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SPD-Chef Lars Klingbeil

© Foto: dpa/Christophe Gateau

„Durchgefallen, setzen!“: Die Debatte um die Bilanz der Ampel nimmt an Schärfe zu

Kurz vor dem Jahrestag des Regierungswechsels ätzt die Opposition. SPD-Chef Klingbeil verteilt die Note Drei Plus. Und der BDI sieht Defizite.

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Kurz vor dem Jahrestag des Regierungswechsels am 8. Dezember 2021 nimmt die Debatte über die bisherige Leistung der Ampel-Koalition an Schärfe zu. SPD-Chef Lars Klingbeil zog eine durchwachsene Bilanz. Er gebe der Bundesregierung die Note Drei plus, sagte Klingbeil der „Bild am Sonntag“.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warf der Regierung Versäumnisse bei der Modernisierung des Landes vor. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), nannte die Ampel-Koalition eine Belastung für Deutschland. „Unser Land nimmt Schaden und kann sich so eine Regierung eigentlich nicht leisten“, sagte er dem Tagesspiegel.

„Deutschland hat ein Standortproblem, das sich nicht allein durch den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft überwinden lässt“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm dem Tagesspiegel: „Will die Ampel eine echte Fortschrittskoalition sein, muss sie zügig Reformen einleiten, etwa in der Steuerpolitik.“

Rund ein Fünftel der Unternehmen habe in einer Umfrage des Industrieverbandes angegeben, „sich in konkreten Planungen für einen ausländischen Standort zu befinden“, sagte Russwurm weiter. „Es geht zumeist um die nächste große Investition.“ Für Deutschland wiederum sei die schwache Investitionstätigkeit im Inland „eines der größten Wachstumsrisiken“ und eine Gefahr für den Wohlstand.

„Wenn Arbeitsplätze und Steueraufkommen der Industrie wegfallen und Sozialabgaben gutverdienender Beschäftigter, dann hat unser Land ein massives Problem. Heute finanziert der Exporterfolg viel von dem Wohlstand und der sozialen Sicherheit in unserem Land“, sagte der BDI-Präsident.

Er wurde am 8. Dezember 2021 zum Bundeskanzler gewählt und führt seitdem die Ampelkoalition: Olaf Scholz, hier auf dem Landesparteitag der SPD Brandenburg in Cottbus.

© Foto: dpa/Annette Riedl

Im kommenden Jahr müsse sich die Politik wieder den „längerfristigen Herausforderungen für unseren Standort“ stellen, meinte der frühere Siemens-Manager. Beispielsweise sei „das Planungsrecht ein massiver Bremsklotz für eine schnelle Dekarbonisierung. Wir wissen seit Jahren, dass wir mehr Erneuerbare brauchen und eine andere Infrastruktur für die Energiewende. Trotzdem passiert viel zu wenig. Eine Halbierung der Planungs- und Genehmigungszeiten reicht bei Weitem nicht aus.“

Sieht ein Standortproblem: Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).

© Foto: dpa/Britta Pedersen

Klingbeil sagte zur Jahresbilanz, die „Ampel habe die schwierige Lage zwar „gut im Griff“, es sei aber immer noch Luft nach oben. Für eine bessere Note fehle, „dass wir die Modernisierung des Landes vorantreiben.“ Nötig sei auch „ein bisschen weniger öffentlicher Streit“.

Er verstehe, dass dieses Regierungsjahr allen viel abverlangt habe, erklärte Klingbeil weiter. „Aber manche Diskussion war zu lang, zu öffentlich, zu personalisiert.“ Die Regierungspartner sollten wieder zur politischen Kultur aus den Koalitionsverhandlungen zurückfinden, riet der SPD-Chef. „Dass wieder gilt: Wir packen das gemeinsam an, ohne dass ständig vermessen wird, wer von den drei Partnern sich wo genau durchgesetzt hat.“

Das ist mangelhaft bis unbefriedigend, häufig auch erratisch. Auch angesichts der vielfältigen Krisen gilt: Durchgefallen, setzen!

Thorsten Frei (CDU), Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag

Bei der Modernisierung des Landes sei die Regierung „noch nicht gut genug“, räumte der SPD-Chef ein. In Niedersachsen sei innerhalb von 200 Tagen ein Flüssiggas-Terminal „hochgezogen“ worden, „aber das Aufstellen von Windrädern dauert immer noch zu lange“, nannte er als Beispiel. Das müsse schneller werden.

Die „große Agenda“ der Ampel-Regierung sei: „Wir tun alles, dass wir durch Modernisierung aus der Krise herauswachsen. Mehr erneuerbare Energien, mehr Digitalisierung, mehr Fachkräftezuwanderung, weniger Bürokratie.“

Unions-Parlamentsgeschäftsführer Frei bilanzierte die Leistung der Ampel-Koalition im ersten Jahr so: „Das ist mangelhaft bis unbefriedigend, häufig auch erratisch. Auch angesichts der vielfältigen Krisen gilt: Durchgefallen, setzen!“, sagte der CDU-Politiker dieser Zeitung.

Frei erinnerte daran, dass die Koalition vor einem Jahr „noch alles besser machen“ wollte und sich zum Ziel gesetzt hatte: „Ein vertrauensvoller Umgang untereinander, keine Durchstechereien, keine Nachtsitzungen.“ Dies sei deutlich verfehlt worden. „Heute sehen wir, die drei Parteien streiten wie die Kesselflicker.“

Während es in halb Europa bereits eine Strom- und Gastpreisbremse gab, stritt sich die Koalition im letzten Sommer über eine Gaspreisumlage. Als der Strompreis dann für viele existenzbedrohend wurde, stritt sich die Koalition den ganzen Sommer und Herbst über das Abschalten von Kernkraftwerken.

Außerdem: 1,9 Millionen Stellen könnten derzeit nicht besetzt werden, währenddessen habe die Koalition bis letzte Woche noch Sanktionen für ALG2-Empfänger praktisch abschaffen wollen. „Und anstatt den Standort zu stärken, diskutiert die Koalition über Steuererhöhungen“, kritisierte der CDU-Politiker.

FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki riet dem Koalitionspartner SPD, zu der von Klingbeil geforderten Einigkeit beizutragen. „Ich finde es schön, wenn Lars Klingbeil zu Geschlossenheit aufruft. Schließlich weichen seine Genossinnen und Genossen in öffentlichen Verlautbarungen gerne einmal vom Koalitionsvertrag ab, wenn es ihnen gerade thematisch pass, zum Beispiel bei der Frage nach Steuererhöhungen oder dem Tempolimit“, sagte er dieser Zeitung.

Geschlossenheit sei „kein politischer Wert an sich“, sie müsse am Ende auch vernünftige Ergebnisse bringen. Kubicki fügte hinzu: „Trotzdem freue ich mich, dass Lars Klingbeil bei der Beschreibung des öffentlichen Bildes de Koalition zum selben Schluss kommt wie ich.“ (mit epd)

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