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Vor rund 120.000 Jahren hielten große Pflanzenfresser viele Wälder in Europa offen.

© Brennan Stokkermans

Gar nicht düster: Deutschlands Wald, vor den Menschen

Ein geschlossenes Kronendach erstreckte sich nach geläufiger Vorstellung lange über Mitteleuropa. Doch vor dem Menschen lichteten andere Lebewesen die Wälder.

Bevor der moderne Mensch in der Steinzeit vor rund 45.000 Jahren begann, die Natur in Europa umzugestalten, wuchsen in weiten Teilen der gemäßigten Klimazone dichte Wälder. Das war zumindest bis noch vor wenigen Jahren die gängige Hypothese. Jetzt zeichnet eine Analyse von 96 Datensätzen von Blüten-Pollen aus vergangenen Zeiten ein ganz anderes Bild.

Als in einer Warmzeit vor 129.000 bis vor 116.000 Jahren das Klima mit den Verhältnissen von heute und in den vergangenen Jahrtausenden durchaus vergleichbar war, gab es im Durchschnitt auf mehr als der Hälfte der Flächen lichte Wälder und offene Landschaften, die heutigen Savannen ähnelten. Das berichtet ein Team um Elena Pearce von der Universität Aarhus in Dänemark in der Zeitschrift „Science Advances“.

Gefährliche Neuankömmlinge

Der Anteil dieser Graslandschaften und lichten Wälder war sehr variabel. Der Zustand zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Gebieten hing nach den Daten der Gruppe nur zum Teil von Faktoren wie dem Klima und der Beschaffenheit der Böden ab, die die Vegetation heute stärker bestimmen. Ein wichtiger Faktor waren „Störungen“, mit denen in der Ökologie zum Beispiel der Einfluss von großen Tieren auf die Natur gemeint ist.

„Von denen gab es früher eine erheblich größere Vielfalt als heute“, erklärt Jordi Serangeli von der Universität Tübingen. Der Archäologe leitet die Ausgrabung in einem ehemaligen Braunkohle-Tagebau bei Schöningen in Niedersachsen. Dort wurden in den 1990er Jahren zehn ganz und teilweise erhaltene, rund 300.000 Jahre alte Speere entdeckt. Bis heute kommt bei den Ausgrabungen ein ganzes Ökosystem aus dieser Zeit zum Vorschein. „Damals lebten allein in dieser Gegend von Bibern bis hin zu Wald-Elefanten bis zu 20 Arten von größeren Säugetieren“, sagt Serangeli.

Auerochsen gehörten zu den größten Pflanzenfressern im nacheiszeitlichen Europa, vergleichbar mit dem Wisent.
Auerochsen gehörten zu den größten Pflanzenfressern im nacheiszeitlichen Europa, vergleichbar mit dem Wisent.

© Brennan Stokkermans

Große Tiere beeinflussen die Natur stark: Afrikanische Waldelefanten (Loxodonta cyclotis) etwa, schaffen im Regenwald Lichtungen und trampeln Pfade in die Vegetation, auf denen auch andere Tiere und Menschen unterwegs sind. Ähnlich wirken auch die wenigen in Reservaten Mitteleuropas lebenden Wisente (Bison bonasus): sie schälen zum Beispiel die Rinde von Buchen ab und schwächen die Bäume.

Kam der moderne Mensch in eine Region, wurden diese großen Säugetiere aber oft seltener, manchmal brachen die Bestände völlig zusammen. Schon vor vielen tausend Jahren verschwanden europäische Waldelefanten und Waldnashörner. 1627 starb die letzte Auerochsen-Kuh in Polen zwar eines natürlichen Todes, die meisten ihrer Artgenossen aber waren früher von Jägern erlegt worden.

Angepasste Waldbewohner

Mit dem Rückgang der großen Säugetiere in europäischen Wäldern, als Waldelefanten, Waldnashörner (Stephanorhinus kirchbergensis) und Auerochsen ausstarben, gingen auch die Gärtner verloren, die zuvor die Landschaft offen gehalten und vielerorts dafür gesorgt hatten, dass kein geschlossener Wald entstand.

Die Pollen-Analysen der Gruppe um Elena Pearce stützen jetzt diese Theorie: Zwar lebten vor 120.000 Jahren bereits Frühmenschen wie die Neandertaler in Europa, deren Vorfahren vor 300.000 Jahren auch die Speere herstellten und nutzten, die in Schöningen entdeckt wurden. Aber sie hatten einen viel geringeren Einfluss auf die Populationen großer Säugetiere als die modernen Menschen, die in Europa wahrscheinlich erst vor 45.000 Jahren dauerhaft Fuß fassten.

Waldnashörner ernährten sich hauptsächlich von weicher Pflanzenkost.
Waldnashörner ernährten sich hauptsächlich von weicher Pflanzenkost.

© Brennan Stokkermans

Noch lange aber gab es in Mitteleuropa Landschaften, die von Tieren offen gehalten wurden: „Die Waldweide hat später ähnliche Verhältnisse geschaffen“, erklärt Marco Heurich, der im Nationalpark Bayerischer Wald das Monitoring leitet und an der Universität Freiburg die Beziehungen zwischen Artenvielfalt und Pflanzenfressern untersucht.

Bei dieser Weideform trieben vor allem im Mittelalter die Bauern ihr Vieh in die Wälder. Dort fraßen Rinder und Schweine, Ziegen und Schafe nicht nur Eicheln und Bucheckern, wildes Obst und Pilze, sondern auch Blätter und Zweige junger Bäume. Dadurch fiel der Nachwuchs aus und mit der Zeit entstanden lichte Hutewälder, in denen vor allem alte, knorrige Bäume wuchsen, zwischen denen viel Grün auf dem Boden reichlich Nahrung für das Vieh bot.

„So erklärt die Studie der Gruppe um Elena Pearce nicht nur, weshalb die Artenvielfalt auf den wenigen noch heute vorhandenen Waldweideflächen so groß ist“, sagt Heurich. Die Untersuchung zeige auch, warum viele Arten in Mitteleuropa an lichte Wälder angepasst sind. Viele der sogenannten „Waldtiere“ wie das Rotwild äsen gerne in der offenen Landschaft, die heute von grasbewachsenen Straßenrändern bis zu Feldern und Wiesen der Bauern reicht.

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