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Wie soll demokratische Mitbestimmung aussehen?

© Getty Images/Alvaro Medina Jurado

Ausstellung im Berliner Futurium: Wie lässt sich die Demokratie modernisieren?

31 Prozent der Deutschen hat Demokratie-Frust. Die Ausstellung „Zukünfte der Demokratie“ zeigt, wie sich die Regierungsform ändern und verbessern könnte. Brauchen Flüsse Rechte, sollten Kinder mehr mitbestimmen?

Von außen sieht sie aus wie eine ganz normale Wahlkabine. Eintreten, Vorhang zu, und ... ankreuzen? Nein. Denn einen Stimmzettel gibt es hier nicht. Stattdessen schauen Wähler:innen direkt in eine Kameralinse. Klick! Ein Foto und der Computer hat schon die Wahlentscheidung getroffen.

Eine Gesichtserkennungs-Software errechnet, welche Partei am besten zu den Wählenden passt. Er gleicht ihr Aussehen mit dem aller Abgeordneten im Deutschen Bundestag ab. Eine Wahlentscheidung aufgrund äußerer Ähnlichkeit? Geht das einen Schritt zu weit?

Die Wahlkabine „Smile to Vote“, eine Zukunftsvision des Künstlers Alexander Peterhänsel, ist Teil einer Ausstellung, die an diesem Donnerstag, 16. März im Berliner Futurium eröffnet wird.

Sie müssen gar nicht lächeln, die Wahlkabine „Smile to Vote” des Künstlers Alexander Peterhänsel, weiß auch so welche Partei am besten zu Ihnen passt.

© David von Becker

Der neue Themenschwerpunkt „Zukünfte der Demokratie“ widmet sich der Frage, wie Staaten in Zukunft mit Herausforderungen wie dem Klimawandel, sozialer Ungleichheit oder der Digitalisierung umgehen können. Viel wurde in den vergangenen Jahren über die Krise der Demokratie diskutiert. Das Futurium will Ansätze zeigen: Wie lässt sich die Demokratie verteidigen? Wie muss sie sich verändern? Wie wichtig neue Denkanstöße sind, zeigte das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach von 2022. 31 Prozent aller Befragten stimmten der Aussage zu: „Wir lebten in einer Scheindemokratie, in der die Bürger nichts zu sagen haben.“

An mehreren interaktiven Stationen sollen Besucherinnen und Besucher im Futurium Handlungsprozesse in Demokratien erkunden und sich zu Themen wie Mitbestimmung, Solidarität oder Diversität einbringen, indem sie beispielsweise über Vorschläge und fiktive Gesetzesentwürfe abstimmen.

Dafür drücken sie Knöpfe und Buzzer, legen Schalter um, malen auf Papier, tippen auf Tablets. „Je mehr Menschen sich an den interaktiven Stationen beteiligen, desto bunter leuchtet und pulsiert die Lichtinstallation“, sagt Gabriele Zipf, Leiterin der Ausstellungen. „Damit wollen wir zeigen, dass Demokratie vom Mitmachen lebt.“

Nebenan können sich Interessierte mit Zukunftsvisionen befassen. Was wäre, wenn Kinder schon mit sechs Jahren wählen dürften? Könnten Politiker:innen per Los ins Parlament einziehen? Wie beeinflussen soziale Medien die Demokratie? Und wie wäre es mit Grundrechten für Flüsse und Wälder?  

„Durch spielerische Elemente versuchen wir, auch abstrakte und sperrige Themen für jeden zugänglich zu machen“, erklärt Gabriele Zipf. Neben kurzen Texten gibt es viele Bildschirme, die zum Beispiel Interviews mit Wissenschaftler:innen oder Aktivist:innen zeigen, analoge Elemente, die sich drehen oder aufklappen lassen, begehbare Installationen, Spiele und Comics. Interaktion ist das Hauptmerkmal der Ausstellung

Erst im Herbst 2019 wurde das Futurium am Berliner Alexanderufer im Regierungsviertel eröffnet. Die Dauerausstellung auf drei Etagen und rund 3200 Quadratmetern ist in die Bereiche Mensch, Natur und Technologie unterteilt. Alles dreht sich um eine große Frage: Wie wollen wir in Zukunft leben? Es geht um Roboter und Mobilität, aber auch um nachhaltige Ernährung oder ökologische Baumaterialien.

