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Wie geht es weiter? Die Kennzeichnung von Schweinefleisch ist erst der Anfang. Nach der Sommerpause wird an den nächsten Schritten gearbeitet. .

© picture alliance/dpa/Moritz Frankenberg

Haltung muss gekennzeichnet werden: Wie hat das Schwein vor dem Schnitzel gelebt?

Der Bundestag beschließt Özdemirs Gesetz. Stall, Weide oder Bio: Mit Schweinefleisch im Supermarkt geht es los. Bald soll die Gastronomie folgen - und andere Tiere.

Christian Schmidt war der erste. Im Januar 2017 stellte der Bundesagrarminister von der CSU ein neues Siegel vor, das Verbrauchern beim Einkauf im Supermarkt helfen sollte, Fleisch aus guter Tierhaltung zu erkennen. Doch ein Jahr später endete Schmidts Amtszeit, und das Tierwohllogo verschwand in den Amtsstuben des Ministeriums. Auch Schmidts Nachfolgerin Julia Klöckner (CDU) hatte mit ihrem Tierwohllabel keinen Erfolg. Klöckners Konzept, die Kennzeichnung auf freiwilliger Basis zu gestalten, scheiterte am Koalitionspartner SPD. Mit dem Regierungswechsel landete auch Klöckners Logo im ministeriellen Papierkorb.

Doch jetzt ist es so weit: Am Freitag beschloss der Bundestag die von Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) auf den Weg gebrachte verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung. Anhand einer fünfstufigen Skala sollen Bundesbürger beim Einkauf im Laden sehen, wie das Tier gelebt hat, bevor es zum Schnitzel oder zum Braten geworden ist. Erfüllt der Tierhalter gerade mal die gesetzlichen Vorgaben, ist das mit „Stall“ umschrieben, die höchste Stufe ist Bio. Die neue Kennzeichnung startet mit frischem Schweinefleisch im Supermarkt, später sollen Wurst und andere verarbeitete Produkte hinzukommen. Auch die Gastronomie soll schon bald einbezogen werden. Die dazu nötigen Änderungen sollen schon nach der Sommerpause in Angriff genommen werden. Im nächsten Jahr soll die Kennzeichnung dann auch auf Rinder und Geflügel ausgedehnt werden.

Auch in Zukunft soll gutes Fleisch aus Deutschland kommen.

Cem Özdemir, Bundeslandwirtschaftsminister

„Heute ist ein guter Tag für die tierhaltenden Betriebe in unserem Land und für die Verbraucherinnen und Verbraucher“, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir am Freitag. „Auch in Zukunft soll gutes Fleisch aus Deutschland kommen. Mit der verpflichtenden Tierhaltungskennzeichnung können Verbraucherinnen und Verbraucher in Zukunft im Regal oder an der Fleischtheke sehen, wie das Tier gehalten wurde.“ Nach dem Schweinefleisch kämen Schritt für Schritt weitere Tierarten hinzu und auch weitere Vertriebswege, „sodass Sie als Verbraucherinnen und Verbraucher dann auch im Restaurant sehen können, wie Ihr Schnitzel gehalten wurde.“

Die Haltungskennzeichnung ist nur ein Baustein

„Der Umbau der Tierhaltung kann jetzt beginnen“, sagt die Agrarexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast. „Verbraucher und Verbraucherinnen bekommen jetzt klare Informationen über die Qualität der Tierhaltung, davon profitieren alle Landwirte, die jetzt schon nach höheren Standards arbeiten.“

Die verpflichtende Kennzeichnung ist ein Baustein von vielen, um die Tierhaltung zu verbessern. Özdemir arbeitet parallel an einer Verschärfung des Tierschutzgesetzes und einer Herkunftskennzeichnung für frisches Fleisch. Bereits beschlossen hat der Bundestag baurechtliche Erleichterungen für Landwirte, die ihre Ställe umbauen wollen oder die den alten Stall gegen einen neuen, besseren austauschen wollen.

Soll die Baumaßnahme dazu dienen, die Ställe tierwohlgerechter zu gestalten, sollen die Landwirte die dazu nötige Baugenehmigung problemlos bekommen, heute ist das nicht so. „Seit nahezu zehn Jahren warten die Bauern auf Erleichterungen beim Tierwohlstallumbau. Jetzt kommt ein wichtiger Schritt“, sagte der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, Bernhard Krüsken. Auf Drängen der FDP müssen Tierhalter die Zahl ihrer Tiere nicht senken, um umbauen zu dürfen. Sie können weiterhin viele Tiere halten - auf entsprechend größerer Fläche.

Mehr Platz: Der Staat fördert Tierhalter nur, wenn sie über die gesetzlichen Mindeststandards hinausgehen.
Mehr Platz: Der Staat fördert Tierhalter nur, wenn sie über die gesetzlichen Mindeststandards hinausgehen.

