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Atemwegserkrankungen werden leicht von Mensch zu Mensch und per Flugreise auch schnell um die ganze Welt verteilt. Abwasserproben von Flughäfen könnten das frühzeitig aufzeigen.

© PantherMedia / Péter Gudella/Péter Gudella

Gesundheitskrisen abfangen: Abwasseruntersuchung an Flughäfen startet

Eine im Zuge der Corona-Pandemie eingerichtete europäische Behörde baut Lager- und Produktionskapazitäten für Arzneimittel auf. Sie hält auch Viren im Blick und lässt dazu Abwasserproben untersuchen.

Die Covid-19-Pandemie hat teilweise schmerzhaft offenbart, welche Defizite Europa im Umgang mit globalen Gesundheitskrisen hat. Weil nach der Pandemie vor der nächsten Pandemie ist, hat die Europäische Union die Behörde HERA eingerichtet. Sie ist zum Beispiel dafür zuständig, die Versorgung mit Medizinprodukten wie Handschuhen und Atemmasken sicherzustellen, die zu Beginn der Covid-19-Pandemie europaweit ins Stocken geraten war. Doch ihr Auftrag geht weit darüber hinaus..

Laurent Muschel ist seit Februar 2023 stellvertretender Generaldirektor. Aktuell führt er Gespräche in Berlin; hat das Robert Koch-Institut und den „WHO Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence“ besucht. Wie er im Gespräch mit Tagesspiegel Background sagte, verfüge HERA über ein „Portfolio an Gegenmaßnahmen“. Doch welche Gefahren bedrohen die Gesundheit der Menschen in Europa? Welcher Virus könnte die nächste Pandemie auslösen?

Eine Reihe von Kandidaten

Die Liste ist lang, wie Muschel erklärt, und reicht von chemischen über biologische bis hin zu radiologischen und nuklearen Szenarien. Eine weltweit grassierende Pandemie könnten etwa die Erreger der Vogelgrippe auslösen, wenn sie auf Menschen überspringen und dann auch leicht unter Menschen übertragen würden.

Als stille Pandemie gelten längst Antibiotikaresistenzen bei verschiedenen bakteriellen Erregern. Auch durch den Klimawandel hervorgerufene vektorübertragene Krankheiten, also etwa von Stechmücken, gelten als potenzielle Bedrohung. Erste Fälle wurden in Spanien bereits beobachtet, so Muschel. Sorgen machen ihm insbesondere Atemwegserkrankungen, weil diese besonders ansteckend sind.

Um die nächste Gefahr zu erkennen, bevor diese zu einer Krise wird, arbeiteten Expert:innen bei HERA mit dem Europäischen Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zusammen. Auch der Austausch mit Labors in ganz Europa sei entscheidend. Kooperationen werden weltweit angestrebt. Mit den USA und afrikanischen Ländern bestehen sie bereits, Gespräche in Asien finden mit Singapur, Südkorea und Japan statt.

Ambitionierte Pläne

Aktuell wird ein Projekt zur Abwasseruntersuchung mit 14 Millionen Euro gefördert. An 20 großen Flughäfen auf der ganzen Welt sollen so Krankheiten der Reisenden erkannt werden. Ein bekanntes Beispiel ist die Identifizierung von Polio. Im vergangenen Dezember wurde bereits bei der Ankunft von Flügen aus China das Abwasser auf Covid-19-Viren und Varianten untersucht. Unterstützt wird das großflächige und im Oktober startende Projekt von der Bill und Melinda Gates Stiftung. Ein deutscher Flughafen ist bisher allerdings nicht dabei.

Ein weiterer Punkt ist die Bevorratung von Arzneimitteln und medizinischer Schutzausstattung wie Masken und Handschuhen. 1,2 Milliarden Euro seien von der EU dafür aufgewendet worden. Lager stehen in Polen, Finnland, Kroatien und Frankreich. Zugriff darauf hat jedes Mitgliedsland der Europäischen Union.

„Entscheidend sind auch Produktionskapazitäten in Europa“, sagt Muschel. HERA hat daher Verträge mit Pharmaunternehmen geschlossen. Sollte es hier erneut zu einem weltweiten Wettbewerb kommen, will die EU eine bessere Position belegen.

Arzneimittellieferengpässe hatten die Diskussion um europäische Produktionsstätten zuletzt befeuert. Aber auch während der Covid-19-Pandemie wurde der Bedarf an europäischen Produktionsstätten deutlich, etwa für Impfstoffe gegen die virale Erkrankung.

Ein ganzheitlicher Ansatz

Das eine Vorsorge für alle Krisen gibt es jedoch nicht. „Wie das Beispiel HIV zeigt, gibt es nicht für jede Krankheit schnell eine Impfung“, so Muschel. Und so hätten die Mitarbeiter:innen von HERA ein ganzes Spektrum von Antikörpern und antiviralen Medikamenten im Blick. Zudem würden Forschungen und klinische Studien gefördert, um Impfstoffe und Arzneimittel, die möglicherweise eine Pandemie verhindern können, schnell verfügbar zu machen. „Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz“, sagt Muschel über die Arbeit von HERA.

Mit möglichen Szenarien wie einer Pocken- oder Vogelgrippe-Epidemie plant HERA dieses Jahr interne Abläufe zu testen. Denn die nächste Pandemie werde nicht erst in einem Jahrzehnt kommen, ist sich Muschel sicher.

Entscheidend sei nun, die Lehren der Covid-19-Pandemie nicht zu vergessen, auch wenn Präventionsmaßnahmen mit hohen Kosten verbunden seien. Der nächsten Krise sieht Muschel dennoch optimistisch entgegen: „Wir sind besser vorbereitet, was die Organisation, aber auch die Verfügbarkeit von medizinischen Maßnahmen angeht.“

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