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Grüne Spitzenpolitiker Lang, Habeck, Nouripour: Viel gegeben, wenig bekommen

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Lang verhandelt, doch verloren: Drei Tage der Zumutung für die Grünen

Bislang wirkte vor allem die FDP in der Koalition unglücklich. Doch nach dem Koalitionsausschuss sind es die Grünen, die mit dem Ampel-Bündnis hadern.

Mittwochmorgen, 7.15 Uhr, nach der Marathonsitzung des Koalitionsausschusses. Grünen-Chefin Ricarda Lang versucht gar nicht erst, ihre Unzufriedenheit zu verbergen, als sie ein Interview im Deutschlandfunk gibt. Es sei „ein schwieriger Schritt“ für die Grünen gewesen, der Beschleunigung von 144 Autobahnprojekten zuzustimmen, der Kompromiss tue weh, sagt sie.

Es ist die eine große Kröte, die die Grünen schlucken mussten. Was man beschlossen habe, reiche noch nicht, um die Klimaschutzziele einzuhalten, sagt Lang.

Für die Grünen waren die vergangenen drei Tage eine Zumutung. Wie meist nach dieser Art von Gesprächen wird ein Gewinner und ein Verlierer auserkoren, nur dieses Mal erübrigt sich die Suche. Die Grünen fühlen sich als Verlierer, das ist offenkundig. Der Gewinner, so die Mehrheitsmeinung, ist die FDP.

Das Papier hatten die Koalitionäre von SPD, FDP und Grünen nach über 30 Stunden Verhandlungen überschrieben mit dem Titel: „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“. „Ein großes Werksstück“ hatte Kanzler Olaf Scholz, SPD, das Ergebnis genannt. Danach fühlt es sich für die Grünen aber nicht an. Sie finden, sie hätten beim Klimaschutz nur die schlimmsten Pläne von FDP und SPD verhindert.

Die Grünen fühlen sich als Verlierer

Ein paar Stunden nach dem Interview haben die Grünen Journalisten zu einem Hintergrundgespräch geladen, man darf daraus nicht zitieren, aber so viel kann man sagen: Sie sind enttäuscht, raus aus der Koalition wollen sie aber auch nicht. Dafür sind die Zeiten zu ernst.

Wie unterschiedlich ein Ergebnis wirken kann, merkt, wer nach dem Grünen-Termin zum Hintergrundgespräch der FDP ins Hans-Dietrich-Genscher-Haus geht. Zirka 950 Meter liegen zwischen den Parteizentralen, aber an diesem Mittwoch fühlt es sich an, als wären sie in verschiedenen Welten. Auch daraus darf man nicht zitieren, nur so viel: Die FDP ist gut drauf. Die fünf verlorenen Landtagswahlen? Vergessen, zumindest für einen Moment.

Wissing muss nicht mehr allein für verfehlte Klimaschutzziele haften

Sie freuen sich über die Aufweichung der Sektorziele im Klimaschutzgesetz, künftig ist FDP-Verkehrsminister Volker Wissing nicht mehr allein verantwortlich dafür, dass sein Bereich die Klimaschutzziele regelmäßig verfehlt. Auf einer Pressekonferenz später lobt er, es sei gut, dass „dieses Missverständnis“ geklärt worden sei.

Die ganze Regierung soll nun in Mithaftung genommen werden, wenn die Ziele nicht eingehalten werden. Viele Grüne befürchten, dass dadurch die Verantwortung von einem Haus ins nächste geschoben wird, am Ende fühlt sich niemand zuständig.

Es ist die zweite große Kröte, die die Grünen schlucken mussten. Dafür bekommen haben sie: Die Zusage, dass die Wärmewende, mit der in Deutschland künftig CO2-neutral geheizt werden soll, eingeleitet wird.

Und die LKW-Maut, die aus Sicht der Grünen der einzige wirkliche Erfolg ist. Damit fließt Geld in den Ausbau der Schieneninfrastruktur, deren zusätzlichen Investitionsbedarf die Koalition bis 2027 auf 45 Milliarden Euro schätzt.

Doch was macht das mit einer Koalition, wenn Verlierer und Gewinner so eindeutig feststehen? In all den Erklärungen ist eines offenkundig: Das Gefühl der Grünen, SPD und FDP hätten sich in Klimaschutzfragen gegen sie verbündet.

