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Kurzkopfgleitbeutler segeln in Australien und Neuguinea häufig durch die Nacht.

© Joe McDonald, McDonald Wildlife photography

Das Gen zum Fliegen: Warum so viele Säugetiere Flughäute entwickeln konnten

Die Kunst des Fliegens wurde im Reich der Säugetiere gleich siebenmal erfunden. Ein Forscherteam nun herausgefunden, was der universelle Schlüssel zum Abheben ist.

In 160 Millionen Jahren Evolution haben mindestens sieben verschiedene Gruppen von Säugetieren das Fliegen gelernt. Dieses gar nicht so einfache Vorhaben klappte jedes Mal nach dem gleichen Muster: Von Gleitbeutlern bis zu den Fledermäusen spannen fliegende Säugetiere zwischen den Armen, ihrem Leib und den Beinen Flughäute, die sie ähnlich wie die Tragfläche eines Segelflugzeugs über einige Zeit in der Luft halten.

Forschende vermuteten daher, dass es im Erbgut eines jeden Säugers Gene gibt, die in bestimmten Situationen eine Entwicklung zum Gleiter oder, wie bei den Fledermäusen, sogar zum aktiven Flieger ermöglicht. Einen solchen Werkzeugkasten der Evolution beschrieb nun ein Team um Ricardo Mallarino von der Princeton University in den USA in der Zeitschrift „Science Advances“.

Der Schlüssel zum Fliegen scheint ein Protein zu sein, das für die Signalketten innerhalb von Zellen wichtig ist - das Protein Wnt. Ursprünglich war es bei Drosophila-Fliegen aufgefallen, weil die Tiere nach einer zufällig entstandenen Mutation am Wnt-Gen keine Flügel entwickeln.

Ähnlich entscheidend ist ein solches Signal offensichtlich auch bei den Kurzkopfgleitbeutlern Australiens. In diesen auch Sugar Glider genannten Beuteltieren gibt Wnt5a anscheinend den Startschuss für die Entwicklung der Flughaut.

Das Gen gehört zu einer Gruppe von Wnt-Genen, die nach der Geburt der Beutelgleiter sehr aktiv ist. Beim Menschen spielt Wnt5a eine wichtige Rolle bei der Bildung der Haut auf den Handflächen und Fußsohlen, ist aber auch für die vermehrte Produktion von Zellen bei einer Schuppenflechte-Erkrankung mitverantwortlich. Beim Beutelgleiter-Nachwuchs kurbelt Wnt5a die Bildung von Zellen an und verstärkt so das Gewebe, aus dem sich ab dem fünften Tag nach der Geburt die Flughaut entwickelt.

Viele kleine Mutationen

Dieses Gen ist aber nicht nur in den Gleitbeutlern für die Bildung der Flughaut verantwortlich, sondern auch in den in Südamerika lebenden Brillenblattnasen. In Biopsien von Embryonen dieser Fledermäuse fand das Team Hautstrukturen, die dem vergleichbaren Gewebe in Beutelgleitern stark ähneln. Auch dort fällt die hohe Aktivität von Wnt5a auf. Und wie bei den Beutelgleitern ist dieses Gen nicht allein aktiv: Es arbeitet mit mindestens fünf weiteren Genen zusammen, die bei der Entwicklung von Gliedmaßen mitwirken, zeigte die Gruppe mit weiteren Experimenten.

Das Wnt5a-Gen ist nicht nur in den Gleitbeutlern für die Bildung der Flughaut verantwortlich, sondern auch in den in Südamerika lebenden Brillenblattnasen.

© picture-alliance / OKAPIA KG, Germany/Joe McDonald

Fledermäuse gehören wie sehr viele andere Säugetiere einschließlich des Menschen zu den Plazentatieren, die in der Evolution seit mindestens 160 Millionen Jahren getrennte Wege von denen der Beuteltiere gehen. Schon damals scheint es also im Erbgut den genetischen Werkzeugkasten gegeben zu haben, mit dessen Hilfe Flughäute gebildet werden können.

Dabei handelt es sich um hochkomplexe Ketten und Verzweigungen einer ganzen Reihe von Signalen. „Kleine Mutationen können die Kaskaden dieser Signale so verändern, bis sie wieder den Startschuss für die Bildung einer Flughaut geben“, erklärt Frieder Mayer. Der Kustos der Säugetiersammlung des Museums für Naturkunde in Berlin forscht über die Evolution von Fledermäusen, war aber an der Studie nicht beteiligt.

Zutaten der Evolution

„Die Evolution wiederholt sich zwar nicht, kann aber Altes so modifizieren, dass ähnliche Eigenschaften unabhängig voneinander entstehen“, sagt der Forscher weiter. „Mich erinnert das an eine Küche, in der zwar die gleichen Gewürze verwendet werden, eine Veränderung der Mengen den Speisen aber einen ganz anderen Geschmack geben kann.“

Gleich geht’s los: ein Sugar Glider vor dem Absprung.

© IMAGO/Zoonar/IMAGO/Zoonar.com/DiKKY_O

Mit einem weiteren Experiment zeigt das Team um Mallarino, dass die verstärkte Aktivität des Wnt5a-Gens in Labormäusen die Bildung von Hautzellen ankurbelt. Die Gruppe sammelte zudem Gewebe von Mäuse-Embryonen, in denen sich gerade die Ohrmuscheln entwickelten. Auch in diesem Gewebe war die Aktivität des Wnt5a-Gens deutlich höher als in benachbarten Zellen und es bildeten sich verstärkt Hautzellen.

Tatsächlich könnte das genetische Rüstzeug, mit dessen Hilfe Säugetiere Flughäute bilden, noch viel älter sein, vermutet das Team um Mallarino. So besitzen Faltengeckos in den tropischen Wäldern Südostasiens Hautsäume, die Ähnlichkeiten mit den Flughäuten der Säugetiere haben. Ähnlich wie die Beutelgleiter können auch diese Geckos mithilfe dieser Tragflächen ein Stück weit durch die Luft gleiten. Vielleicht ist dort der gleiche Grundmechanismus am Werk, wie in gleitenden Säugetieren?

„Auch bei den Schwimmhäuten zwischen den Zehen verschiedener im Wasser lebender Wirbeltiere könnte die Wnt-Signalkette eine Rolle spielen“, vermutet Mayer. Und Schwimmhäute könnten auch in der Luft genutzt werden. Das zeigen Frösche, die ihre Füße samt Schwimmhäuten weit aufspreizen und so ihre Sprünge mit einer Gleitflug-Komponente deutlich verlängern.

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