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Premierministerin Giorgia Meloni mit den Ministern Orazio Schillaci (Gesundheit), Matteo Piantedosi (Inneres) und Carlo Nordio (Justiz)

© imago/Ansa/Massimo Percossi

Meloni an der Arbeit: Italienische Regierung schickt Signale nach rechts

Die Inflation ist noch kein Thema. Melonis erste Schritte gelten Rave-Partys und der Wiederzulassung ungeimpften Personals in Italiens Kliniken.

Nach Tagen des Streits sah sich der Innenminister zu Erklärungen genötigt: Es sei einfach nur beleidigend, wenn der Regierung vorgeworfen werde, sie wolle die Bürger:innen daran hindern, ihre von der Verfassung garantierten Rechte wahrzunehmen, sagte Matteo Piantedosi dem Corriere della sera. Es gehe nur um Rave-Partys wie die am Wochenende in Modena. Die seien illegal und „gefährlich vor allem für die Teilnehmenden selbst“.

Unter den Ergebnissen der ersten Arbeitssitzung der neuen Regierung Anfang der Woche machte exakt dieser Anti-Rave-Erlass am meisten Schlagzeilen - ein „decreto-legge“, das zunächst auch ohne Parlamentsbeteiligung Gesetzeskraft hat. Die italienische Verfassung erlaubt diese Dekrete eigentlich nur bei höchster Dringlichkeit.

Neuer Straftatbestand ist seit Montag das „Eindringen von mehr als 50 Personen auf Gelände oder Gebäude mit dem Ziel, Versammlungen zu organisieren, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die friedliche Öffentlichkeit oder die öffentliche Gesundheit sind“.

Für Rave-Partys gibt es Haft bis zu sechs Jahren

Partys wie die am Wochenende in einer leerstehenden Fabrikhalle in Modena können demnach ab sofort in drakonische Strafen münden: Haft zwischen drei und sechs Jahren und Geldstrafen zwischen 1000 und 10.000 Euro.

Das sind die Methoden eines Polizeistaats.

Giuseppe Conte, Vorsitzender der Fünf-Sterne-Bewegung

Mit seinem Wortlaut-Interview am Mittwoch im liberalkonservativen Corriere hat der Minister Piantedosi, früher Kabinettschef von Matteo Salvini, als der Lega-Vorsitzende selbst Innenminister war, offenbar versucht, zur Beruhigung beizutragen. Die zerstrittene Opposition war sich zum ersten Mal einig im Nein. Der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung und Juraprofessor Giuseppe Conte sprach von den „Methoden eines Polizeistaats“.

Der Noch-Chef des sozialdemokratischen Partito democratico, Enrico Letta, nannte den Text freiheitsfeindlich und forderte, ihn sofort zurückzuziehen. Das Dekret sei derartig schwammig formuliert, dass es für alle möglichen Polizeieinsätze gegen unerwünschte Versammlungen Anlass liefern könnte, hieß es aus der kleinen Partei „Mehr Europa“: „Es riecht nach Putin.“

Schlagstockeinsatz an der Universität

In den Hauptnachrichten des vielgesehenen nichtöffentlichen TV-Senders La sette trat Moderator Enrico Mentana aus seiner üblichen neutralen Rolle und sprach von einer „zweifelhaften“ Norm. Selbst vom Corriere wurde Piantedosi - der den Erlass zusammen mit Justizminister Carlo Nordio vorgelegt hatte - hart angegangen. Gegen alles, was in Modena womöglich gegen die Gesetze war - Drogen, Hausfriedensbruch - gebe es bereits Gesetze, donnerte dessen Kommentator Beppe Severgnini im Fernsehen: „Wendet sie an!“

Und die Interviewerin Fiorenza Sarzanini hielt dem Minister vor, er habe in nur einer Woche eine Direktive gegen Seenotrettungsschiffe herausgeben, eine Demonstration an Roms Universität Sapienza auflösen und einen Rave räumen lassen: „Heißt Ihre Linie Eingreifen?“ Und: „In Predappio sind Sie nicht eingeschritten.“

Tatsächlich entzündet sich die Wut auf den Rave-Erlass nicht zuletzt am Kontext: Gleich in der ersten Woche der neuen Rechtsregierung gingen Bilder aus der Universität durch die Medien und sozialen Netze, die auf dem Universitätsgelände in Rom Polizisten im Schlagstockeinsatz zeigten.

Faschisten an Mussolinis Grab - „ein Witz“, findet der Minister

Sie gingen gegen Studierende vor, die gegen eine Konferenz einer rechten Gruppierung protestierten - friedlich, wie sie sagen, während die Polizei erklärte, man habe eine Invasion des Versammlungsorts verhindern müssen. Die Rektorin der Universität, die Medizinerin Antonella Polimeni, bestritt, den Einsatz gestattet zu haben.

Innenminister Matteo Piantedosi wird im Fernsehen zu seine Plänen zu Hafenblockaden befragt.

© image/Giuseppe Lami

In Predappio hatten sich hingegen wie jedes Jahr Mussolini-Fans und Faschismus-Nostalgiker:innen versammelt. Aus Anlass der hundert Jahre des „Marschs auf Rom“ fanden sich am Sonntag etwa 2000 von ihnen in Mussolinis Geburtsort in der Emilia-Romagna ein.

Streikende, Studentenproteste, verzweifelte Bürger, die ihre Stromrechnungen verbrennen, besetzte Schulen und Universitäten - seit gestern kann das alles als Verstoß gewertet werden.

Carlo Lania, il manifesto

„Ein Witz“ sei das Treffen und auch frühere linke Regierungen seien nie dagegen eingeschritten, bemerkte Minister Piantedosi auf die Frage der Interviewerin, warum er nicht auch hier habe räumen lassen.

Regierungschefin Giorgia Meloni hat mit dem Dekret gegen unerwünschte Versammlungen bereits jetzt die stärksten Befürchtungen der Gegenseite wahr gemacht und, wie dort vermutet wird, sich auf den erwartbar heißen Herbst in Italien vorbereitet: „Streikende, Studentenproteste, verzweifelte Bürger, die ihre Stromrechnungen verbrennen, besetzte Schulen und Universitäten - seit gestern kann das alles als Verstoß gewertet werden, der Polizeieinsätze ermöglicht“, befürchtet die linke Tageszeitung il manifesto.

Meloni legt Wert auf Symbolpolitik

Die Premierministerin hat damit aber auch wieder ein Bekenntnis zum politischen Symbol, zum Grundsätzlichen abgelegt, was sie schon in ihrer Antrittsrede tat - und was sie verteidigte, als der frühere Premier Monti im Senat mehr Konkretheit im Regierungsprogramm forderte.

Dazu gehört auch ihre Einladung ans impfgegnerische Krankenhauspersonal, wieder an die Arbeitsplätze zurückzukehren. Ihr Vorgänger Draghi hatte hingegen dagegen alle „No-vax-“Ärztinnen und Pfleger verbannt, die die Impfung gegen das Corona-Virus verweigerten. Die Berufsverbände von Pflegekräften und Mediziner:innen sind deshalb bereits auf den Barrikaden.

Die aktuell dringliche Notlage muss dagegen noch warten; um die Energiepreisspirale ging es in der Kabinettssitzung am Montag nicht. Aktuell arbeitet die Regierung angeblich an einem vierten Dekret - nach denen von Draghi - um Privaten und Unternehmen zu helfen. Vier bis fünf Milliarden Euro sollen dafür bereitstehen. Thema werde das aber auch nicht in der Sitzung nächsten Freitag, sondern erst in der nächsten Woche.

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