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Ein im Labor gereifter menschlicher Embryo, der alle Eigenschaften eines 14 Tage alten natürlich gewachsenen Embryos hat.

© Weizmann Institute of Science/Yacub Hanna

Exklusiv

„Frappierend ähnlich“: Kompletter menschlicher Embryo im Labor gezüchtet

Es ist ein aussichtsreiches wie ethisch sensibles Terrain: Israelischen Forschern ist es gelungen, einen menschlichen Embryo heranreifen zu lassen, der vom natürlich gewachsenen kaum zu unterscheiden ist.

Am Anfang sind es etwa 120 Zellen. Ein Haufen unorganisierter menschlicher Stammzellen von kaum einem Zehntelmillimeter Größe, der in einer sich ständig drehenden Flasche in Kulturflüssigkeit im Labor des Stammzellforschers Jacob Hanna am Weizmann-Institut in Israel schwimmt.

Und dann passiert, was Experten bislang noch kaum verstehen: Die Zellen sortieren, organisieren und teilen sich und bilden im Laufe weniger Tage ein 2500 Zellen und einen halben Millimeter großes Gebilde – einen vollständigen menschlichen Embryo. Hanna nennt es ein „Synthetisches Embryo-Modell“ (SEM), doch es sei einem 14 Tage alten menschlichen Embryo „frappierend ähnlich“.

Erstmals hat damit ein Laborkeim all jene Strukturen, die ein menschlicher Embryo dieses Stadiums haben sollte. Und erneut betritt die Stammzellforschung damit aussichtsreiches, weil medizinische Anwendungsoptionen eröffnendes, aber auch ethisch sehr sensibles Terrain.

Seit Monaten läuft ein Wettrennen zwischen einigen Stammzelllabors, neben Hannas vor allem auch des Teams um Magdalena Zernicka-Goetz der Universität Cambridge: Wem gelingt es, die menschliche Embryonalentwicklung mithilfe von Stammzellen im Labor am besten nachzuempfinden? Mit der jetzt im Eilverfahren beim Fachblatt „Nature“ veröffentlichten Forschungsarbeit hat nun Hannas Labor im israelischen Rehovot die Nase weit vorn.

„Durchaus relevantes Entwicklungsereignis“

Bisherige, allenfalls embryoähnliche Gebilde könnten nicht als akkurate menschliche Embryomodelle bezeichnet werden, sagte Hanna dem Tagesspiegel in einem Exklusiv-Interview, da sie wesentliche Charakteristika eines Embryos vermissen ließen. Nicht nur, dass bestimmte Zelltypen fehlten, wie etwa die extraembryonalen Gewebe, aus denen sich unter anderem die Plazenta entwickelt. Die vorhandenen Zellen waren auch falsch angeordnet und zeigten keine Tendenz, sich weiterzuentwickeln.

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Versuche braucht es etwa, damit sich ein kompletter Embryo spontan aus einem kleinen Haufen von Stammzellen entwickelt.

Ganz anders nun Hannas Labor-Embryo. Dessen „frappierende Ähnlichkeit“ zum menschlichen Pendant bestätigt Michel Boiani, Stammzellforscher am Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster, der die Arbeit vorab für den Tagesspiegel prüfen konnte. Die entscheidende Frage sei aber, wie oft die Stammzellhaufen sich zu derart gut organisierten, den natürlichen Embryonen ähnelnden Strukturen entwickeln. Bislang passiert das wohl noch selten, Hanna spricht von einem Prozent der Fälle.

Auch der Klon- und Stammzellforscher Rudolf Jaenisch vom Whitehead Institute, in dessen Labor Hanna lange an Stammzellen forschte und als Erster die Machbarkeit therapeutischen Klonens an Mäusen zeigte, lobt die Embryozucht seines ehemaligen Mitarbeiters als „durchaus relevantes Entwicklungsereignis“.

Klone, wie in der Science-Fiction?

Entstehen nun also bald Zigtausende menschliche Embryonen in den Labors? Könnten sie gar zu Klonen wie in Science-Fiction-Filmen heranwachsen? Oder Leihmüttern in ihre Gebärmutter eingesetzt werden?

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Hanna, der sich selbst als Science-Fiction-Fan bezeichnet, betont im Gespräch mit dem Tagesspiegel, dass das Ziel seiner und anderer Labors, nicht das Züchten künstlicher Menschen oder gar von Klonen wie bei „Star Wars“ sei. Es gehe in erster Linie darum, die frühe Embryonalentwicklung des Menschen studieren zu können.

Darüber sei wenig bekannt, da der menschliche Embryo während der Schwangerschaft aus ethischen und technischen Gründen so schwierig zu untersuchen sei. Doch die Anfangsstadien seien für die späte Entwicklung von entscheidender Bedeutung. „Das Drama spielt sich im ersten Monat ab“, sagt Hanna, in der übrigen Schwangerschaft wachse der Embryo nur noch. Embryomodelle böten „eine ethische und zugängliche Möglichkeit, einen Blick in diese Entwicklungsphase zu werfen“.