Christian Lindner (FDP), Ricarda Lang (Grüne), Lars Klingbeil (SPD): Oft waren es SPD und FDP gegen die Grünen
Christian Lindner (FDP), Ricarda Lang (Grüne), Lars Klingbeil (SPD): Oft waren es SPD und FDP gegen die Grünen

© dpa/Michael Kappeler

Sozialdemokraten und Liberale stellen es so dar: Es habe eine Textvorlage gegeben, die in Abstimmung auch mit den Grünen erarbeitet worden sei. Demnach habe Kanzler Olaf Scholz, SPD, mit den wichtigsten Ministern sowohl in Meseberg als auch auf einer Reise nach Japan darüber gesprochen.

Es seien keine Punkte mehr in das Papier gekommen, die nicht schon in der Ursprungsfassung gestanden hätten. Die Grünen hätten sich mehrfach zu internen Beratungen zurückziehen müssen, weil die eigene Position nicht klar gewesen sei.

Nach Auffassung der Grünen aber sei das Papier nicht abgestimmt gewesen. Die Punkte, die für die Grünen wichtig seien, hätten es nicht hineingeschafft. Überhaupt sei erst nach Stunden der zähen Verhandlungen während der ersten Nachtsitzung Bewegung in die Gespräche gekommen. Welche Version stimmt, ist schwierig zu sagen.

Einer aber, der zumindest am Dienstagabend deutlich weniger zerknirscht wirkte, als seine Parteifreunde, war Wirtschaftsminister Robert Habeck. Der Vizekanzler der Grünen wurde bei der ZDF-Sendung „Lanz“ zugeschaltet, er lobte das Ergebnis als „pragmatische Lösung“. Stolz sei er auf die Grünen gewesen, vor allem, weil „wir in der Lage waren, der anderen Seite auch ihren Raum zu geben.“

„Wir waren in der Lage, auch der anderen Seite ihren Raum zu geben.“

Robert Habeck, Vizekanzler und Wirtschaftsminister der Grünen

Das ist typisch für den versöhnlichen Politikstil von Habeck. In den eigenen Reihen wird dieser Stil aber auch mit Argwohn betrachtet. Ein guter Kommunikator, ein schlechter Verhandler, so wird er aus den eigenen Reihen beschrieben.

Die Unzufriedenheit mit dem Verhandlungsergebnis zieht sich durch die gesamte Partei, besonders deutlich wird die Grüne Jugend. „Die Ampel ist mit dem Anspruch angetreten, dass sie die letzte Regierung ist, die noch Einfluss auf die Klimakrise nehmen kann. Dem scheint diese Koalition gerade nicht gerecht zu werden“, sagt Timon Dzienus, Sprecher der Grünen Jugend, dem Tagesspiegel. Dzienus hält die 16 Seiten Beschluss für völlig unzureichend.

Das strategische Problem der Partei

Die Partei hat ein strategisches Problem: Einerseits greift die Umweltbewegung sie an, weil die Grünen am meisten unter ihrem Druck leiden. Eine „Katastrophe“ nannte die Deutsche Umwelthilfe das Papier der Koalition. Andererseits hatten die Grünen vor, in die Breite zu wachsen, neue Wählerschichten zu erschließen. Von Sozialdemokraten und Liberalen wird sie aber zurück in ihre Rolle als Klimaschutzpartei gedrängt. Es wirkt dann, als mache sie vor allem Klientelpolitik.

Im Bundestag in der Fragestunde wirft ausgerechnet die Union der Ampel vor, das Klimaschutzgesetz auszuhöhlen. „Das Klimaschutzgesetz aufweichen, statt es einzuhalten, wie können Sie das verantworten?“, ruft der Unionspolitiker Andreas Jung. Scholz gibt sich gelassen. „Schönen Dank für Ihre Frage“, sagt er, die Kritik weist er zurück, das Gesetz werde noch ambitionierter.

Robert Habeck sitzt daneben. Und er sieht, anders als am Vorabend bei Lanz, mürbe aus. Es wird ungemütlicher in der Ampel, vor allem für die Grünen.

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