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Netanjahu und seine Likud-Partei sind stärkste Kraft geworden.

© Reuters/Ronen Zvulun

Israels Wahlsieger Netanjahu: Was „Bibis“ Rückkehr bedeutet

Israel bekommt wohl eine rechtsgerichtete Regierung. Welche Folgen hat das für den Nahostkonflikt, den Ukrainekrieg und die Atomverhandlungen mit dem Iran?

Israels langjähriger früherer Ministerpräsident Benjamin Netanjahu scheint vor einem triumphalen Comeback zu stehen. Nachdem fast alle Stimmen der Parlamentswahl ausgezählt sind, kommt sein rechts-religiöser Parteienblock offenbar auf eine Mehrheit von 65 Mandaten. 120 Sitze hat die Knesset, das israelische Parlament.

Einen so eindeutigen Sieg eines politischen Lagers hat es im jüdischen Staat seit Jahren nicht mehr gegeben. Die bislang regierende Acht-Parteien-Koalition unter dem zentristischen Ministerpräsidenten Yair Lapid kommt nur noch auf voraussichtlich 50 Mandate.

Selbst, wenn sich die Kraftverhältnisse noch leicht verschieben sollten, steht eines fest: Großer Gewinner ist die extrem rechte Partei „Religiöser Zionismus“, die die Zahl ihrer Mandate seit der letzten Wahl mindestens verdoppeln kann und mit nun 14 bis 15 Sitzen drittstärkste Kraft werden dürfte – nicht etwa trotz, sondern wegen ihrer neuen Nummer zwei, dem rechtsextremen Provokateur Itamar Ben-Gvir, der schon wegen anti-arabischer Hetze verurteilt wurde.

Radikale Kräfte könnten in einer neuen Koalition erheblichen Einfluss gewinnen.

In einer rechten Koalition wäre „Religiöser Zionismus“ gar zweitstärkste Kraft, während Netanjahus eigene Likud-Partei gegenüber ihren Partnern – neben „Religiöser Zionismus“ zudem zwei ultraorthodoxe Parteien – in eine Minderheitsposition geriete. Eine solche Ausgangslage gäbe den Radikalen erheblichen Einfluss – mit womöglich schwerwiegenden Konsequenzen für das Land und seine Beziehungen zur Außenwelt.

Seit Jahren existiert der sogenannte Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern nur noch auf dem Papier; die Zwei-Staaten-Lösung wurde so oft totgesagt, dass ein Klischee daraus geworden ist. Dennoch: Die angespannte Lage im Westjordanland dürfte sich unter einer rechtsgerichteten Regierung weiter zuspitzen. Der „Religiöse Zionismus“ hat unter den israelischen Siedlern im Westjordanland besonders viele Anhänger; Ben-Gvir selbst lebt in Kiryat Arba, eine als besonders radikal bekannte Siedlung.

Er und sein Mitstreiter Bezalel Smotrich, Vorsitzender der Partei, wollen die Siedlungen „stärken“, sprich: ausbauen und damit eine eventuelle Teilung der Gebiete noch schwerer, wenn nicht unmöglich zu machen. Zudem fordert Ben-Gvir, israelischen Soldaten mehr Handlungsfreiheit zu geben (in seinen Worten: ihnen die „Fesseln abzunehmen“).

Itamar Ben-Gvir ist vorbestraft und kann sich dennoch Hoffnung auf einen Ministerposten machen.

© Foto: Imago/Xinhua

Dabei kommen schon jetzt bei israelischen Anti-Terror-Operationen immer wieder Palästinenser ums Leben, manchmal auch Unbeteiligte wie die Al-Dschasira-Reporterin Shirin Abu Akleh im Mai.

In Israel ist es Konsens, dass eine iranische Atombombe den jüdischen Staat bedrohen würde.

Auch gegenüber dem Iran dürfte eine neue rechte Regierung aggressiver auftreten – zumindest rhetorisch. Zwar hat auch die Noch-Regierung unter Lapid das JCPOA-Abkommen, das Irans atomare Ambitionen einhegen soll, als zu lasch abgelehnt; und dass eine iranische Atombombe Israel existenziell bedrohen würde, ist hierzulande breiter Konsens.

Doch während Lapid und sein Vorgänger Naftali Bennett sich bemühten, ihre Botschaft auf diplomatischem Wege vorzubringen, wählte Netanjahu in früheren Amtsperioden eine konfrontativere Taktik, hielt etwa scharfe Reden vor dem US-Kongress und der UN-Generalversammlung. Daran werde er wieder anknüpfen, vermutet Politikwissenschaftlerin Gayil Talshir von der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Ein Militärschlag gegen den Iran ist indes nicht zu erwarten. Schon in früheren Amtsjahren schreckte Netanjahu vor einem solch folgenschweren Schritt stets zurück. Die meisten israelischen Experten sind sich einig, dass Israels Luftwaffe allein das iranische Atomprogramm ohnehin nicht langfristig schwächen könnte.

Bei Israels Haltung zum Ukraine-Krieg sind ebenfalls keine wesentlichen Änderungen zu erwarten. Netanjahu stellte zwar kürzlich in Aussicht, Waffenlieferungen an die Ukraine zu prüfen. Wenige Monate zuvor hatte er jedoch versprochen, die wichtigen Beziehungen zu Moskau zu „reparieren“.

Jerusalem ist bestrebt, Russland nicht allzu sehr zu verärgern.

Die wahrscheinlichste Option ist, dass er die wacklige Balance seiner Vorgänger fortführt: begrenzte humanitäre Unterstützung für die Ukraine beim gleichzeitigen Versuch, Russland nicht allzu sehr zu verärgern.

Die folgenschwersten Veränderungen zeichnen sich im Inland ab. Zu den Wahlversprechen des „Religiösen Zionismus“ zählen Reformen des Justizsystems, die das Verhältnis der drei Gewalten im Land verändern könnten – und womöglich Netanjahu von dem Gerichtsprozess befreien könnten, dem er sich wegen Vorwürfen auf Betrug, Bestechung und Untreue stellen muss.

„Wir könnten eine Konzentration der Macht erleben, vielleicht sogar eine Tyrannei der Mehrheit.“ 

Politologin Gayil Talshir

Unter anderem wollen Smotrich und Ben-Gvir die Macht des Obersten Gerichtshofs beschneiden, Politikern mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern geben und ausgerechnet den Strafbestand der Untreue aus dem Gesetzbuch streichen. „Die kommende Regierung könnte die Gewaltenteilung aufheben“, warnt Politologin Gayil Talshir. „Wir könnten eine Konzentration der Macht erleben, vielleicht sogar eine Tyrannei der Mehrheit.“

Für Deutschland würde eine solche Regierung knifflige Fragen aufwerfen. Smotrich, der Justizminister werden will, beschreibt sich als „stolzer Homophober“; Ben-Gvir, obgleich rechtskräftig verurteilt, strebt das Amt des Ministers für innere Sicherheit an und hat gedroht, arabische Bürger, die Steine auf Soldaten werfen, sowie unliebsame Parlamentsabgeordnete nach „Europa oder Afrika“ zu deportieren.

Sicherlich wird die Bundesregierung die bedeutsamen bilateralen Beziehungen als Ganzes nicht in Frage stellen. Doch diplomatisches „Business as usual“ scheinen unter diesen Umständen schwer vorstellbar.

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