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Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU, mit dem israelischen Historiker Moshe Zimmermann, der die Festrede hielt.

© Tsp/Burchard

40 Jahre Zentrum für Antisemitismusforschung: Erfolgsgeschichte mit offenen Fragen

1982 wurde das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin gegründet. Festredner Moshe Zimmermann regte eine Diskussion um den Begriff des Antisemitismus an.

Wer gab vor 40 Jahren den Gründungsimpuls zum Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin? Heinz-Galinski, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, wie der israelische Historiker Moshe Zimmermann am Dienstagabend beim Festakt zum Jubiläum berichtete? Oder Rolf Berger, der damalige Präsident der TU, wie sich dessen Nachfolger Jürgen Starnick als Zeitzeuge erinnerte?

Zimmermann, Professor Emeritus der Hebräischen Universität Jerusalem, sah die Beiden letztlich Hand in Hand als Gründungsväter. Galinski habe die systematische wissenschaftliche Bearbeitung des Antisemitismus als Lücke gesehen und den 40. Jahrestag der Pogromnacht am 9. November 1978 als idealen Zeitpunkt, die Pläne zu verkünden. Berger sei dann gleich mit dem Gemeindevorsitzenden beim Regierenden Bürgermeister Dietrich Stobbe vorstellig geworden, der ein solches „Zeichen der Verbundenheit“ mit der Jüdischen Gemeinde in Deutschland gerne unterstützen wollte.

Doch so schnell sollte es nicht gehen. Starnick las aus einem Protokoll des Akademischen Senats der TU von Ende November 1978 vor, nach dem sich Professoren beschwerten, sie hätten von den Gründungsplänen nicht vom Präsidium erfahren, sondern „aus der Zeitung“. So wurde aus der anfangs beschworenen „singulären Geschwindigkeit bei der Entscheidungsfindung“ eine „vierjährige Lücke, in der an der TU um die Gründung gerungen wurde“, so Zimmermann.

Mit Hilfe eines internationalen wissenschaftlichen Beirats fand sich dann unter der Präsidentschaft Starnicks mit Herbert A. Strauss ein exzellenter Gründungsdirektor. Denn er war als einschlägig forschender US-Historiker fachlich qualifiziert und er war Zeuge der Zeitgeschichte: Der Student an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums und bereits zur Zwangsarbeit verpflichtete Strauss tauchte 1942 unter, als sein Vater deportiert wurde, und konnte in die Schweiz fliehen.

Doch mit Strauss’ Berufung und der Gründung des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) im Jahr 1982 sollte das interne Ringen nicht vorüber sein. Am 9. November 1982 hielt Strauss seine Antrittsvorlesung über „Antisemitismusforschung als Wissenschaft“ – und hatte dabei doch schon seine „hidden agenda“ für das Zentrum im Sinn, berichtete Moshe Zimmermann: den zeitgeschichtlichen Bezug zum jüdischen Leben in Europa.

Heute sollte man mehr die Frage in den Mittelpunkt rücken: Was weiß man, wenn man Antisemitismus sagt?

Moshe Zimmermann, Historiker

Öffentlich gestritten wurde am Zentrum aber – unter Strauss Nachfolger Wolfgang Benz, der 1990 antrat – um einen anderen Aspekt der Ausrichtung: Inwiefern kann oder muss der Antisemitismus als Teil der allgemeinen Vorurteilsforschung erforscht werden, etwa auch in vergleichender Perspektive zur Islamfeindlichkeit?

In diesem Ansatz per se eine Verharmlosung des Antisemitismus oder gar des Holocaust zu sehen, hätte Herbert A. Strauss wohl als verfehlt bezeichnet. Er folge bei der Erforschung des Antisemitismus und seiner Ursachen vom letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart den sozialgeschichtlichen Methoden der Vorurteilsforschung in den USA und in Großbritannien, zitierte Moshe Zimmermann den Gründungsdirektor. Und das nicht, um den Antisemitismus zu relativieren, sondern „um die Besonderheit des Antisemitismus sichtbar zu machen“.

Vorurteilsforschung war schon der Ansatz von Herbert A. Strauss

Schon Strauss habe sein Augenmerk neben den Juden auch auf „die Gastarbeiterminderheit“ gelegt und auf die nichtjüdischen Opfergruppen im Holocaust. Stefanie Schüler-Springorum, ZfA-Leiterin seit 2011, würdigte die Ära von Wolfgang Benz, der beim Festakt aus Termingründen verhindert war. Er habe das Zentrum „zum ersten Holocaust-Forschungs-Zentrum in Deutschland ausgebaut“.

Und wo steht das Zentrum für Antisemitismusforschung heute, 40 Jahre nach seiner Gründung? „Was Antisemitismus ist, dazu gab es vor 40 Jahren einen breiten Konsens“, merkte Moshe Zimmermann an. „Heute sollte man mehr die Frage in den Mittelpunkt rücken: Was weiß man, wenn man Antisemitismus sagt?“ Der Begriff sei zu einem „Sammelsurium“ geworden, kritisierte der Historiker. Im Streit um linken Antisemitismus und israelbezogenen Antisemitismus drohe der „praktische Antisemitismus“ aus dem Blick zu geraten.

Ist nun die Definition des zahlreichen Umfragen zufolge weiter verbreiteten sekundären Antisemitismus (wie dem auf Israel bezogenen) problematisch oder hat sich der Schwerpunkt tatsächlich verlagert, fragte Moshe Zimmermann in einem Ausblick auf „Perspektivenverschiebungen zwischen 1982 und 2022“. Das sei Thema für die nächsten 40 Jahre.

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