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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

© AFP/Odd Andersen

Update

Scholz bilanziert „Ein Jahr Zeitenwende“: „Wir achten bei jeder Entscheidung darauf, dass wir nicht Kriegspartei werden“

Der Bundeskanzler nennt in seiner Zwischenbilanz Bedingungen für einen Friedensschluss in der Ukraine. Zudem ruft er China zum Verzicht auf Waffenlieferungen an Russland auf.

| Update:

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Donnerstagmorgen gut ein Jahr nach seiner „Zeitenwende“-Rede infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine eine Zwischenbilanz gezogen. In seiner Regierungserklärung mit dem Titel „Ein Jahr Zeitenwende“ sprach er nicht nur über die damit verbundene Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik.

Scholz betonte in seiner Rede einmal mehr, dass es keinen Friedensschluss über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg geben werde.

Da nichts dafür spreche, dass Russlands Präsident Wladimir Putin zum Frieden zurückkehren will, müsse sich die Ukraine mithilfe des Westens weiter wehren. „Würde die Ukraine aufhören, sich zu verteidigen, dann wäre das kein Frieden – das wäre das Ende der Ukraine“, sagte Scholz. „Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln.“

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Der Kanzler zeigte sich enttäuscht, dass China nicht bereit ist, den Angriffskrieg zu verurteilen – und rief das Regime in Peking zum Verzicht auf Waffenlieferungen an Russland auf.

Auch die westlichen Waffenlieferungen sprach er an. Scholz nannte die deutsche Militärhilfe im Wert von 2,6 Milliarden Euro für die Ukraine ein „unserem Land angemessenen Betrag“.

Die von ihm geführte Regierung mache sich die Entscheidung bei Waffenlieferungen niemals leicht, erklärte er. „Wir achten bei jeder Entscheidung darauf, dass die Nato nicht zur Kriegspartei wird.“

Bekräftigung des Zwei-Prozent-Ziels

Scholz sprach auch das Zwei-Prozent-Ziel an, das er den Nato-Partnern gegeben hatte. „Diese Zusage, die ich am 27. Februar des vergangenen Jahres gegeben habe, gilt.“

Der Bundeskanzler hatte in seiner „Zeitenwende“-Rede vor einem Jahr angekündigt, dass Deutschland zukünftig Jahr für Jahr zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung ausgeben werde. Ein Ziel, das Prognosen zufolge auch 2023 nicht erreicht wird.

Ich wünsche mir, dass wir diese „Deutschland-Geschwindigkeit“ beibehalten.

Bundeskanzler Olaf Scholz

„Wir sind gut durch diesen Winter gekommen – auch ohne russische Gaslieferungen“, bilanzierte Scholz zudem. Es sei zuvor die Rede von einem „heißen Herbst“ und „Wutwinter“ gewesen, so der Kanzler: „Nichts davon ist eingetreten.“

Scholz sagte, er habe von der neuen „Deutschland-Geschwindigkeit“ gesprochen. „Ich wünsche mir, dass wir diese „Deutschland-Geschwindigkeit“ beibehalten – als Fortschritt, den unser Land aus der Zeitenwende mitnimmt. Besonders wichtig ist das mit Blick auf die industrielle Transformation und den Ausbau der erneuerbaren Energien.“

Der Ausbau der erneuerbaren Energien solle verdreifacht werden, zu Wasser, zu Land und auf dem Dach. Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien produziert werden, derzeit ist es knapp die Hälfte. „All das war schon vor der Zeitenwende richtig. Jetzt aber sind all diese Aufgaben noch wichtiger, noch dringlicher“, so Scholz.

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Am 27. Februar 2022 – drei Tage nach Kriegsbeginn – hatte Scholz in einer Sondersitzung des Bundestags ein 100-Milliarden-Programm zur Aufrüstung der Bundeswehr ankündigt. Bereits am Vorabend seiner damaligen Regierungserklärung waren die ersten Waffenlieferungen an die Ukraine für den Abwehrkampf gegen Russland beschlossen worden – ein Tabubruch.

