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Mithilfe des Luftabwehr-Systems Iron Dome versucht Israel, sich vor Angriffen zu schützen.

© Foto: Jack Guez/AFP

Neutralität gegenüber Russland? : „Israel muss Partei für die Ukraine ergreifen“

An diesem Mittwoch empfängt US-Präsident Joe Biden den israelischen Präsidenten Isaac Herzog. Es geht auch um die Ukraine und den Iran. Liefert Israel den Iron Dome?

Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj war der Kragen geplatzt. Er sei schockiert über die mangelnde Unterstützung für sein Landes durch Israel, sagte er. „Ich verstehe nicht, was passiert ist. Ich verstehe nicht, warum sie uns keine Luftabwehrraketen liefern. Israel hat uns nichts geliefert. Nichts. Null.“ Das war vor vier Wochen. Seitdem ist der Bedarf der Ukraine an einem effektiven Luftverteidigungssystem noch größer geworden.

An diesem Mittwoch wird Israels Präsident Isaac Herzog von US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus empfangen. Das Verhältnis der beiden Länder zueinander ist gut, die Liste der Gesprächsthemen lang. Es geht um die anhaltenden Spannungen in der Westbank, das maritime Grenzabkommen zwischen Israel und dem Libanon, aber eben auch um den Iran, die iranischen Drohnen-Lieferungen an Moskau sowie die delikate Position Israels zwischen Moskau und Kiew.

Als Russlands Präsident Wladimir Putin seine Truppen in der Ukraine einmarschieren ließ, blieb Israel neutral. Humanitäre Hilfe ja, Waffenlieferungen nein: Das war die Devise, die sowohl vom damaligen Premierminister Naftali Bennett als auch, zumindest offiziell, von seinem Nachfolger Yair Lapid geteilt wurde. Allerdings lässt Lapid seit längerer Zeit Tendenzen erkennen, die auf eine größere Distanz zu Russland schließen lassen.

180.000
Juden leben in Russland.

Denn je offenkundiger der Krieg eine Auseinandersetzung zwischen Freiheit und Demokratie versus Tyrannei und Brutalität ist, desto größer wird der Druck auf die israelische Regierung, klar und deutlich Position zu beziehen – auch durch Waffenlieferungen.

Israels Zurückhaltung in dieser Frage hat in erster Linie realpolitische Gründe. Israels Armee hat in den vergangenen Jahren Hunderte von Angriffen auf Stellungen in Syrien geflogen. Der Gegner dort ist die vom Iran unterstützte radikalislamische Hisbollah-Miliz.

In Syrien indes verfügt die russische Armee über die Lufthoheit. Ohne deren stillschweigende Einwilligung wäre Israels Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Dmitri Medwedew, der frühere russische Präsident, hat bereits gewarnt: Sollte Israel Waffen an die Ukraine liefern, würden dadurch sämtliche Bande zu Russland zerstört.

Israel hat umfangreiche Erfahrungen mit der Luftabwehr und dem Iron Dome.

Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew

Der zweite Grund für Israels Zurückhaltung ist die Sorge um das Wohlergehen der jüdischen Gemeinden in Russland. Geschätzt leben dort 180.000 Juden. Der Antisemitismus im Land nimmt zu. Zehntausende Juden sind seit Beginn des Krieges bereits ausgereist. Durch Waffenlieferungen wäre jede weitere Immigration womöglich ernsthaft gefährdet.

Doch immer lauter werden die Stimmen jener, die Israel nicht länger an der Seitenlinie stehen sehen wollen. Da sind zum einen die Kamikaze-Drohnen, die das iranische Regime an Russland geliefert hat. Sie greifen die Energie-Infrastruktur der Ukraine und andere zivile Ziele an. Außerdem erwägt Teheran, ballistische Raketen an Russland zu liefern. Kann es Neutralität gegenüber Putin geben, der sich mit dem ärgsten Feind Israels verbündet?

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Bereits im März, in seiner Online-Rede vor der Knesset, dem israelischen Parlament, bat Selenskyj um die Lieferung des Raketenabwehrsystems Iron Dome. In Israel wird es sehr erfolgreich eingesetzt, um das Land vor Raketenangriffen des Islamischen Jihad und der Hamas aus dem Gazastreifen zu verteidigen. Von 470 im vergangenen August abgefeuerten Raketen konnten 97 Prozent abgefangen werden.

„Israel hat umfangreiche Erfahrungen mit der Luftabwehr und dem Iron Dome“, sagte der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, vor einer Woche. „Wir brauchen exakt dasselbe System für den Schutz unserer Städte.“ Leider seien die entsprechenden Gespräche mit Israel darüber bislang erfolglos geblieben.

Die Entwicklung des Iron Dome wurde von den USA finanziell gefördert. Daran wird Biden seinen Gast, Isaac Herzog, an diesem Mittwoch nicht erinnern müssen. Vielleicht aber an die Worte des ehemaligen israelischen Außenministers Shlomo Ben-Ami: „Die israelische Führung muss Partei ergreifen.

Eigentlich sollte ihr die Wahl leichtfallen: Sie besteht zwischen Russlands taktischer Akzeptanz der Handlungsfreiheit der israelischen Luftwaffe in Syrien und Israels strategischem, moralischem und politischem Langzeitbündnis mit den USA und dem Westen.“

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