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Giorgia Meloni, der Chefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia

© AFP / ALBERTO PIZZOLI

Sorge in Brüssel: Rechtsruck durch Italien

Ein Sieg von Giorgia Meloni könnte auch zu Verschiebungen der Machtverhältnisse innerhalb der Europäischen Union führen

Die EU ist Sorgen mit den Populisten gewöhnt. In vielen Ländern gehören die Verächter der liberalen Demokratie inzwischen zum politischen Alltag. Polen und Ungarn sind seit Jahren „schwierige Kandidaten“, doch auch in traditionell stabilen Demokratien wie Finnland, den Niederlanden oder Belgien gehören die EU-Gegner bereits zum politischen Alltag.

Zum ersten Mal aber werden sie wohl die Macht in einem wichtigen Gründungsstaat der Union übernehmen, Italien hat zudem die drittgrößte Wirtschaftsleistung der Europäischen Union.

Besorgnis erregt in Brüssel vor allem, dass es Giorgia Meloni, der Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia gelungen ist, ihrer Partei einen moderaten Anstrich zu geben – auch im Verhältnis zur EU. Die Europäische Union ist in ihren Augen zwar der politische Feind, dennoch gab sie sich zuletzt konziliant.

Die Politikerin will das Verhältnis zwischen Rom und Brüssel neu verhandeln, hat allerdings mehrfach versichert, dass es keinen harten Bruch gäbe, wenn sie die Regierung anführen würde.

Man habe mit Draghi gut zusammen gearbeitet
In Brüssel wird solchen Aussagen wenig Glauben geschenkt. Die EU-Kommission schweigt sich zu den Vorgängen in Italien jedoch beharrlich aus. Man mische sich vor einer Wahl nicht in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedsstaates, heißt es von einem hohen EU-Beamten.

Doch dann schiebt er nach, dass man mit der bisherigen Regierung von Mario Draghi außerordentlich gut zusammengearbeitet habe, der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) habe „Europa verstanden“. Im Klartext: Es kann nur schlechter werden.

Der Sturz Mario Draghis war für mich eines der schlimmsten politischen Ereignisse des Jahres.

René Repasi

Wird bei der EU-Kommission allenfalls hinter fest verschlossenen Türen über den Ausgang der Wahl in Italien spekuliert, ist den Europaparlamentariern eine solche Zurückhaltung fremd.

„Der Sturz Mario Draghis war für mich eines der schlimmsten politischen Ereignisse des Jahres“, sagt René Repasi. Der Sozialdemokrat sitzt im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, blickt also aus der finanzpolitischen Perspektive auf die Situation.

Die Europäische Zentralbank habe bei ihrer finanziellen Hilfe für Italien „eine Wette auf Draghi“ abgeschlossen. „Die EZB droht bei einem Sieg der extremen Rechten ihr wichtigstes Gut zu verlieren – die politische Unabhängigkeit“, befürchtet der EU-Abgeordnete.

Der Zentralbank werde es angesichts der Aussagen der extrem-rechten Kandidaten sehr schwerfallen, im Falle ihres Sieges die breite Unterstützung für die italienische Regierung aufrechtzuerhalten. Die rechten Parteien gehen mit teuren Wahlgeschenken auf Stimmenfang, deren Finanzierung nicht geklärt ist.

Wie die Steuersenkungen finanziert werden sollen ist unklar
So sollen die Folgen von Energiekrise und Inflation durch massive Steuersenkungen abgefedert werden – ohne Erklärung, wie die finanziert werden sollen. Der ehemalige Innenminister Matteo Salvini, Chef der rechtsnationalen Lega Nord, will dafür sogar den gigantischen Schuldenberg Italiens weiter vergrößern und die Neuverschuldung um mindestens 30 Milliarden Euro erhöhen.

Der EZB drohe, erklärt André Repasi, nach der Wahl unweigerlich in die dann anhebenden politischen Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden – egal ob sie Italien weiter unterstütze oder die Hilfe verweigere.