„Wir erleben eine Zeitenwende. Das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor“, sagte Scholz damals im Bundestag. „Zeitenwende“ ist nicht nur in Deutschland zum Wort des Jahres 2022 gekürt worden, sondern inzwischen auch ein feststehender Begriff der internationalen Sicherheitspolitik.

Aber was ist aus den Ankündigungen des Kanzlers geworden? 

Militärhilfe im Wert von 2,6 Milliarden Euro für die Ukraine

Erst waren es Panzerfäuste und Stinger-Raketen. Heute sind es Schützen- und Kampfpanzer. Die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine sind in den vergangenen zwölf Monaten Schritt für Schritt ausgeweitet worden.

Inzwischen hat Deutschland Militärhilfe im Wert von 2,6 Milliarden Euro für die Ukraine geleistet. In absoluten Zahlen liegt Deutschland damit zwar weit hinter den USA, ist aber etwa gleichauf mit Großbritannien die Nummer zwei unter den Geberländern weltweit.

Bemisst man die Militärhilfe an der Wirtschaftskraft reicht es nach einer Statistik des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) allerdings nur für Platz 18 unter den 30 Nato-Staaten. Da liegen die drei baltischen Staaten und Polen – alle direkte Nachbarn Russlands – weit vorne.

Merz wirft Scholz fehlendes Tempo beim Bundeswehr-Ausbau vor

Vor einem Jahr bekam Scholz für seine Rede noch viel Applaus aus den Reihen der CDU und CSU für seine Ankündigung, die Bundeswehr mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zu modernisieren.

Mittlerweile macht die größte Oppositionsfraktion ihrem Unmut lautstark Luft. Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) warf Scholz am Donnerstag im Anschluss an dessen Regierungserklärung fehlendes Tempo beim Ausbau der Bundeswehr vor.

Der Verteidigungsetat sei trotz der Ankündigung, mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben zu wollen, gesunken.

Vom 100-Milliarden-Euro-Sondertopf, dem sogenannten Sondervermögen für die Bundeswehr, seien erst 600 Millionen ausgegeben. „Was ist eigentlich im zweiten Halbjahr 2022 geschehen, dass diese Zusagen, die sie gegeben haben, auch umgesetzt werden?“

Merz fügte mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine hinzu, man werde „Jahre, wenn nicht Jahrzehnte“ Sicherheit in Europa nicht mehr mit, sondern gegen Russland organisieren müssen. „Und dazu, Herr Bundeskanzler, müssen Entscheidungen getroffen werden und nicht nur Regierungserklärungen abgegeben werden.“

„Wir sind an die Regularien und Gesetze gebunden und dürfen erst zahlen, wenn die Leistung erbracht ist“, heißt es. Unter anderem werde die Vollausstattung der Soldaten mit Kleidung, die Bewaffnung von Drohnen und die Beschaffung der US-Tarnkappenjets F-35 mit dem bereits verplanten Geld finanziert.

Es wird heftig darüber gestritten, ob und inwieweit der reguläre Wehretat noch einmal deutlich angehoben werden muss. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hält das für notwendig, Grüne und Teile der SPD sehen das anders.

1,44 statt 2,0 Prozent des BIP für Verteidigung

Von der Aufstockung wird auch abhängen, ob Scholz in absehbarer Zeit das zentrale Versprechen an die Nato-Partner aus seiner Zeitenwende-Rede einhalten kann. „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren“, sagte er vor einem Jahr.

2022 lag der Anteil nach der offiziellen Nato-Statistik erst bei 1,44 Prozent. Für das laufende Jahr werden nach internen Berechnungen der Bundesregierung 1,6 Prozent erwartet. Um die zwei Prozent zu erreichen, müsste der Wehretat um 15 auf 65 Milliarden Euro aufgestockt werden. (Tsp, dpa)

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