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Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger

© AFP/Matthias Balk

Update

„Widerlich und abscheulich“: CDU fordert Aufklärung in der Aiwanger-Affäre um ein antisemitisches Flugblatt

Der bayrische Vizeregierungschef Aiwanger hatte als Schüler ein antisemitisches Flugblatt im Ranzen, das von seinem Bruder verfasst worden war. Es mehren sich die Rufe nach Aufklärung.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat eine Aufklärung der Vorwürfe gegen Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger im Zusammenhang mit einem antisemitischen Flugblatt verlangt.

Die Inhalte des Flugblatts sind widerlich, abscheulich und menschenverachtend“, sagte Linnemann am Montag nach hybriden Beratungen der CDU-Spitze in Berlin. Nun gelte es, aufzuklären. Es gebe eine historische Verantwortung, „dass wir jüdisches Leben in Deutschland schützen und Judenhass bekämpfen“, ergänzte Linnemann.

Er unterstrich: „Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz.“

Auch Scholz fordert Aufklärung

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fordert eine umfassende und sofortige Aufklärung im Fall Aiwanger. Wie der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Montag in Berlin unter Berufung auf den Kanzler sagte, geht es zunächst darum, aufzuklären, wer das antisemitische Flugblatt verfasst und verbreitet hat.

Dann müsse es gegebenenfalls politische Konsequenzen geben. Büchner sprach von einem „furchtbaren, menschenverachtenden Machwerk“ und von einer „abstoßenden Geschichte“. Für die Aufklärung der Vorwürfe sei Bayerns Landesregierung zuständig, fügte er hinzu. 

Söder beruft Sondersitzung ein

Nach den Erklärungen seines Stellvertreters Hubert Aiwanger zu einem antisemitischen Flugblatt aus Schulzeiten hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses einberufen. Söder habe die Freien Wähler für Dienstagvormittag zu der Sitzung einbestellt, teilte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) am Montag der Deutschen Presse-Agentur in München mit.

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„Wir haben die Erklärung zur Kenntnis genommen. Aber es bleiben viele Fragen offen. Diese kann nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten“, sagte Herrmann. „Wir erwarten, dass dies zeitnah geschieht. Die Vorwürfe sind zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet lässt.“

 „Es geht um das Ansehen Bayerns“

Aiwanger müsse sich über die schriftliche Stellungnahme hinaus „persönlich und umfassend erklären“. „Es geht um das Ansehen Bayerns.“

Opposition macht Druck

Zuvor hatte die SPD eine Sondersitzung gefordert – und hält auch weiterhin einen Rücktritt oder eine Entlassung des Wirtschaftsministers für unausweichlich. Grüne und FDP hatten eine Reaktion Söders gefordert.

„Es gibt noch viele offene Fragen und Erinnerungslücken. Die müssen geklärt und geschlossen werden“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur in München. „Denn dieses Dokument ist menschenverachtend und verhöhnt die Opfer des Holocaust. Warum hatte Hubert Aiwanger das Flugblatt denn in der Schultasche? Das hat er ja nun nicht mehr abgestritten.“

CSU erleichtert über Sondersitzung

„Es gibt noch Klärungsbedarf“, betonte der Bezirksvorsitzende der CSU in Schwaben, Gesundheitsminister Klaus Holetschek, gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“.

Es gehe hier um das Ansehen und den guten Ruf des Freistaats Bayern. „Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass Ministerpräsident Markus Söder Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger und die Freien Wähler zu einer Sondersitzung des Koalitionsausschusses einbestellt hat“, sagte Holetschek der Zeitung.

„Widerwärtiges“ Pamphlet: Heftige Kritik aus der CSU

Die Erklärungen von Hubert Aiwanger reichen nach Ansicht des Landtags-Vizepräsidenten Karl Freller (CSU) nicht aus, um das Thema aufzuklären. „Dieses Pamphlet ist so unsäglich und widerwärtig, dass man nicht mehr von einem dummen Jungenstreich sprechen kann“, sagte er am Montag im Deutschlandfunk.

Er wolle zwar jetzt nicht den Stab über Aiwanger brechen, es seien jedoch viele Fragen offen. Das Bekenntnis von Aiwangers Bruder, er habe das Flugblatt verfasst, werfe auch noch viele Fragen auf. Der ältere Bruder habe erklärt, er wollte sich fürs Durchfallen an der Schule rächen. Wenn man sich dafür an der Schule und an Lehrkräften rächen wolle, „dann verhöhne ich doch nicht die Opfer von Auschwitz oder Dachau“.

