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Mateusz Morawiecki.

© dpa/Radek Pietruszka

Patriot-Systeme für die Ukraine?: Wie es zu dem überraschenden Sinneswandel der Polen kam

Die von Deutschland zugesagten Patriot-Systeme will Polen lieber in der Ukraine sehen. Die Bundesregierung sieht das kritisch, doch in der Ampel gibt es Unterstützung.

Es ist kurz nach 20 Uhr am Mittwochabend, als Polens Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak einen Tweet verschickt. Er habe sich an die deutsche Seite gewandt, damit die angebotene Patriot-Batterie in die Ukraine verlegt und an deren Westgrenze stationiert würde. Dies schütze die Ukraine vor den russischen Raketenangriffen und erhöhe die Sicherheit an Polens Ostgrenze, argumentierte der Minister.

Zeitgleich mit dem Tweet informierte die polnische Regierung die Bundesregierung in einem Brief über diesen Vorschlag. Thomas Bagger, der bis vor kurzem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in außenpolitischen Fragen beriet und jetzt deutscher Botschafter in Warschau ist, nannte den Vorstoß in einem Interview mit der polnischen Zeitung „Rzeczpospolita“ „schwer zu verstehen“. Auf die Frage, ob Polens Forderung überraschend kam, antwortete Bagger nicht.

Noch zwei Tage vor seinem Tweet hatte Błaszczak das Angebot aus Deutschland begrüßt. Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte dem Nachbarland Patriot-Abwehrsysteme in Aussicht gestellt und zudem angeboten, mit Eurofightern die Überwachung des polnischen Luftraums zu unterstützen.

Sinneswandel in Warschau in nur zwei Tagen

Anlass für das Angebot aus Berlin war der Einschlag einer Rakete in dem polnischen Dorf Przewodow unweit der ukrainischen Grenze, bei dem zwei Menschen getötet wurden. Es handelte sich zwar offenbar um eine ukrainische Flugabwehrrakete, die abgeschossen worden war, um die massiven russischen Raketenangriffe abzuwehren. Doch der Vorfall machte noch einmal deutlich, wie leicht auch Polen in diesem Krieg getroffen werden kann. Als Konsequenz müsse die Nato die Luftverteidigung besser aufstellen, sagte Lambrecht.

Ihr polnischer Amtskollege betonte noch am Montag, er habe das deutsche Angebot „mit großer Zufriedenheit“ zur Kenntnis genommen. Zugleich regte er an, die Patriot-Systeme an der Grenze zur Ukraine zu stationieren, also auf polnischem Boden. Nur zwei Tage später folgte der Sinneswandel. Unterstützung bekam Błaszczak dabei von Regierungschef Mateusz Morawiecki. Was war in der Zwischenzeit passiert?

Wenige Stunden vor dem Tweet des Verteidigungsministers hatte sich der Vorsitzende der nationalkonservativen Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, zu diesem Thema geäußert. Auch ohne Regierungsamt gilt der „Präses“, wie er in Polen genannt wird, als graue Eminenz der polnischen Politik. Auch in diesem Fall war er es, der als erster die Forderung an die Deutschen richtete, die Patriot-Flugabwehrraketen nicht in Polen, sondern direkt in der Ukraine zu stationieren.

Opposition: PiS-Regierung gegen deutsche Hilfe

In der Vergangenheit war Kaczyński immer wieder mit scharfen Tönen Richtung Deutschland aufgefallen. Kürzlich hatte er von einer angeblichen „deutschen Vorherrschaft“ innerhalb der EU gesprochen. Im kommenden Jahr stehen in Polen Parlamentswahlen an. Das Verhältnis zwischen Berlin und Warschau wird derzeit durch polnische Reparationsforderungen für Schäden im Zweiten Weltkrieg belastet. Auch dieses Thema hatte Kaczyński maßgeblich vorangetrieben.

Innerhalb der polnischen Opposition wird der Vorstoß aus Warschau als Versuch der PiS-Regierung gesehen, das Angebot aus Berlin abzulehnen, ohne das direkt zu sagen. „Es ist schwierig, deutsche Hilfe anzunehmen und gleichzeitig Deutschland in der Politik zu bespucken, wo immer man kann, und ihm fast aggressive Absichten gegenüber Polen zu unterstellen“, sagte Ex-Präsident Bronisław Komorowski.

Selbst wenn die Bundesregierung nun auf den Vorschlag aus Warschau eingehen wollte, wäre das nicht so schnell möglich. Falls die Patriot-Systeme nach Polen geschickt würden, könnten sie dort von Bundeswehr-Soldaten bedient werden. In die Ukraine dürften die Deutschen dagegen nicht entsandt werden. An den Systemen müssten also erst ukrainische Soldaten ausgebildet werden.  

Der polnische Vorschlag, die Patriot-Flugabwehrsysteme direkt an die Ukraine statt an Polen zu liefern, ist ein guter Vorschlag, denn dort werden sie gebraucht.

Anton Hofreiter, Grünen-Bundestagsabgeordneter

Für die Idee aus Warschau gibt es innerhalb der Ampel-Koalition allerdings durchaus Unterstützung: „Der polnische Vorschlag, die Patriot-Flugabwehrsysteme direkt an die Ukraine statt an Polen zu liefern, ist ein guter Vorschlag, denn dort werden sie gebraucht“, sagte der Grünen-Abgeordnete Anton Hofreiter dem Tagesspiegel. „Das verringert auch die Gefahr einer Verwicklung weiterer Staaten in den Krieg.“

Auch der FDP-Verteidigungspolitiker Marcus Faber sprach von einem „hilfreichen Vorschlag“. Die Nutzung der Luftverteidigungssysteme innerhalb der Ukraine könne nur mit ukrainischen Soldaten erfolgen. „Ihre Schulung zur Nutzung wäre jetzt unmittelbar notwendig“, schrieb der FDP-Abgeordnete auf Twitter. Die Lieferung von Luftverteidigungssystemen in die Ukraine sei auch humanitäre Hilfe, weil damit zivile Infrastruktur geschützt werde. „Die Zeit für Halbherzigkeit ist angesichts des Terrors gegen die Zivilbevölkerung vorbei.“

In einer Reaktion auf den polnischen Vorstoß verwies Lambrecht darauf, die Patriots seien in die integrierte Luftverteidigung der Nato eingeplant. Polens Vorschlag müsse also innerhalb des Bündnisses diskutiert werden. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hält eine Lieferung von Patriot-Systemen an die Ukraine für möglich. Das sei eine nationale Entscheidung, sagte Stoltenberg.

Auch Polens Präsident Andrej Duda betonte am Freitag, die Entscheidung, wo die Patriot-Systeme stationiert werden, liege bei Deutschland. In Warschau heißt es, Duda sei bei dem überraschenden Kurswechsel der Regierung nicht eingebunden worden.  

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