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dpatopbilder - 07.12.2022, Hessen, Frankfurt/Main: Bei einer Razzia gegen sogenannte «Reichsbürger» führen vermummte Polizisten, nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß (2.v.r.) zu einem Polizeifahrzeug. Die Bundesanwaltschaft hat am Mittwochmorgen mehrere Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene im Zuge einer Razzia festnehmen lassen. Zahlreiche Beamte seien in mehreren Bundesländern im Einsatz, sagte eine Sprecherin der Karlsruher Behörde . Foto: Boris Roessler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Boris Roessler

Das Netz: Wie Reichsbürger und Rechtsextreme den Umsturz planten

Eine bewaffnete Terrorgruppe wollte in Deutschland die demokratische Ordnung beseitigen. Wie gefährlich waren die Pläne?

Der Rädelsführer trägt Einstecktuch und Krawatte, die grauen Haare hat er nach hinten gekämmt. „Deutschland ist kein souveräner Staat“, sagt Heinrich XIII. Prinz Reuß. Der 71-Jährige spricht 2019 auf einer Konferenz, das Video kann man heute im Netz ansehen. In seiner Rede legt er sein Weltbild dar. Die Freimaurer hätten den Ersten Weltkrieg ausgelöst, erklärt er. Hitler sei durch US-Kapital unterstützt worden, um einen jüdischen Staat zu schaffen. Am Ende fordert der Mann einen Friedensvertrag, damit Deutschland ein eigenständiger Staat werden könne.

Was Prinz Reuß sagt, klingt wirr. Doch er ist nach Ansicht von Sicherheitsbehörden gefährlich. Prinz Reuß ist eine der Führungsfiguren einer rechtsextremen Terrororganisation aus dem Reichsbürgermilieu. Mit seinen Mitstreitern plante er einen Umsturz in Deutschland. Und das konkret. Zur Gruppe gehörten ein Soldat des KSK bei der Bundeswehr und eine Reihe ehemaliger Militärangehöriger. Die Organisation verfügte über Waffen und erwog, gewaltsam in den Bundestag einzudringen.

Die Bundesanwaltschaft hat am Mittwochmorgen 25 Menschen aus der Gruppe im Zuge einer groß angelegten Razzia festnehmen lassen: 22 Mitglieder und drei mutmaßliche Unterstützer. Rund 3000 Beamte waren in elf Bundesländern im Einsatz, es war eine der größten Razzien gegen Extremisten, die es je in Deutschland gegeben hat. Es gab 150 Durchsuchungen. „Die Ermittlungen lassen in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung aus dem Reichsbürger-Milieu blicken“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Die Vereinigung sei „von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien“ getrieben.

Der Vereinigung ist bewusst, dass es dabei auch zu Toten kommen wird.

Bundesanwaltschaft

Die Szene

Die Reichsbürger-Szene wurde lange belächelt. Ihre Angehörigen streiten die Existenz Deutschlands als souveräner Staat ab, lehnen die Rechtsordnung der Bundesrepublik ab und zahlen oft keine Steuern. Ihre kruden Ideen wirken verrückt. Doch harmlose Spinner sind sie nicht. Bereits 2016 schoss ein Reichsbürger in Bayern, der bei sich zu Hause Waffen gehortet hatte, auf mehrere Polizisten und tötete einen von ihnen. Im vergangenen Jahr schätzte der Verfassungsschutz das Personenpotenzial der Reichsbürger und Selbstverwalter in Deutschland auf 21.000 Menschen, Tendenz steigend. Etwa jeder Zehnte gilt als gewaltbereit.

Ausgangspunkt der Ermittlungen gegen die Terrorgruppe um Prinz Reuß waren Sicherheitskreisen zufolge die Durchsuchungen im Frühjahr bei der Gruppe „Vereinte Patrioten“, die einen Umsturz und die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplant hatte. Die Ermittler stießen auf ein Netzwerk, beobachteten, setzten Puzzleteile zusammen. 

Der Fall hat für die Sicherheitsbehörden eine Dimension, die „absolut ungewöhnlich“ sei, sagt ein Experte dem Tagesspiegel. Eine derart große Terrorgruppierung jenseits von linksextremer und islamistischer Militanz habe es in der Geschichte der Bundesrepublik bislang nicht gegeben.

Das Netzwerk

Das Frappierende an dem Fall sei auch, sagen Sicherheitskreise, wie schnell die Terrorgruppe gewachsen sei. Von einem Schneeballsystem ist die Rede. Immer mehr Leute seien angesprochen und rekrutiert worden. Zum Netzwerk der Terrorgruppe gehören Reichsbürger, Verschwörungsideologen, Corona-Leugner und Rechtsextremisten. Neben dem hessischen Unternehmer Prinz Reuß, der ein Jagdschloss in Ostthüringen besitzen soll, gilt als zweiter Rädelsführer Rüdiger von P.

Er war einst Offizier bei den Fallschirmjägern der Bundeswehr, wurde aber bereits vor mehreren Jahren unehrenhaft entlassen. Er soll Waffen der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR entwendet haben. Der Oberstleutnant kommandierte von 1993 bis 1996 das Fallschirmjägerbataillon 251. Aus der im baden-württembergischen Calw stationierten Truppe ging später das Kommando Spezialkräfte (KSK) bei der Bundeswehr hervor. Nach Informationen des Tagesspiegel hat von P. eine Meldeadresse in Brasilien, hielt sich aber zuletzt in der Region Freiburg auf. Hier wurde er jetzt auch festgenommen.