Drücken, klicken, umklappen, malen und hören: Die Zukunft der Demokratie ist mit allen Sinnen wahrnehmbar. Und leuchtet heller, je mehr sich beteiligen.

© David von Becker

Ein halbes Jahr nach der Eröffnung musste das Futurium 2020 aufgrund der Pandemie schon wieder schließen. In diesem Jahr sind die Besucherzahlen aber wieder gestiegen: Bereits im Januar und Februar besuchten über 100.000 Menschen die Ausstellungen im Gebäude direkt an der Spree. Damit wird das selbst gesteckte Ziel von 200.000 jährlichen Besucher:innen wohl schon im Frühjahr übertroffen sein.

Besucher:innen verlassen die Ausstellung mit Zuversicht und Hoffnung auf neue Lösungen und Ideen.

Alice Ahlers

Im Futurium Lab, das sich im Untergeschoss befindet, können Besucher:innen selbst experimentieren: mit Lötkolben, 3D-Druckern oder Lasercuttern. Hier gibt es auch vier neue Exponate zum Thema Demokratie, die sich vor allem mit den Chancen und Risiken digitaler Entwicklungen beschäftigen.

Vor einem großen Bildschirm können Besucher:innen ihre Antworten auf gesellschaftlich relevante Fragen in ein Mikrofon sprechen: „Was würde dich dazu bringen, dein Auto aufzugeben?“ Eine Künstlicher Intelligenz erfasst die Schlagwörter – zum Beispiel „Mehr Radwege“, „überdachte Stellplätze“, „sichere Straßen“ – und verbindet sie mit den Antworten anderer Besucher:innen. So entsteht nach und nach ein großes Meinungsbild, das sich durch Klicken erforschen lässt. „Es geht hier darum, seine Meinung zu sagen, aber auch anderen zuzuhören“, sagt David Weigend, Leiter des Futurium Lab. 

An der Station „Opinionator“ erfahren Besucherinnen und Besucher, wie die Macher digitaler Plattformen die Informationen steuern, die wir im Internet zu sehen bekommen. Zum Beispiel geht es um die Vor- und Nachteile des Sammelns von Standort-Daten.

Sind Demokratien in Gefahr? Besucherinnen und Besuch können sich ein eigenes Bild im Futurium machen.

© Foto: David von Becker

Oder wie sich in sozialen Netzwerken politische Lager bilden, wenn die Nutzer:innen nur die Inhalte zu sehen bekommen, die ihrer eigenen Meinung entsprechen. „In Zeiten der digitalen Demokratie ist es wichtig, über Technologien, die unsere politische Meinungsbildung beeinflussen können, Bescheid zu wissen“, sagt David Weigend.

Außerdem können Interessierte in den nächsten Monaten mehrmals pro Woche an einem „Audiowalk“ teilnehmen. Mit Kopfhörern gehen sie durch das Regierungsviertel, um demokratische Innovationen zu testen. Dabei werden sie per Zeitmaschine in das Jahr 2046 geschickt. Sie werden Anwält:innen der Natur, üben Veto-Rechte aus und proben demokratische Beteiligung per Los.

Zukunft mitbestimmen lassen von junger oder künstlicher Intelligenzen?

© dpa/Hendrik Schmidt

Eine neue Talk-Reihe mit dem Titel „Dating Democracy“ wird außerdem an neun Terminen Gäste aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zusammenbringen, um gemeinsam mit dem Publikum über Ansätze für eine zukunftsfähige Demokratie zu diskutieren. Den Anfang macht am 27. April 2023 die Historikerin Ute Frevert vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung mit dem Thema „Hallo Demokratie! Wie fühlst Du dich?“.

Wer sich erhofft, in der Ausstellung etwas über die demokratische Situation einzelner Länder oder Regionen zu erfahren, wird nicht wirklich fündig. Im Futurium geht es eher um grundsätzliche Fragen, darum, auf neue Gedanken zu kommen und Gewohntes zu hinterfragen.

Statt in Untergangsszenarien einer düsteren Zukunft zu versinken, verlassen Interessierte die Ausstellung mit einer gewissen Zuversicht und Hoffnung auf neue Lösungen und Ideen. Außerdem wird man immer wieder herausgefordert, eine eigene Haltung einzunehmen. Eine Wahlkabine, die einem mit Künstlicher Intelligenz die Wahlentscheidung abnimmt? Doch lieber nicht.

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