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Aufnahmen mit Laserstrahlen im Amazonasgebiet zeigen ein ausgedehntes Wegenetz und rechtwinklige Hügel, die von Menschen aufgeschüttet und bebaut wurden.

© Stéphen Rostain

Entdeckung im Amazonas: Regenwaldbewohner lebten in Gartenstädten

Im heutigen Ecuador errichteten Menschen vor 2500 Jahren ein Netzwerk aus Städten. Dass sie untergingen, hat auch etwas mit den Europäern zu tun.

Als der spanische Konquistador Francisco de Orellana vor fast 500 Jahren von seinen Expeditionen in den Amazonas zurückkehrte, berichtete er von großen Städten entlang des Ufers. Zeitgenossen hielten diese Schilderungen für Fantastereien. Doch nun hat ein französisches Forschungsteam gezeigt, dass der Spanier nicht gelogen hat: Im heutigen Ecuador gab es um 1540 wirklich größere Siedlungen im tropischen Regenwald. Und so wie sie die Archäologen in der Zeitschrift „Science“ beschreiben, kann man sie als „Gartenstädte“ bezeichnen.

Ein Team um den Archäologen Stéphen Rostain von der französischen Forschungsorganisation Centre national de la recherche scientifique (CNRS) hat über Jahrzehnte ein Areal am Río Upano erforscht, der zum oberen Amazonas-Flusssystem gehört und durch die östlichen Ausläufer der Anden fließt. Neben Ausgrabungen setzten sie dafür das radarähnliche Laserverfahren Lidar ein. Auf diese Weise entdeckten sie Überreste von Städten, in denen vor 2500 bis vor rund 1400 Jahren Menschen lebten.

Auf einer Fläche von rund 300 Quadratkilometern, was ungefähr dem Stadtgebiet von München entspricht, fanden sie etwa 6000 künstlich aufgeschüttete, rechteckige Plattformen. Die meisten von ihnen sind etwa zehn auf 20 Meter groß und zwei bis drei Meter hoch. Darauf standen oft Gebäude. Meist gruppierten sich drei bis sechs Plateaus um einen zentralen Platz.

Rechteckige Erdplattformen erheben sich entlang des Upano-Ufers. Sie wurden vor über 1000 Jahren von Menschen errichtet.
Rechteckige Erdplattformen erheben sich entlang des Upano-Ufers. Sie wurden vor über 1000 Jahren von Menschen errichtet.

© Stéphen Rostain

Daneben gab es größere Fundamente, auf denen sich die Menschen wohl trafen, um das gemeinsame Leben zu organisieren und um Zeremonien zu feiern. Im vermutlich zentralen Ort Sangay, etwa 35 Kilometer vom gleichnamigen Vulkan entfernt, fanden die Wissenschaftler eine Dichte von 125 Plattformen pro Quadratkilometer.

Sangay und die anderen Orte verband ein Netz von Fernstraßen, die durchschnittlich zwei bis drei Meter tief in den Boden gegraben wurden. Der Bodenaushub wurde links und rechts zu Wällen aufgetürmt, sodass ein Hohlweg entstand. Die längste dieser Straßen war rund 25 Kilometer lang. Sie befand sich zwischen den Orten Kilamope und Kunguints.

Forscher widerlegen das Bild der unberührten Natur

„Diese Veröffentlichung fasst mehr als 20 Forschungsjahre zusammen“, kommentiert Kathrin Nägele vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA), die an der Arbeit nicht beteiligt war. „Während man sich in Europa das Amazonasgebiet lange Zeit als praktisch unberührte Natur vorstellte, in der vor der Zeit von Christoph Kolumbus kaum Menschen lebten, zeichnet sich heute ein ganz anderes Bild ab.“ Dort lebten offensichtlich viele Menschen, die auf ihren Feldern Lebensmittel anbauten. „Das passt zu Forschungsergebnissen der letzten Jahre, die zeigen, dass im Amazonasgebiet schon vor zehntausend Jahren Pflanzen domestiziert wurden.“

Dabei konzentrierten sich die Regenwaldbewohner nicht nur auf wenige Pflanzenarten, wie zum Beispiel Getreide in Europa oder Reis in Asien, sondern kultivierten sehr viele Pflanzen. „Die Landwirtschaft war also sehr vielfältig“, erklärt Nägele. „Und statt eines dichten Regenwaldes gab es in einigen Gebieten wahrscheinlich Felder unter offenem Himmel.“

Europäer brachten neue Krankheiten in den Amazonas

Als aus der Alten Welt neue Infektionskrankheiten nach Südamerika eingetragen wurden, dezimierten diese Keime die Bevölkerung des Amazonasgebietes drastisch. Danach lagen viele Felder brach, der Regenwald überwucherte Siedlungen, Wege und Felder rasch und ein dichter Dschungel entstand, der seither das europäische Bild dieser Weltregion prägt.

Archäologen arbeiten auf einer Erdplattform in Kilamope.
Archäologen arbeiten auf einer Erdplattform in Kilamope.

© Stéphen Rostain

Über der alten Stadtlandschaft thront der 5286 Meter hohe aktive Vulkan Sangay. Auf dessen fruchtbaren Vulkanböden bringen die Bauern heute bis zu dreimal im Jahr ihre Ernte ein und schon vor 2500 Jahren war die Landwirtschaft dort wichtig: Als die CNRS-Gruppe Stärkekörner untersuchte, die an ausgegrabenen Tongefäßen und Scherben hafteten, konnte sie Mais, Bohnen, Maniok und Süßkartoffeln nachweisen.

Genaue Analysen der dort gefundenen Maisstärke zeigen auch, dass ein Chicha genanntes Bier damals ähnlich wie heute in der dortigen Region beliebt war. Gebraut wird das Getränk oft aus Maismehlfladen, die von Frauen gekaut und wieder ausgespuckt werden. Im Speichel enthaltene Enzyme verwandeln die Stärke in Zucker, Mikroorganismen verdauen den Zucker und verwandeln ihn in Alkohol – fertig ist das Chicha, das auch „Spuckbier“ genannt wird.

Möglicherweise bauten die Menschen in den längst verschwundenen Regenwald-Städten ähnlich wie heute luftige Häuser aus Holz und schützten sich mit einem Dach aus großen Blättern vor den häufigen Regenfällen. „Dieses Pflanzenmaterial zersetzt sich im tropischen Klima rasch“, erklärt Kathrin Nägele das Fehlen von Überbleibseln dieser Gebäude. Offensichtlich standen die Behausungen auf Mini-Hügeln, auf denen viele Menschen im Amazonas-Regenwald von Ecuador noch heute ihre Hütten bauen.

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