„Auch Verteilen ist nahe am Verfassen.“

Die Erklärung des Bruders reiche nicht aus, so Freller. Das Flugblatt sei sehr bewusst antisemitisch formuliert worden. Die Urheberschaft müsse geklärt werden, bevor es weitere Maßnahmen gibt, betonte Freller. Er gab aber auch zu bedenken: „Auch Verteilen ist nahe am Verfassen.“ Der CSU-Politiker Freller ist zugleich Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, die für die KZ-Gedenkstätten Flossenbürg und Dachau verantwortlich ist.

Kritik von jüdischer Seite

Kritische Reaktionen kommen indessen auch von jüdischer Seite. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erklärte, der Text des Papiers sei „auch heute nicht minder verwerflich, da er die Millionen Opfer der Schoa auf abscheuliche Weise verunglimpft“. Und weiter: „Inwiefern Hubert Aiwanger für die Verbreitung zumindest mitverantwortlich ist, wird in Gänze nicht aufzuklären sein.“ Die Diskussion darüber sei erkennbar politisch.

Schuster ergänzte: „Das Flugblatt darf aber auch nicht einfach als Jugendsünde abgetan werden, da es die für unser Land so wichtige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus regelrecht mit Füßen tritt. Gerade weil diese Erinnerungskultur heute von rechts außen wieder radikal bekämpft wird, ist mir vor allem wichtig, dass der Inhalt des Flugblattes scharf verurteilt wird.“

Hubert Aiwanger (Freie Wähler), Wirtschaftsminister von Bayern und Vorsitzender der Wirtschaftsministerkonferenz.

© dpa/Sven Hoppe

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, sagte dem „Münchner Merkur“ (Montag): „Ich bin schockiert. Das zerstört so viel Vertrauen.“ Als sie die „furchtbaren Worte“ in dem Flugblatt gelesen habe, seien sofort ihre Kindheitserinnerungen wieder hochgekommen.

Knobloch kritisierte die damalige Reaktion der Schule, die laut Aiwanger als Konsequenz ein Referat verhängt hatte. „Damit war die Sache erledigt. Ich verstehe das nicht. Der ganze Vorgang zeigt: Wir müssen mit allem, was wir heute tun, versuchen, unsere jungen Menschen mitzunehmen.“

Vizepräsident des Auschwitz-Komitees legt Aiwanger Rückzug nahe

Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, legte Aiwanger nahe, „sich wenigstens für einige Zeit aus der vordersten Reihe der Politik zurückzuziehen: Wo immer er zukünftig auftritt: Die Sätze jenes schändlichen Flugblattes werden auch immer im Raum stehen.“ Holocaust-Überlebende seien verstört.

Der jüdische Publizist Rafael Seligmann sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), das Flugblatt sei widerlich. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Bruder das allein gemacht hat, zumal Hubert Aiwanger das Papier in seiner Tasche hatte.“

Seligmann betonte: „Für mich wäre es sauber zu sagen: Das ist geschehen, damals waren mein Bruder und ich Halbwüchsige. Heute bereue ich das, heute lehne ich das vollends ab, ich habe mich inzwischen zu einem reifen moralischen Menschen entwickelt und zu einem guten Demokraten.“ Hubert Aiwanger komme ihm vor wie ein Aal.

SPD ebenfalls für Sondersitzung

SPD-Fraktionschef Florian von Brunn sieht in dem Flugblatt ebenfalls keine Jugendsünde. „Es ist es für mich unvorstellbar, dass Markus Söder weiter mit jemandem kooperiert und koaliert, der den Besitz bestätigt und die Verbreitung nicht leugnen kann.“

Er fügte hinzu: „Jeder weitere Tag als Stellvertreter von Markus Söder und als Wirtschaftsminister vergrößert diesen Schaden, so dass alles andere als ein Rücktritt oder eine Entlassung im Interesse der bayerischen Bevölkerung und der Erinnerungskultur nur schwer vorstellbar ist.“ Deswegen sei eine rasche Sondersitzung im Landtag notwendig.

Freie-Wähler-Chef Aiwanger hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, als Minderjähriger zu Schulzeiten in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben, über das die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) berichtet hatte. Wenig später räumte Aiwangers Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben. (dpa, epd, Tsp)

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