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Auch die Lebensgemeinschaft des Nordpolarmeeres ist auf die Meereisentwicklung angewiesen.

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Atlantifizierung des Nordpolarmeers: Warum der Meereisschwund stockt

Schon ab der Mitte des Jahrhunderts könnte das arktische Meer im Sommer eisfrei sein, vermuten Forschende. Doch derzeit wird dieser Trend überdeckt.

Der Klimawandel trifft den hohen Norden viel stärker als die allermeisten anderen Regionen auf der Erde. Die Lufttemperaturen in der Arktis steigen mindestens dreimal schneller als im globalen Durchschnitt. Auch das Wasser erwärmt sich stärker als die anderen Ozeane auf der Welt.

In der Folge geht die Eisbedeckung des Nordpolarmeeres zurück. Bis zum Ende des Jahrhunderts soll dieser Ozean im Sommer eisfrei sein, zeigt die Klimaforschung. Einige vermuten sogar, das könnte bereits viel früher der Fall sein.

Ungefähr seit dem Jahr 2007 scheint der Meereisschwund aber langsamer geworden zu sein, vielleicht hat er sogar eine kleine Pause eingelegt. Das erklären in der Zeitschrift „Science“ Igor Polyakov von der University of Alaska in Fairbanks und sein Team, zu dem auch Markus Janout vom Alfred-Wegener-Institut (AWI), dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven gehört.

Strömungen in Luft und Wasser

Die Gruppe liefert auch eine Erklärung für die überraschende Entwicklung: Das Muster der Winde über dem hohen Norden hat sich zwischen 2007 und 2021 verändert. Damit haben sich auch die Meeresströmungen geändert und dadurch sei das Verschwinden des Meereises fast zum Stillstand gekommen. Allerdings änderte sich die Eisbedeckung von Jahr zu Jahr sehr deutlich.

„Diese großen Schwankungen in nur 14 Jahren lassen den Trend zu einem deutlich geringeren Rückgang des Meereises allerdings sehr unsicher erscheinen“, erklärt Torsten Kanzow. Der Ozeanograf leitet am AWI den Fachbereich Klimawissenschaften und die Sektion Physikalische Ozeanografie der Polarmeere, war an der Studie aber nicht beteiligt. „Insgesamt sind in den vergangenen 40 Jahren im Sommer 40 Prozent des Meereises verschwunden“, sagt der Forscher. Und es gäbe „keinerlei Hinweise auf eine Erholung“ auf das Niveau der 1970er Jahre.

Aber der Rückgang des Meereises scheint sich seit 2007 verlangsamt zu haben. Hintergrund dieser Entwicklung ist mit dem „arktischen Dipol“ ein Windmuster. „Normalerweise herrscht über dem Kanadischen Becken des Nordpolarmeers hoher Luftdruck“, erklärt Kanzow. Während die Luft im Uhrzeigersinn um solche Hochdruckgebiete herumweht, wehen die Winde um das Tiefdruckgebiet, das weiter im Osten über der Norwegensee liegt, gegen den Uhrzeigersinn.

Zwischen diesen beiden Gebieten treffen sich die Windsysteme zwischen Grönland und Spitzbergen und wehen von dort gemeinsam nach Süden. „Das führt dazu, dass normalerweise im Westen der dort liegenden Framstraße entlang der Küste Grönlands kaltes Wasser mit viel Meereis nach Süden strömt, während an der Ostseite relativ warmes Wasser an der Oberfläche nach Norden strömt“, beschreibt Kanzow die Auswirkungen auf Meeresströme.

Wasserschicht schützt Eis

Dieses Einströmen hat sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt und das aus dem Süden kommende Wasser wurde zudem wärmer. Das wiederum „atlantifiziert“ das Nordpolarmeer und schwächt die sonst sehr stabilen Wasserschichten. Dort enthalten die obersten 200 Meter normalerweise salzarmes und kaltes Wasser, in dem sich im Winter Meereis bildet. Darunter liegt eine etwa einen Kilometer starke Schicht wärmeren, sehr salzhaltigen Wassers, das aber kaum Einfluss auf das Meereis hat. Diese Situation ändert sich, wenn vermehrt Atlantikwasser im Osten der Framstraße nach Norden fließt und die Schichtungen schwächt. Dann kann zusätzliche Wärme aus der unteren Schicht das schwimmende Eis schmelzen.

Der Eisschwund schwächte sich ab 2007 deutlich ab, weil die Windverhältnisse sich änderten, berichten Polyakov und sein Team. Der arktische Dipol verstärkte sich und verschob die Strömungen weiter nach Osten. Während der Zustrom von warmem Atlantikwasser durch die Framstraße nachließ, strömte jetzt weiter im Osten durch die Barentssee mehr warmes Wasser nach Norden. Das wiederum verstärkte die Strömungen im Nordpolarmeer.

„Dadurch wurde mehr salzarmes und kaltes Wasser aus den Regionen nördlich von Sibirien in Richtung Kanadisches Becken nördlich von Nordamerika gedrückt“, erklärt Kanzow. So verstärkte sich die salzarme Deckschicht und der weitere Schwund des Meereises wurde – zumindest zunächst einmal – gebremst.

In Zukunft könnte er sich wieder beschleunigen, warnen Polyakov und sein Team: Der arktische Dipol könnte sich abschwächen, die Strömungen würden wieder nach Westen wandern und die Atlantifizierung des Nordpolarmeeres würde weitergehen.

Eine weitere Entwicklung könnte sich verstärken: „So können die schnell steigenden Lufttemperaturen das Eis auch von oben her schmelzen“, sagt AWI-Forscher Kanzow. Das Meereis auf dem Nordpolarmeer gehört daher weiterhin zu den deutlichen Verlierern beim Klimawandel.

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