Auch Daniel Freund, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament, blickt mit Sorge auf die Entwicklung. „Das Ringen um Entscheidungen wird sich in der EU erheblich verschärfen, sollten die extremen Rechten in Italien in die Regierung kommen“, sagt er. Er befürchtet, dass sich die Viktor-Orban-Bewunderin Giorgia Meloni im Streit der Union mit Ungarn um die Rechtsstaatlichkeit wohl auf die Seite des Premiers in Budapest schlagen wird.

Die erste Kraftprobe könnte dann schon in den kommenden Wochen bevorstehen, wenn die EU-Mitgliedstaaten darüber abstimmen müssen, ob Ungarn unter anderem wegen Korruption Milliarden-Subventionen gestrichen werden.

Andrang bei einer Meloni-Wahlveranstaltung.

© AFP / IGOR PETYX

Aber auch der Kurs Europas in Sachen Russland könnte ins Wanken geraten. Die EU hat wegen des Angriffskrieges in der Ukraine bis jetzt sechs Sanktionspakete gegen Moskau verabschiedet. Silvio Berlusconi und die Lega Nord um Matteo Salvini hätten bereits anklingen lassen, dass sie nicht für die Strafmaßnahmen stimmen würden, erklärt Daniel Freund und ergänzt, dass seine Sorgen wohl auch in der EU-Kommission geteilt würden.

In diesem Zusammenhang ist es für den grünen Daniel Freund und auch für den SPD-Politiker René Repasi reichlich empörend, dass sich die konservative EVP-Fraktion im Europaparlament nicht von Berlusconi distanziert.

Im Gegenteil: deren deutscher Fraktionsvorsitzender und CSU-Politiker Manfred Weber hat zuletzt unter anderem im Gespräch mit Medien für den 85 Jahre alten Politiker und dessen Partei Forza Italia geworben, die im Europaparlament zur EVP gehört. Auch die meisten konservativen Abgeordneten sehen darin allerdings kein Problem.

Nach einem Wahlsieg Melonis könnte es auch im Europaparlament zu gravierenden Verschiebungen in der politischen Tektonik kommen. Dort versuchen die Rechten und Nationalisten seit Jahren eine große und damit mächtige Fraktion zu bilden, sind bisher allerdings gescheitert.

Auch die französischen Rechtsextremen hoffen auf Meloni
Jean-Paul Garraud, Chef der extrem-rechten, französischen Partei Rassemblement National im Europäischen Parlament, macht aus seinen Plänen kein Geheimnis. Seine Hoffnungen ruhen auf einem Sieg von Giorgia Meloni am 25. September.

In einem Interview erklärte er, es wäre die Gelegenheit für „etwas Größeres“ und meint damit den Zusammenschluss zwischen der extrem-rechten Gruppe „Identität und Demokratie“ (ID) und den „Europäischen Konservativen und Reformern“ (EKR). Das würde den Einfluss der rechts-nationalen Kräfte im Europaparlament enorm stärken.

Angesichts der seit Wochen überaus stabilen Umfragewerten in Italien, ist in Brüssel kein Gesprächspartner mehr zu finden, der Zweifel an einem Sieg der rechts-nationalen Koalition hat. Verändert hat sich im Lager der Pro-Europäer allerdings die Stimmung.

Die anfangs kämpferischen Parolen wichen im Laufe der Wochen einem ungläubigen Erstaunen, dann machte sich eine gewisse Resignation breit und inzwischen überwiegt das Prinzip Hoffnung. „Italien hat zahlreiche Regierungen kommen und gehen sehen“, sagt René Repasi.

Das Land habe schließlich auch die vielen Jahre unter Berlusconi als Premierminister überstanden und der SPD-Mann hofft, dass die politische Widerstandfähigkeit des Rechtsstaates größer ist, als im Rest von Europa vermutet wird. Auch in der Kommission wartet man nun erst einmal ab. „Italien hat das am Ende noch immer hinbekommen“, sagt ein ranghoher Mitarbeiter.

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