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Eine Roboterhand hält ein Stethoskop.

© Getty Images/iStockphoto

Digitale Medizinethik aus Potsdam: Wie können Roboter in der Medizin eingesetzt werden?

Ein Forschungsprojekt will den Einsatz von Pflegerobotern verstehen: Die Chancen und Risiken, wie sich die Beziehung von Pflegenden und Pflegebedürftigen ändert – und ethische Leitlinien ausarbeiten.

Ein niedlicher Roboter, der neben dem Bett einer pflegebedürftigen, fast blinden Seniorin steht und ihr den druckfrischen Tagesspiegel vorliest. Ein eigentlich leblose Maschine, die sogar leise zu kichern beginnt, wenn die alte Dame es sanft berührt: Ist das die Antwort auf den beängstigenden Personalmangel in der Pflege? Wo kann menschliche Zuwendung durch Technik ersetzt werden, wo auf keinen Fall? Eine Antwort auf diese Fragen will das Forschungsprojekts „Ethics Guideslines for Socially Assistive Robots in Elderly Care“, kurz: Ecare, finden. Das Bundesgesundheitsministerium fördert das Projekt seit November 2022.

„Wir wollen vorausschauend zur Frage forschen, unter welchen Bedingungen soziale Robotik verantwortlich genutzt werden kann“, erklärt Robert Ranisch, Leiter des Projekts und Juniorprofessor für Medizinische Ethik an der Universität Potsdam. Dazu planen die Forscher:innen neben Literaturrecherchen und Interviews in Pflegeeinrichtungen eine große Bürger:innenkonferenz in Potsdam, die über drei Wochenenden gehen soll. „Wir möchten erfahren, was die Menschen darüber denken“, sagt Ranisch. Erst am Ende soll aus dem Diskussionsprozess heraus ein Regelkatalog entstehen.

Wie geht es Ihnen heute?: Bevor soziale Robotik in der Medizin und Pflege Standard wird, müssen ethische Fragen geklärt werden.

© Getty Images/Donald Iain Smith

Der studierte Philosoph gesteht, dass er mit dem Begriff Ethik bisweilen fremdelt. Man verwechsle ihn landläufig zu leicht mit Moral und Besserwisserei. „Ich bin ein freiheitsliebender Mensch, mir widerstrebt der moralische Zeigefinger.“

Ranischs Arbeitsbereich Medizinische Ethik ist Teil der im Aufbau befindlichen Fakultät für Gesundheitswissenschaften Brandenburg. Den Forschungszweig betreibt die Universität Potsdam gemeinsam mit der Medizinischen Hochschule Brandenburg und der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg.

Irgendwann wird man den Begriff „Digitalisierung“ in historischen Wörterbüchern suchen müssen.

Robert Ranisch, Juniorprofessor für Medizinische Ethik an der Universität Potsdam

Neben der Forschung zur Robotik möchte Ranisch die Reichweite des Fachgebiets der Medizinethik stärken. Gemeinsam mit der Universität Tübingen baut die Uni Potsdam derzeit ein von der VolkswagenStiftung gefördertes „Netzwerk digitale Medizinethik“ auf. Eine der selbst gestellten Anforderungen ist die Entwicklung eines Lehrplans „Digitale Medizinethik“. „Das ist für alle Heilberufe ein unglaublich wichtiges Fach“, urteilt Ranisch.

In der Approbationsordnung für Ärzte kommt die Medizinethik zwar ganz zu Beginn vor, doch an den medizinischen Fakultäten ist sie bisher noch längst nicht überall etabliert. Damit das neue Curriculum Studierenden der Medizin, angehenden Pflegekräften, aber auch Studierenden der Informatik und Angehörigen anderer Professionen nützlich ist, wird es in unterschiedlich kombinierbaren Modulen aufgebaut sein.

Wie praxistauglich ihr Wissen ist, sollen Studierende im nächsten Jahr in einer „Hochschul-Challenge“ anhand realer Fallbeispiele testen können. „Am Ende küren wir die besten Lösungen für den Praxistransfer.“

Darüber hinaus will das Netzwerk auch digitale Angebote für Kliniken entwickeln, die auf ethische Fallberatungen für schwierige Abwägungen bei einzelnen Patienten angewiesen sind. Wie zum Beispiel bei der Frage, ob gegen Lebensende medizinische Therapien nur begrenzt eingesetzt werden sollen.

„Während der Corona-Pandemie haben wir das bereits über Zoom angeboten. Aus dieser besonderen Situation heraus entstand die Idee, das digitale Format für das Flächenland Brandenburg zu erproben“, so Ranisch. Auch Wissenschaftler:innen können sich mit forschungsethischen Fragen an das Netzwerk wenden. Das „Ethics Help Desk“ bietet niederschwellige Unterstüzung zur für den verantwortungsvollen Umgang mit Big Data und Künstlicher Intelligenz.

Für ihn ist Estland Vorbild in Sachen digitalisertes Gesundheitssystem: Robert Ranisch, Leiter von Ecare und Juniorprofessor für Medizinische Ethik mit Schwerpunkt auf Digitalisierung an der Universität Potsdam.

© Marcel Wogram für Volkswagen Stiftung

Welche Chancen die Digitalisierung für das Gesundheitssystem bietet, wird derzeit in Deutschland im Zusammenhang mit der elektronischen Patientenakte diskutiert. Estland ist in Ranischs Augen hier ein Vorbild. Für das deutsche Gesundheitssystem mit sehr vielen Akteuren sei der umsichtige Umgang mit Gesundheitsdaten sicher schwieriger. Aber das Gesundheitssystem deswegen nicht zu digitalisieren, trage auch Kosten mit sich.

Die Digitalisierung des Gesundheitssystem schließt auch die Frage ein, wie Roboter tatsächlich – über Assistenzsysteme hinaus – in der Chirurgie eingesetzt werden können. Diesem Thema gehen Ranisch und sein Team gegenwärtig im „Ethics Lab“ des Netzwerkes nach. „Wer trägt hier die Verantwortung für Fehler? Was macht das mit unserem Verantwortungsbegriff und mit der Arzt-Patienten-Beziehung?“ fragt Ranisch.

Kann der Juniorprofessor für Medizinische Ethik das derzeit allgegenwärtige Schlagwort „Digitalisierung“ überhaupt noch hören? Das Thema ist von immenser Bedeutung, nicht zuletzt für das Gesundheitswesen, da ist er sich sicher. „Aber irgendwann wird man den Begriff „Digitalisierung“ in historischen Wörterbüchern suchen müssen“, vermutet Ranisch. Weil digitale Strukturen dann zur Selbstverständlichkeit geworden sind.

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