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Zweifeln ist gut, sagt Descartes. Ihn durch Forschen ausräumen: besser.

© Ian Maire - Leeds University Library / gemeinfrei

Heute vor 386 Jahren: Ich zweifle, also bin ich

Gibt es das Aids-Virus wirklich? Oder Corona? Oder bilden wir uns das nur ein? Woher „wissen“ wir, dass dies oder jenes real ist und kein (Alb-)Traum?

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Gibt es das Aids-Virus wirklich? Oder Corona? Ist die Erde flach, die Schwerkraft eine Illusion? Es scheint, nur Schwurbler oder Querdenker würden solche Fragen ernsthaft stellen und die Antworten lägen auf der Hand. Wäre René Descartes, der französische Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler, einer von ihnen gewesen, wenn er heute und nicht vor über 300 Jahren gelebt hätte?

Für Descartes war nichts gewiss. Es gab keine „Realität“, keine „Wahrheit“, die er nicht in Zweifel zog. Was Menschen sehen, hören, riechen – alle Sinneseindrücke könnten Täuschungen sein, meinte er, mehr Traum als Wirklichkeit.

Nur das Zweifeln selbst sei die einzige unmittelbare Gewissheit: „Ich zweifle, also bin ich, oder, was dasselbe ist, ich denke, also bin ich.“ Diesen Satz schreibt der Philosoph zum ersten Mal in der „Abhandlung über die Methode, seine Vernunft gut zu gebrauchen und die Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen“, dem „Discours de la méthode“, den er am 8. Juni 1637, heute vor 386 Jahren, in Leiden auf Französisch veröffentlichte.

Der Zweifel als Erkenntnismethode

Allerdings ging es Descartes dabei nicht darum, nervtötend nörgelnd alles und jegliches Wissen sinn- und gedankenlos in Frage zu stellen. Sein Zweifel ist kein aufmerksamkeitsheischender oder selbstvergewissernder Selbstzweck, sondern Methode des Erkenntnisgewinns, das Werkzeug, die Realität zu „beweisen“, wie er in „Meditationen“ erklärt. Durch systematisches Zweifeln könne der Mensch die Wirklichkeit mit hinreichender Gewissheit objektiv erfassen. Wissenschaft müsse daher vier Prinzipien folgen:

(1) Als „wahr“ sollte nur akzeptiert werden, was unbezweifelbar gewiss ist. Etwa: Die Erde ist rund. (2) Ist eine Fragestellung zu komplex, soll sie – analytisch – in Teilprobleme und einfache Fragen zerlegt werden, die dann mit Gewissheit entschieden werden können. (3) Das Wissen setzt sich dann – synthetisch – aus den Antworten auf diese Fragen zusammen, vom Einfachen zum Schwierigen. Und schließlich (4) sollte überprüft werden, ob die Analyse des Problems „vollständig“ war.

Kern der wissenschaftlichen Methode ist also der stete Zweifel, das ständige Hinterfragen der durch Experimente und Analysen erworbenen Erkenntnisse. Und die Bereitschaft, sich selbst zu korrigieren, wenn neue Erkenntnisse es erfordern.

Ist das nun alles wahr, was hier geschrieben steht? So weit es zu überprüfen war, ja. Aber da ich existiere, zweifle ich. Wissen, hundertprozentig, kann ich es nicht. Um das Original des „Discours“ zu studieren, geschweige denn zu verstehen, ist mein Französisch viel zu schlecht.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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