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Bettina Stark-Watzinger steht vor einem Mikrofon.

© IMAGO/Christian Spicker

Förderentscheidungen des BMBF: „Es gibt weder einen Bewilligungsstopp noch einen Förderstopp laufender Projekte“

Das Forschungsministerium verneint, dass es laufende Förderlinien abgebrochen habe. „Vertrauen verspielt und Unsicherheit gesät“, verurteilt die Union.

„Es wurden keine aktuell laufenden Forschungsvorhaben aus Kostengründen abgebrochen. Es gibt weder einen Bewilligungsstopp noch einen Förderstopp laufender Projekte.“ Diese Aussagen aus dem Bundesforschungsministerium ziehen sich wie ein roter Faden durch die Beantwortung von 71 Fragen, die wie berichtet die Unionsfraktion im Bundestag an Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) gerichtet hatte.

Die Antwort lag dem Tagesspiegel vorab exklusiv vor. Hintergrund der Anfrage sind Klagen vor allem aus den Sozialwissenschaften, aber auch aus der Bioökonomie und anderen Fächergruppen, dass bereits positiv begutachtete Forschungsvorhaben und Verlängerungsanträge kurzfristig vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) keine Förderung erhalten haben.

Bestätigt hatte das Ministerium zuvor unter anderem für seine Förderlinie „Gesellschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie“, dass 18 von 32 beantragten Projekten eine Bewilligung erhalten – jeweils mit 90 Prozent der beantragten Fördersumme und mit einem auf 2023 verschobenem Beginn.

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Das ging Ende Juli aus einer BMBF-Mitteilung hervor. Wie es in der Wissenschaft allgemein üblich ist, hatten die Antragsteller:innen allerdings aufgrund der positiven Begutachtung und daraus folgender inoffizieller Förderzusagen bereits Arbeitsverträge geschlossen.

Keine Liste zu gekürzten oder gestoppten Projekten

Die sich wiederholende Standardantwort, es habe keinen Bewilligungs- oder Förderstopp gegeben, gibt das BMBF zuallererst auf die zentrale Frage der Unionsfraktion, welche Förderungen 2022 konkret gestoppt, gekürzt oder verschoben wurden. Entsprechend liefert das Ministerium auch nicht die geforderte Auflistung aller gestrichenen Projekte samt Fördersumme und der Zahl der betroffenen Projektmitarbeiter:innen. Projektlisten gibt es nur für bewilligte Vorhaben in der Bioökonomie und zu einem Bundesprogramm für die Fachhochschulen.

„Die Ministerin hat die Chance vertan, ihre Strategie zu erklären. Weiterhin wird behauptet, es würde keine Kürzungen geben. Zahlreiche Meldungen aus der Wissenschaftsgemeinschaft sprechen jedoch eine andere Sprache“, kommentiert der forschungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Jarzombek (CDU), gegenüber dem Tagesspiegel.

So werde „Vertrauen verspielt und Unsicherheit gesät“. Die Scientific Community werde „über Ziele und Strategie des BMBF bewusst weiterhin im Dunkeln gelassen“, so Jarzombek.

[Geäußert hat sich die Ministerin auch im Interview mit dem Tagesspiegel (T+/€): Verstehen Sie, dass viele Ihrem Haus Vertrauensbruch vorwerfen?]

An einigen Stellen der 44-seitigen Antwort aus dem BMBF finden sich aber doch Hinweise auf Ablehnungsgründe. In der Rechtsextremismus- und Rassismusforschung wurden laut Mitteilung von Ende Juli die allermeisten positiv begutachteten Projekte offiziell bewilligt – Zusagen erhielten demnach 19 Projekte sowie fünf von sechs Nachwuchsgruppen. Dazu heißt es jetzt offiziell, die nicht bewilligte Nachwuchsgruppe sei im Begutachtungsverfahren „als nur eingeschränkt förderwürdig bewertet“ worden.

Und noch einmal heißt es allgemein, es seien „keine aktuell laufenden Forschungsvorhaben aus Kostengründen abgebrochen“ worden. Konzediert wird jedoch an einer Stelle: „Im Einzelfall kann es jedoch vorkommen, dass Anschlussprojekte nicht oder nicht im bisherigen Umfang gefördert werden können.“

Ein Behördenvertreter spricht mit einem Dorfbewohner, beide stehen vor einer strohgedeckten Scheune.
Forschende eines Projekts zum Klimawandel im Amazonasgebiet wollen ihre Ergebnisse mit den Einheimischen teilen. Im Bild: Volkszählung im Amazonasgebiet im August 2022.

