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Eine Kundgebung von Reichsbürgern am Brandenburger Tor.

© Imago/Snapshot

Bundesweite Razzia gegen Reichsbürger: Die lange unterschätzte Gefahr

Sie sind vernetzt und verfeindet, sie wollen ein anderes Deutschland. War der Einsatz von 3000 Polizisten gegen eine Reichsbürgergruppe übertrieben?

Es klingt unglaublich: Ein 71-Jähriger aus altem Adelsgeschlecht plant den Umsturz und will sich zum Staatsoberhaupt Deutschlands küren. Ein paar dutzend Mitstreiter hat er schon.

Braucht es wirklich 3000 Polizisten, um dieses Netzwerk, wie Mittwoch geschehen, auszuheben? War die Bundesrepublik so stark in Gefahr?

Wer jetzt behauptet, wie es einige Kommentatoren tun, dass die Sicherheitsbehörden bei ihrer bundesweiten Razzia gegen Heinrich XIII. Prinz Reuß und seine mutmaßlichen Komplizen mit Kanonen auf Spatzen geschossen hätten, hat wohl weder Ahnung von dem Einsatz noch davon, wie massiv und drängend das Problem der Reichsbürger mittlerweile geworden ist. 

Von den 21.000 Deutschen, die der Szene laut Verfassungsschutz angehören, gilt jeder Zehnte als gewaltbereit. Der Anteil der Bewaffneten ist aber weit höher. 

21.000
Reichsbürger gibt es laut Verfassungsschutz inzwischen.

Zwar konnten am Mittwoch „nur“ 25 Reichsbürger festgenommen werden. Doch es wurde ein Vielfaches an Beweisen sichergestellt, die nun helfen werden, das Netzwerk umfassend zu verstehen und zu bekämpfen. Insgesamt wurden 150 Objekte durchsucht. Macht im Schnitt 20 Beamte für jedes Objekt. Wer will sich anmaßen zu behaupten, 20 Beamte seien zu viele, wenn die Gefahr besteht, vor Ort auf Bewaffnete zu treffen?

Dass auch Reichsbürger, die offiziell nicht als “gewaltbereit” eingestuft sind, am Ende losschießen, wenn sie sich bedroht fühlen, war mehrfach zu beobachten. Erst im April dieses Jahres wurde im baden-württembergischen Bobstadt ein Polizist schwer verletzt, als er versuchte, einen Reichsbürger zu entwaffnen. Der Mann schoss dem Beamten ins Bein. Bei ähnlichen Situationen gab es bereits Tote.

Der Gruppe, die am Mittwoch festgenommen wurde, gehörten Ex-Elitesoldaten, ein KSK-Mitarbeiter und Polizisten an. Sie wollten die Bundesrepublik wohl mit Gewalt beseitigen und hätten dafür auch Tote in Kauf genommen.

Nicht ernst genommen, weil sie komisch klingen

Die Dynamik der Szene wurde von der Öffentlichkeit, der Politik und Behörden über Jahre unterschätzt, was auch an den kruden Überzeugungen der unterschiedlichen Gruppen liegt, die oft stark voneinander abweichen. Was alle eint, ist ihre Ablehnung der Bundesrepublik. Viele glauben, diese sei eine Firma, Deutschland besetztes Land. Dafür argumentieren sie mit falsch ausgelegten Paragraphen, historischen Unwahrheiten oder dem Weltpostvertrag.

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Davon abgesehen sind die Gruppen untereinander verfeindet, da jede die Macht für sich beansprucht: Die „Exilregierung Deutsches Reich“ lehnt die „Kommissarische Reichsregierung“ ab, der „Freistaat Preußen“ aus Verden fehdet gegen den „Freistaat Preußen“ aus Niederkrüchten und die „Republik Freies Deutschland“.

Der bekannteste Reichsbürger ist Peter Fitzek, selbsternanntes Staatsoberhaupt des „Königreichs Deutschland“. Von seinen Anhängern wird er „Imperator Fiduziar“ genannt. Der 57-jährige Karatelehrer musste sich schon mehrfach vor Gericht verantworten, wegen gefährlicher Körperverletzung, Untreue, unerlaubten Betreibens von Bankgeschäften, illegaler Versicherungsgeschäfte, Urkundenunterdrückung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

Aktuell will Fitzek eine eigene Währung namens “Neue Deutsche Mark” einführen. Es wäre die nächste Straftat. Fitzeks Verhalten ist für die Szene symptomatisch: Weil Reichsbürgern die Einsicht fehlt, lenken sie nicht ein, sondern eskalieren. Wenn man sie lässt.

Die deutschen Sicherheitsbehörden sahen sich in der Vergangenheit zurecht schweren Vorwürfen ausgesetzt: wegen des vielfachen Versagens im NSU-Komplex, der unzureichenden Aufklärung des Hannibal-Netzwerks, den ewig unentdeckten Umtrieben von Extremisten bei den Kommando Spezialkräften. Auch wegen Anis Amri, dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, der monatelang von Ermittlern beobachtet wurde, ohne dass diese einschritten.

Besonders vor diesem Hintergrund ist der Vorwurf, die Razzia am Mittwoch sei überdimensioniert ausgefallen, mindestens genauso töricht wie die Thesen der Reichsbürger.

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