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Evakuierte kommen in Dubai an. Für Khedir und seine Familie scheint die Ausreise noch in weiter Ferne zu liegen.

© REUTERS/Rula Rouhana

Ortskräfte in Afghanistan: „Wir sind uns nicht sicher, ob die GIZ gerade überhaupt etwas tut“

Mitarbeiter erheben Vorwürfe gegen die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit. Werden sie von der GIZ nur hingehalten?

„Papa wann sind wir endlich in Sicherheit?“ wird Deniz Khedir immer wieder von seinen Kindern gefragt. Am Montagmorgen dann ein kurzer Lichtblick: Khedir (Name geändert) bekommt von seinem Arbeitgeber, der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), mitgeteilt, dass die Familie ausgeflogen werden soll.

Doch nur wenige Stunden später wird die Ansage wieder zurückgenommen. Die Familie harrt weiter aus, in einem Mietshaus in Kabul, in dem sie sich vergangene Woche verschanzt hatte. Nur die Söhne lässt Khedir noch auf die Straße gehen, um einzukaufen. „Für sie ist es am ungefährlichsten“, sagt er.

Am Dienstag trifft wieder eine Nachricht der GIZ ein. Es werde eine zeitnahe Ausreise organisiert. Doch auch diese Ankündigung ist falsch. „Wir sitzen hier in Kabul fest“, schreibt Khedir am Donnerstag über WhatsApp. Er arbeitet seit 2011 für die GIZ, stand im engen Austausch mit afghanischen Regierungsstellen, deutschen Botschaftsvertretern und Konsulaten.

Aktuell beschäftigt die GIZ nach eigenen Angaben rund 1000 afghanische Mitarbeitende. Khedir berichtet, die GIZ entschuldige sich für die Unübersichtlichkeit und mache eine Blockade der Taliban am Flughafen dafür verantwortlich. Er zweifelt das an. „Wir sind uns nicht sicher, ob die GIZ gerade überhaupt etwas tut. Vielleicht versuchen sie auch einfach Zeit zu gewinnen, um anschließend die Evakuierung zu verweigern.“

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Seine ehemalige Kollegin, Jessica Berlin, findet drastische Worte für die Lage: „Das ist ein massives strategisches sowie moralisches Versagen der GIZ und der Bundesregierung“, sagt die Strategieberaterin und Expertin für Außenpolitik am Telefon. In den vergangenen Tagen hat sie kaum geschlafen.

Berlin hat von 2011 bis 2012 für die GIZ in Afghanistan gearbeitet. Sie erzählt von Dutzenden Nachrichten und Anrufen ihrer Ex-Kollegen, aus denen herauszuhören sei, dass es überhaupt keine Klarheit seitens der GIZ gebe. „Niemand kann sagen, dass es keine Möglichkeiten gegeben hat, die Rettung vorzubereiten“, sagt Berlin. Seit Monaten sei klar gewesen, dass eine Evakuierung aufgrund der Gefährdungslage notwendig werden könne.

Khedir sagt, die GIZ habe ihm versichert, er und seine Familie seien in Kabul sicher. Daraufhin mietete er dort ein Haus. Außerdem, so behauptet Khedir, habe die GIZ den afghanischen Ortskräften davon abgeraten, Visa zu beantragen.

Die Ausreise beantragen darf nur, wer nicht vor 2019 für die GIZ tätig war

Die GIZ entgegnet, ihre nationalen Mitarbeitenden über die Möglichkeiten des Schutzes informiert zu haben. Sie unterstütze diejenigen, die mit ihren Kernfamilien ausreisen möchten, bei der Organisation. Alle afghanischen Kolleg:innen, die aktuell bei der GIZ beschäftigt oder innerhalb der letzten zwei Jahre ausgeschieden seien, könnten sich für die Ausreise anmelden – über eine Emailadresse.

Die Frage, was mit denen sei, die vor 2019 für die GIZ tätig waren, bleibt unbeantwortet. Zur Frage, ab wann das Unternehmen, seine Mitarbeitenden informiert habe, heißt es „zeitnah nach Entscheidung der Bundesregierung zur weiteren Beschleunigung des Ausreiseverfahrens“.

„Die GIZ hat den Ortskräften immer wieder versichert, die Lage im Lande sei noch stabil genug, um zu bleiben und weiterzuarbeiten“, sagt Berlin. Deshalb hätten viele kein Visum beantragt. Die GIZ profitiere von millionenschweren Aufträgen des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) in Afghanistan. „Es ist natürlich in ihrem Geschäftsinteresse, dass diese Projekte weiterlaufen.“

Volljährige Söhne werden abgelehnt

Das dürfe aber nicht wichtiger als die Sicherheit der Mitarbeiter sein. „Unsere Kollegen sind geblieben und haben geglaubt, sie würden im Notfall doch evakuiert werden“, sagt Berlin. Sie rechnet nicht damit, dass die Bundesregierung noch in der Lage ist, die Afghanen rechtzeitig zu evakuieren.

Die GIZ gibt an, bis Montagmittag hätten knapp 700 afghanische Kräfte ihre Ausreise für sich und ihre Kernfamilien beantragt, die das BMZ nun prüft. Kernfamilie heißt in diesem Fall, berichtet der „Spiegel“, Ehepartner und Kinder unter 18 Jahren sowie ältere unverheiratete Töchter. Volljährige Söhne würden abgelehnt. Sie zählen auch bei anderen deutschen Behörden nicht zur Kernfamilie.

Khedirs Kinder sind minderjährig. Wie es für sie weitergeht – und wie für Familien, die keinen Antrag gestellt haben – das ist völlig offen.

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