© dpa/Sina Schuldt

Ursprünglich hatte Özdemir mit Blick auf den Klimaschutz die Zahl der Nutztiere einschränken wollen. Doch in den Verhandlungen hatte die FDP zahlreiche Veränderungen durchgesetzt. Ursprünglich sollte die Haltungsstufe „Stall+Platz“ ein 20 Prozent höheres Platzangebot nach sich ziehen, jetzt sind es nur noch 12,5 Prozent. „Die Verhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP waren herausfordernd“, räumte der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker, ein. „Den Liberalen genügen keine Scheinlösungen, sondern am Ende muss ein solides Fundament stehen, um Verbraucher und heimische Landwirtschaft zusammenzuführen. Denn beide Seiten sind zwingend aufeinander angewiesen..“

Tierschützer sind unzufrieden

Tierschützer sehen das neue Gesetz kritisch. „Das Gesetz wird keinem einzigen Tier ein besseres Leben bringen“, ärgert sich Tierschutzpräsident Thomas Schröder. Die Tierschutzorganisation „Pro Vieh“ kritisiert, dass die Tiere in den Haltungsformen „Stall“, „Stall+Platz“ und im „Frischluftstall“ auf Vollspaltenböden statt auf Stroh stehen, die den Schweinen schaden. Aufgrund der Enge, fehlendem Zugang zu offenen Stallseiten, Vollspaltenböden, dem Mangel an Funktionsbereichen und Beschäftigung sind diese Haltungsformen nach Einschätzung der Tierschützer tierschutzwidrig.

Das Gesetz wird keinem Tier ein besseres Leben bringen.“

Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzverbands

Ex-Agrarministerin Künast sieht das anders: „Natürlich würde auch ich mir wünschen, dass alle Tiere auf der Weide gehalten werden und in den Ställen die Spaltenböden durch Stroh ersetzt werden“, sagte die Grünen-Politikerin dem Tagesspiegel. Doch die Politik müsse den Tierhaltern eine Perspektive aufzeigen, wie sie die Haltung verbessern können, auch wenn sie keinen neuen Stall bauen können. „Es ist doch besser, wenn die Schweine im Frischluftstall stehen als im einfachen Stall.“

Das sind die nächsten Schritte

Der Bauernverband hält die neue Kennzeichnung für einen ersten, aber zu kleinen Schritt. „Nach wie vor gibt es große Lücken, die jetzt zügig geschlossen werden müssen“, sagte Generalsekretär Krüsken dem Tagesspiegel. „Wir brauchen ein verbindliches Haltungskennzeichen, das nicht nur auf frisches Schweinefleisch beschränkt ist. Fleisch- und Wurstwaren müssen einbezogen werden, außerdem müssen die Kriterien auch die Ferkelerzeugung einschließen, sonst ist die Kennzeichnung nicht glaubwürdig.“

Das ist auch der Politik klar. Der Bundestag fordert, dass schon nach der Sommerpause erste Änderungen erfolgen. Bisher erfasst die Kennzeichnung nur die Lebenszeit des Schweins in der Mast, Ferkel sind nicht einbezogen. Das soll sich im nächsten Schritt ändern. Dann sollen auch Zuchteber, Jungsauen, Muttersauen und Ferkel in die Haltungskennzeichnung integriert werden. Ebenfalls nach der Sommerpause soll das Gesetz auf verarbeitetes Fleisch und die Außer-Haus-Verpflegung ausgedehnt werden. „Ich glaube nicht, dass sich ein teures Restaurant auf die Karte schreibt, dass das Fleisch aus Stallhaltung kommt“, betont Künast. 2024 sollen dann weitere Tierarten folgen.

Wer soll das bezahlen?

Der Bund unterstützt Landwirte in dieser Legislaturperiode mit einer Milliarde Euro. Damit sollen der Stallumbau und Einnahmeverluste der Bauern ausgeglichen werden. Allerdings gibt es das Steuerzahlergeld erst ab der Haltungsstufe „Frischluftstall“.

Doch die Milliarde ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Experten rechnen mit jährlichen Kosten von drei bis vier Milliarden Euro, wenn sämtliche Nutztiere profitieren soll. Zahlen sollen letztlich die Verbraucher. Im Gespräch ist eine Verbrauchssteuer von 40 Cent pro Kilo Fleisch. Glaubt man einer aktuellen Untersuchung des Nürnberg Instituts für Marktentscheidungen, sind die Kunden dazu bereit. Für das Schnitzel aus dem „Frischluftstall“ würden sie 1,99 Euro mehr bezahlen als für Fleisch der niedrigsten Haltungsstufe, haben die Forscher herausgefunden.

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