© Michael Dantas/AFP

Konkreter wird es zur Förderlinie „Kulturelle Vielfalt, kulturelles Erbe“ und zum Verbundvorhaben „PARVENUE – Bürgerlicher Aufstieg im Spiegel der Objektkultur im 18. Jahrhundert“: Hier sei „vor dem Hintergrund der veränderten Haushaltslage“ auf einzelne Bewilligungen verzichtet worden, wo es um Anschluss- oder Abschlussförderungen ging.

Gemeint sind offenbar die Belastungen der Corona-Pandemie, die Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine und die „Politik im Rahmen der Zeitenwende“, wie es in der Vorbemerkung des BMBF heißt. Allerdings betont das BMBF auch, Ministerin Stark-Watzinger habe trotz geplanter Etatkürzungen einen drei Milliarden Euro höheren Etat aushandeln können. Im Jahr 2026 sollen es 21,1 Milliarden Euro sein.

Verbindliche Zusage „erst mit schriftlichem Bescheid“

Doch mit der Planungssicherheit nach positiven Gutachten zu geförderten Projekten soll es offenbar vorbei sein. Die Praxis, dass ein als förderwürdig begutachteter Antrag und eine mündliche oder anderweitige Mitteilung darüber ein „Go“ für die Projektleitungen und ihre Teams bedeuten, soll nicht mehr gelten: „Eine verbindliche Förderzusage erfolgt erst mit einem entsprechenden schriftlichen Bescheid“, stellt das BMBF klar.

Wissen wollten die Fragesteller aus der Unionsfraktion auch, wie „die unvermittelte neue Schwerpunktsetzung der Ministerin“ begründet werde, aufgrund derer sie gerade noch für gut befundene Projekte nicht (weiter)fördere. „Eine neue Schwerpunktsetzung hat nicht stattgefunden“, lautet die knappe Antwort, wobei das BMBF noch einmal auf die „veränderte Haushaltslage“ verweist.

An anderer Stelle deuten sich dann aber doch inhaltliche Prioritäten an: Im Förderschwerpunkt „BioTip“ zur Klima- und Biodiversitätsforschung seien „aufgrund nicht ausreichend zur Verfügung stehender Mittel“ keine neuen Projekte bewilligt worden. Klimaschutz-Forschung werde aber etwa durch die Förderung von Grünem Wasserstoff oder durch ein neues Schiff für die Polarforschung unterstützt, fügt das BMBF erläuternd hinzu.

Keine Unterstützung für betroffene internationale Forschende

Vom Aus für „BioTip“-Vorhaben ist auch das Teilprojekt „PRODIGY – Boden-Biodiversität als Kipppunkt im Amazonasgebiet“ betroffen. Die Absage kam zwei Jahre vor dem Ende der Laufzeit, vor der Auswertungsphase und bevor die Ergebnisse mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der betroffenen Länder geteilt werden sollten, wie an der Freien Universität beklagt wurde.

Solche Projektabbrüche in internationalen Kooperationsprojekten träfen auch Gastwissenschaftler:innen, deren Aufenthaltstitel in Deutschland „von der jeweiligen Projektförderung abhängt“, betont die Unionsfraktion.

Hierzu legen die Fragesteller dem BMBF nahe, die Betroffenen zu unterstützen und als Fachkräfte in Deutschland zu halten. Das Ministerium antwortet lediglich, die Anstellung der internationalen Forschenden „liegt wie bisher in der Verantwortung der Zuwendungsempfänger“. Thomas Jarzombek fürchtet daraufhin um die Wertschätzung der hohen Verbindlichkeit, die Deutschland traditionell in internationalen Forschungskooperationen genieße.

„Diese schwierige Situation von internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die unverschuldet in existentielle Bedrängnis geraten, anzuerkennen und hierfür Verantwortung zu übernehmen, ist wohl das Mindeste, was man von einer Bundesforschungsministerin jetzt erwarten könnte“, erklärt Jarzombek. Er kritisiert „die in bürokratische Floskeln gekleidete Abgestumpftheit des BMBF in der Kommunikation“.

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