist. „Es braucht Mut, sich den Männern entgegenzustellen. Sich Gehör und Respekt zu verschaffen.“

„Mein Mann ist GreenTec, ich bin Africa“

Zwischen vier und sechs Monaten verbringen Aida und Torsten Schreiber im Jahr in Afrika, immer dort, wo ihre Projekte gerade aktiv – oder neue Projekte geplant sind. Wie die Rollen- und Arbeitsverteilung bei Africa GreenTec ist? „Mein Mann ist Greentec und ich bin Africa“, sagt Schreiber. Sie meint damit: Er ist der Kopf, zuständig für das Technische und die Finanzen. Ein Machertyp. Sie ist die, die das Land kennt und die Menschen. Eine Vermittlerin zwischen den Welten. Das Herz von AGT.

Um Frauen und Mädchen in ihrer Heimat zu fördern, hat Schreiber ein Woman Empowerment Programm entwickelt. Durch die Versorgung mit Strom und nachhaltigen Lösungen sollen auch sie es leichter haben, eigene Geschäftsmodelle zu entwickeln. Unabhängiger und selbstbestimmter zu leben.

So wie Diessira Diallo: Die Malierin hat in Djoliba einen Kiosk eröffnet. „Seitdem es Strom gibt, hat sie einen Kühlschrank, gekühlte Getränke und Speisen“, sagt Schreiber. Diallos Kiosk ist zentraler Treffpunkt – ihr Einkommen jetzt so hoch, dass sie gut davon leben kann.

Manchmal, sagt Aida Schreiber, wird sie gefragt, warum sie sich das antut. Sie, die den Sprung in ein gutes Leben geschafft hat. Ins reiche Deutschland. Sie könnte den Problemen in ihrer Heimat doch einfach den Rücken kehren!?

Ihre Antwort ist dann: „Ich will keine sein, die nur zusieht. Die Klimakatastrophe betrifft uns alle. Unsere Kinder sollen eine gute Zukunft haben. Es fühlt sich unglaublich gut an, etwas für die Menschen in meiner Heimat zu tun – und eine kleine Delle im Universum zu hinterlassen.“

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