Naive Zellen

Die Besonderheit von Hannas Methode ist, dass er die embryonalen Stammzellen zuerst in einen „naiven“ Zustand reprogrammiert, in dem alle Entwicklungsprogramme gewissermaßen auf null gesetzt werden. Dann sind sie in der Lage, sich neu zu arrangieren und einen Embryo zu bilden, der etwa jenem Entwicklungsstadium entspricht, in dem sich ein normaler Embryo in der Gebärmutter einnisten würde. Von dort aus reifte das Gebilde dann bis zum 14-Tage-Embryo heran, bis das Labor den Versuch den internationalen Regularien der Internationalen Stammzellgesellschaft ISSR folgend abbrach.

Es ist nur eine Frage der methodischen Verfeinerung, bis die menschlichen Embryonenmodelle die grundlegenden Anlagen eines Gehirns oder eines Herzens bilden können.

Michel Boiani, Stammzellforscher am Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster

Sie hätten sich vermutlich noch weiter entwickelt, meint Boiani. Biologische Gründe dagegen sieht er nicht. „Es ist nur eine Frage der methodischen Verfeinerung, bis die menschlichen Embryonenmodelle die grundlegenden Anlagen eines Gehirns oder eines Herzens bilden können.“

In einer Gebärmutter können die Laborkeime jedoch nicht mehr anwachsen, sagt Boiani. „Dennoch würde niemand daran zweifeln, dass sie sich hätten implantieren können, wenn ihnen zum richtigen Zeitpunkt die Gelegenheit gegeben worden wäre“, wendet Boiani ein. „Daher ist das Argument, dass sie nicht mehr in eine natürliche Gebärmutter implantierbar sind, aus biologischer und ethischer Sicht für mich kein stichhaltiges Argument.“ Für Rudolf Jaenisch hingegen ist es unklar, ob die Embryomodelle in irgendeinem Entwicklungsstadium implantierbar wären.

Dem Original gleich

Wie Hanna sieht Boiani die größte Bedeutung der Embryomodelle darin, dass sie Einblick in die frühe menschliche Embryonalentwicklung ermöglichen. Dazu müssen die Modelle allerdings sehr gut sein, also den Original-Embryos sehr nah, sagt Boiani, „aber wenn ein Modell den Eigenschaften des Originals so nahe ist, dann hört es auf, ein Modell zu sein“.

Das seien zwei sich ausschließende Wünsche: Einerseits sollen die Modelle dem Original möglichst ähnlich sein für beste Forschungs- und Therapieoptionen, andererseits unterschiedlich genug, um ethisch von „echten“ Embryonen und den damit verbundenen Forschungsregulationen unterscheidbar zu bleiben.   

Zumal es offen ist, ob sich mit Hannas Methode solche Embryomodelle züchten lassen, die auf Zellen von Patienten zurückgehen. Nur aus solchen ließen sich genetisch identische und damit „kompatible“ Gewebe für die Transplantation gewinnen.

Das hängt jedoch davon ab, ob aus Stammzellen, die aus embryonalisierten, reprogrammierten Hautzellen gewonnen wurden (den sogenannten iPS-Zellen, induzierten pluripotenten Stammzellen), genauso authentische Embryomodelle heranwachsen wie aus Stammzellen, die aus echten, bei Befruchtungsversuchen übrig gebliebenen Embryonen stammen. Aus letzteren entstand Hannas Laborkeim.

Da das Klonen von Menschen zu Fortpflanzungszwecken verboten wurde, sollten auch die menschlichen Embryomodelle verboten werden.

Michel Boiani, Stammzellforscher am Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster

Zwar betont Hanna, dass erste Experimente bereits darauf hindeuten. Doch Michel Boiani befürchtet Schwierigkeiten, da iPS-Zellen instabiler seien als embryonale Stammzellen. Entscheidender sei jedoch: Die Labor-Embryonen wären dann Klone. Darin stecke „eine gewisse Heuchelei, denn wir haben das Klonen mittels Zellkerntransfer in Eizellen vor langer Zeit verboten, und jetzt stehen wir vor einer Klonierungsmethode, die viel praktikabler ist, weil sie ohne Eizellen auskommt“.

„Aus wissenschaftlicher Sicht bin ich von der Forschung begeistert“, sagt Boiani. Aber aus ethischer Sicht sähe er sie gern auf Tiere beschränkt. „Da das Klonen von Menschen zu Fortpflanzungszwecken verboten wurde, sollten auch die menschlichen Embryomodelle verboten werden.“ Denn bisher wird sie vom Embryonenschutzgesetz nicht explizit verboten. „Menschliche iPS-Zellen sind nicht geschützt, man kann mit ihnen machen, was man will, außer sie auf eine Gebärmutter zu übertragen.“

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