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Der "kleine Nervenkitzel" Dr. Jill Biden zu sein? Der Essayist Jospeh Epstein hat die künftige First Lady in einer Kolumne attackiert.

© Twitter

Kontroverse um Doktor-Titel von Jill Biden: Sexismus ist etwas anderes

„Besteht die Möglichkeit, dass Sie das ,Dr.‘ weglassen?“, wird Jill Biden in einer Kolumne gefragt. Die Aufregung darüber ist übertrieben. Ein Zwischenruf.

Eine Kolumne von Ariane Bemmer

Hierzulande findet man Dr.-Titel manchmal an Klingelschildern in Villenvierteln. Manchmal werden sie (und nicht nur von Ministerinnen) Unterschriften beigefügt. Man findet sie in Mail-Signaturen und in früheren Zeiten in den Reservierungsbüchern von Restaurants.

Man findet sie auch in Sketchen von Loriot (Herr Dr. Klöbner), was ebenso ein unbedingter Hinweis auf ihr Ambivalenzpotenzial ist, wie auch der Umstand, dass Politiker sie wegen Fälschungen bereits in Größenordnungen wieder zurückgeben mussten.

Bei Jill Biden, Ehefrau von Joe Biden, und damit künftige First Lady der USA, findet der Dr.-Titel sich unter anderem im Namen ihres Twitteraccounts: DrBiden. Was dazu führt, dass der demnächst 46. US-Präsident Joe Biden, wenn er seine Frau in seinen Twitternachrichten erwähnt, die 21,2 Millionen Follower haben, von ihr als @DrBiden spricht. Und wer weiß, vielleicht nennt er sie auch beim Abendbrot so.

Man könnte den Twitternamen Dr. Biden einfach für eine etwas angeberische Namensgebung halten, man könnte ihn ignorieren, man könnte denken, wer sich so nennt, sei vermutlich Ärztin. Man könnte den Accountnamen unter Berufung auf Loriot auch verspöttelnswert finden.

Aber in einer Zeitung vorschlagen, dass sie den Titel weglassen sollte? Dafür ist ganz definitiv nicht die richtige Zeit. Der Essayist Joseph Epstein hat im „Wall Street Journal“ etwas in der Art getan. Er hat Jill Biden gefragt, ob sie den Titel nicht lieber weglassen wolle: „Madame First Lady -- Mrs. Biden – Jill kiddo: ein kleiner Ratschlag in einer scheinbar kleinen, aber meiner Meinung nach nicht unwichtigen Angelegenheit: Besteht die Möglichkeit, dass Sie das ,Dr.‘ vor Ihrem Namen weglassen?“ Denn, so Epstein, „Dr. Jill Biden“ klinge betrügerisch und ein bisschen komisch.

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Er führt dann aus, dass sie ja gar keine Ärztin sei, sondern ihren Doktortitel in Erziehungswissenschaften erlangt habe. Und diese Doktortitel-Erringungsanstrengungen seien heutzutage (Jill Biden promovierte mit 55) kaum herausfordernder als ein „Kaffeeklatsch“ – so das Wort im englischen Text - mit einem freundschaftlich gesonnenen Prüfungskomitee. Epstein verweist auf Doktortitel als Dankeschön für große Spenden.

Das ist natürlich alles äußerst frech, und es ist wohl anzunehmen, dass Epstein das wusste und auch, was er damit auslösen wird. Und so ist es denn auch gekommen. Die Empörung ist gewaltig. Das sei sexistisch, hieß es von Jill Bidens Sprecherin. So etwas hätte niemals jemand über einen Mann geschrieben, stellt Joe Biden klar. Jill Biden habe ihre Titel durch harte Arbeit erlangt, stellte der Ehemann der künftigen Vizepräsidentin Kamala Harris klar.

"Ihr Name ist Dr. Biden. Gewöhnen Sie sich dran."

Hillary Clinton twitterte im Befehlston: „Ihr Name ist Dr. Biden. Gewöhnen Sie sich dran", es gibt den Hashtag #DrBiden, und Jill Biden hat in einer Reaktion darauf hingewiesen, dass die Präsidentschaft ihres Mannes auch dafür gut sein werde, die Errungenschaften von Frauen hervorzuheben statt sie runterzumachen.

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Auch die Northwestern University, an der Epstein lange als Dozent tätig war, und die er in seiner Kolumne nicht nur erwähnt, sondern als Beispiel für die Nichtswürdigkeit von Doktortiteln anführt (die Tennisspielerin Billie Jean King erhielt den Titel 2017 und schoss laut Epstein bei der Titelübergabe Tennisbälle ins Publikum, was ihn sehr verdrießt), meldete sich zu Wort und distanzierte sich von Epsteins „frauenfeindlichen“ Äußerungen.

(Lesen Sie hier bei T-Plus: Die First Ladies Melania Trump und Jill Biden - was sie verkörpern sollen)

Man hätte sich über die Kolumne und die Empörung über die Dr.-Titel-Attacke einfach lustig machen können (und den Himmel anflehen, ob mal der Tag kommen werde, an dem solche Provokationen mit Nichtbeachtung gestraft werden), aber dann endet sie doch so, wie beklagt: frauenfeindlich und chauvinistisch.

Jill Biden möge, so Epstein, den „kleinen Nervenkitzel, Dr. Jill zu sein“ mal vergessen – schließlich warte auf sie der „größere Nervenkitzel, die nächsten vier Jahre in der besten Sozialwohnung der Welt als First Lady Jill Biden zu leben“.

Wer sich selbst öffentlich dauernd Dr. Biden nennt, hat vielleicht - so könnte man meinen - ein bisschen öffentliche Prügel verdient. Einer Frau raten, sich in das Haus zu verziehen, dass ihr Mann klar gemacht hat, hat dagegen mit „verdient“ überhaupt nichts zu tun.

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