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Die Stunde der Gartenvögel, bei der Gartenbeobachtende Vögel wie diese Blaumeise (Cyanistes caeruleus) zählen sollen, findet jährlich am zweiten Mai-Wochenende statt. 

© Patrick Peul/dpa

Das Schweigen im Garten: Pflanzenschutzmittel halten Singvögel fern

Wer gegen Schädlinge und Unkraut Gift im eigenen Garten ausbringt, muss auch mit weniger Singvögeln rechnen.

Ein eigenes Fleckchen Erde, hinterm Haus oder in einer Kleingartenkolonie, das ist für viele Menschen der Ort, an dem sie sich voll und ganz ausleben. Hier werden ein paar Quadratmeter nach den eigenen Vorlieben geformt und gestaltet – seien es Beete zur Selbstversorgung, Rollrasen oder purer Schotterkies. Und was nicht passt, wird passend gemacht.

Wildwuchs, der zwischen Wegsteinen sprießt, Blattläuse, die in den Tomaten Überhand nehmen: Dagegen hält der Baumarkt potente Mittelchen bereit, in einer abgeschlossenen Vitrine mit giftigem Inhalt. Roundup gegen Unkraut, Schädlingsfrei-Pumpspray, blaue Kügelchen gegen Schnecken. Ab und zu darf es bei vielen auch mal die Chemiekeule sein.

„Roundup“ vertreibt Spatzen

Was auf kleiner Fläche tausendfach passiert, summiert sich. Rund 20 Millionen Hausgärten und etwa eine Million Schrebergärten gibt es in Deutschland. Ihre Fläche ist zusammengenommen zehnmal so groß wie Berlin. Über 500 Tonnen Pestizide werden laut Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland pro Jahr in privaten Gärten ausgebracht. Laut Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV) sind es noch deutlich mehr: knapp 6000 Tonnen. Pro Hektar Gartenfläche würden dabei sogar mehr Pestizide eingesetzt, als in der Landwirtschaft. (siehe Korrektur unten)

Dass weniger Wildkräuter auch für weniger Insekten sorgen, ist dabei noch die einfachste Schlussfolgerung. Doch wer mit harter Hand vorgeht, vertreibt damit auch Gartenbesucher, die oft sehr willkommen sind: In Privatgärten, in denen Pestizide eingesetzt werden, leben weniger Singvögel. Das konnten Forschende aus Großbritannien in einer Studie zeigen. Sie befragten die Besitzenden von insgesamt 615 Privatgärten in ganz Großbritannien nach deren Gebrauch von Pestiziden und stellten unter anderem fest: Dort, wo glyphosathaltige Mittel wie Roundup eingesetzt wurden, lebten im Schnitt 25 Prozent weniger Haussperlinge. Selbst ausgebrachtes Schneckenkorn wirkte sich negativ auf die Vogelfauna aus. Und das, obwohl in Privatgärten potentiell 40 verschiedene Vogelarten vorkommen könnten.

Als Kulturfolger lebt auch der Feldsperling schon lange in Nachbarschaft mit Menschen.
Als Kulturfolger lebt auch der Feldsperling schon lange in Nachbarschaft mit Menschen.

© imago/MIS / imago/MIS

Was in Gärten passiert, hat wesentlichen Einfluss auf Ökosysteme über die Grenzen der Privatgrundstücke hinaus, schreiben Cannelle Tassen de Montaigu und ihr Betreuer Dave Goulson im Fachblatt „Science of the Total Environment“ . Dabei sind diese Flächen gerade in städtischen Gebieten oft wichtige Refugien für wilde Tiere und Pflanzen.

Schwierige Erhebungen

Die Verkettung einer verringerten Zahl von Singvögeln mit dem Ausbringen von Pestiziden mag wenig überraschend sein. Verblüffend ist jedoch, dass über diesen Zusammenhang in Privatgärten bislang noch nie Zahlen erhoben wurden. Ob Pestizide in der Landwirtschaft einen negativen Einfluss auf die Vogelfauna haben, wurde dagegen bereits mehrfach untersucht.

Für Privatgärten gibt es dagegen bisher lediglich eine vergleichbare Studie aus Frankreich. 2015 zeigten dort Forschende, dass die Zahl von Schmetterlingen und Hummeln in jenen Gärten geringer war, in denen chemische Unkrautvernichter eingesetzt wurden. Studien wie diese werden durch mehrere Faktoren erschwert, erklärten die Forschenden damals: Der Zugang zu Privatgärten muss jedes Mal genehmigt werden, die Aufnahme von Daten ist nicht immer frei möglich, oft fehlen einheitliche Regelungen darüber, ob und wie Pestizide eingesetzt werden dürfen.

In der aktuellen Studie aus Großbritannien arbeiteten die Forschenden mit der Vogelschutzorganisation „British Trust for Ornithology“ zusammen. Die Organisation sammelt regelmäßig Daten über das Vorkommen von Vögeln in Privatgärten durch Aktionen ähnlich der hierzulande durch den Nabu veranstalteten „Stunde der Gartenvögel“. Den Teilnehmenden an den Aktionen wurde außerdem ein Fragebogen über den Gebrauch von Pestiziden gereicht. Aus rund 24.000 Gärten kamen dadurch 615 auswertbare Datensätze zusammen.

Mut zur Wildnis

Markus Erlwein, Pressesprecher beim LBV kann das Ergebnis der Gartenstudie nachvollziehen: „Greift man künstlich mit Gift ein, gerät das System aus dem Gleichgewicht.“ Doch wie soll man vorgehen, wenn das eigene Ordnungsbedürfnis mit der Natur kollidiert?

„Wir empfehlen grundsätzlich Mut zur Wildnis“, sagt Erlwein. Wachsen lassen, was gerade kommt, ohne Unkraut zu rupfen oder gar Mittel dagegen zu versprühen. „Wenn das unerwünscht ist, raten wir dazu, wenigstens mit einer wilden Ecke im Garten anzufangen.“ Dort wird sich schon bald mehr Leben zeigen, mehr Wildblumen und schließlich Bestäuberinsekten. Vögel, die dadurch angelockt werden, werden dann auch Schädlinge vernichten – sodass Pestizide überflüssig werden.

Wer trotzdem nicht auf Mittelchen verzichten kann, sollte wenigstens auf pflanzliche Substanzen umsteigen, empfiehlt der LBV. Brennnesseln etwa, die für viele Gärtnerinnen und Gärtner zum Unkraut zählen, lassen sich dafür vielfältig nutzen. Ein Aufguss der Pflanzen hilft zum Beispiel gegen Blattläuse, Brennnessel-Jauche ist ein effektiver Dünger. Ein Tee aus Ackerschachtelhalm wiederum, mit dem Gemüsepflanzen besprüht werden, erhöht deren Widerstand gegen Schadinsekten und Pilze. Auf diese Weise wird selbst unliebsamer Gartenwuchs noch nützlich.

KORREKTUR: Die Angaben vom LBV zur jährlich in Deutschlands Privatgärten eingesetzten Pestizidmenge, die Überschlagsrechnung zu ihrer Gesamtfläche und der Vergleich mit dem Pestizideinsatz pro Fläche mit der Landwirtschaft wurden ergänzt.

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