Sicherheitskreisen zufolge hat die Gruppe zahlreiche frühere Soldaten rekrutiert. Da ist zum Beispiel der ehemalige Bundeswehr-Oberst Maximilian E., der als Kommandeur ein Panzergrenadierbataillon in den Kosovo-Einsatz führte. Dazu kommt ein aktiver Soldat aus dem KSK, laut „Spiegel“ der Stabsfeldwebel Andreas M., der offiziell noch als Logistiker dient, aber vom Militärischen Abschirmdienst als „Querdenker“ eingestuft wurde und seine Entlassung aus der Bundeswehr beantragte.

Mehrere Mitglieder der Gruppe hätten sich bei den Corona-Protesten radikalisiert, sagten Sicherheitskreise. Diese „Querdenker“ kamen dann in Kontakt mit Reichsbürgern, die schon länger gegen die Bundesrepublik agitieren. Für die Sicherheitsbehörden ist erschreckend, dass einst unauffällige Bürger sich in kurzer Zeit derart radikalisieren, dass sie sogar in Terrorismus abdriften.

Zur Gruppe gehört auch der ehemalige Kriminalhauptkommissar Michael F. Bereits 2020 war der Polizist vom Dienst entbunden worden, nachdem er in einer Rede die damaligen Corona-Regeln mit dem Nationalsozialismus verglich. F. war einer der führenden Protagonisten der niedersächsischen „Querdenker“-Szene. Dazu kommen Angehörige der Neonazi-Prepperszene wie Peter W. aus Bayreuth, der unter dem Namen „Wolfszeit Naturkraft” Seminare im sogenannten Survivaltraining anbietet.

Die frühere Berliner AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann.

© picture alliance/Gregor Fischer

Eine zentrale Figur in der Umsturzgruppe ist außerdem die ehemalige AfD-Abgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag wieder in ihrem Beruf als Richterin arbeitete. Sie soll ihren Mitstreitern zu einem baldigen Schlag geraten haben.

Die Pläne der Gruppe

Laut Bundesanwaltschaft plante die Terrorgruppe seit November 2021 den Umsturz. Die Vereinigung habe die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland überwinden wollen, berichtet die Bundesanwaltschaft. „Den Angehörigen der Vereinigung ist bewusst, dass dieses Vorhaben nur durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten verwirklicht werden kann“, heißt es. Hierzu zähle auch die Begehung von Tötungsdelikten.

Die Mitglieder der Gruppe seien einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen gefolgt, bestehend aus Narrativen der Reichsbürger-Szene sowie der QAnon-Ideologie. Sie seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines „Deep State“, also eines „Tiefen Staats“, regiert werde. Das Einschreiten eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika, stehe der Überzeugung der Gruppe nach kurz bevor.

Tote billigend in Kauf genommen

Ein „militärischer Arm“ sollte den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen „beseitigen“, hieß es. Der Vereinigung sei zwar bewusst, dass es dabei auch zu Toten kommen werde, habe das aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung ihrer Ziele zumindest billigend in Kauf genommen.

Die Terrorgruppe wollte eine Übergangsregierung bilden, die die neue staatliche Ordnung in Deutschland mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs verhandeln sollte. Zentraler Ansprechpartner für diese Verhandlungen sei aus Sicht der Vereinigung die Russische Föderation, hieß es. Prinz Reuß hatte bereits Kontakt mit Vertretern Russlands in Deutschland aufgenommen. Seine Lebensgefährtin stammt offenbar aus Russland. Sicherheitskreise betonen aber, bislang gebe es keine Anzeichen dafür, dass die Terrorgruppe von Russland unterstützt oder sogar gesteuert wurde.

Seit Ende November 2021 arbeitete die Gruppe auf ihr Ziel hin. Das habe die Planung verwaltungsähnlicher Strukturen, die Beschaffung von Ausrüstung, die Durchführung von Schießtrainings sowie die Rekrutierung neuer Mitglieder umfasst, heißt es von den Ermittlern. Zentrales Gremium der Gruppierung ist laut Bundesanwaltschaft der „Rat“, dem Prinz Reuß vorsteht. Er sollte künftiges Staatsoberhaupt werden. Für das Ressort Justiz sollte die Ex-AfD-Abgeordnete Malsack-Winkemann zuständig sein. Sie verfügte auch über die für die Umsetzung der Umsturzpläne wichtige Ortskenntnis im Bundestag. 

Die Gruppierung habe sich mehrere Termine für einen „Tag X“ gesetzt, an dem sie zuschlagen sollte, berichten Sicherheitskreise. Es habe allerdings interne Unstimmigkeiten gegeben, deshalb sei an keinem Tag X etwas passiert.

Die Gefahr sei dennoch hoch gewesen, dass die Gruppierung angreift. Mehrere Mitglieder hätten legal Waffen besessen, außerdem seien illegal Schusswaffen beschafft worden. In Chatgruppen und bei persönlichen Treffen hatten die Mitglieder ihre Pläne entwickelt. „Das war sehr konkret“, heißt es aus Sicherheitskreisen.

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