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Die 77-jährige Frieda Schulze entkommt den DDR-Polizisten, die sie zurück in ihre Ost-Berliner Wohnung ziehen wollen, nur knapp.

© imago/United Archives International

Heute vor 62 Jahren : Zwangsräumungen entlang der Mauer

Häuser auf dem Grenzstreifen: Die Türen nach West-Berlin wurden zugemauert und die Menschen zum Umzug gezwungen. Für einige eine spontane Chance, zu fliehen.

Eine Kolumne von Lili Wolf

Fünf Wochen war es erst her, dass es Berliner:innen mit dem Mauerbau am 13. August 1961 unmöglich gemacht werden sollte, aus der DDR zu fliehen. Aber dass die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin nicht unüberwindbar war, bewiesen weiterhin spektakuläre Fluchten. Die Regierung der DDR unternahm alles, um Menschen davon abzuhalten, ein neues Leben im Westen zu beginnen. Ein Schießbefehl wurde angeordnet, um Ost-Berliner:innen an der Flucht zu hindern.

Besonders gefährlich waren für die DDR-Führung die Häuser im direkten Grenzbereich: Die Wohnungen lagen in Ost-Berlin und gehörten damit zur DDR, aber sobald die Bewohner:innen aus dem Haus traten, standen sie in West–Berlin, denn die Haustüren öffneten sich in die Bundesrepublik. Damit boten sie eine Möglichkeit zur Flucht.

Dieses Risiko hatte der damalige Regierungschef der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, schon im August gegenüber DDR-Generalsekretär Walter Ulbricht erwähnt. Viele der Ausgänge waren schon mit dem Bau der Mauer provisorisch verbarrikadiert worden, dennoch sah die DDR-Führung die Häuser noch als „unzuverlässige Elemente“ an.

Am 20. September 1961, heute vor 62 Jahren, begannen also die Zwangsräumungen von 982 Wohnungen dieser „unzuverlässigen Elemente“ am Berliner Grenzstreifen. Das waren die Häuser auf der Grenze in den Ost-Berliner Stadtteilen Treptow und Mitte. Allein an diesem einen Tag mussten rund 250 Familien ihre Wohnungen verlassen. Dabei war es dem DDR-Regime egal, ob sie sich politisch oder anderweitig auffällig verhalten hatten. Das einzige, was sie sich hatten zuschulden kommen lassen, war, dass ihre Türen und Fenster auf West–Berliner Bürgersteige führten.

Eine Familie muss ihre Wohnung in der Bernauer Straße verlassen, bewacht von Volkspolizisten der DDR.

© picture alliance / dpa

Die Räumungen begannen am frühen Morgen, unterstützt von Angehörigen der paramilitärischen Kampfgruppen und der Volkspolizei. Sie verschafften sich Zugang zu den Wohnungen und besetzten alle Fenster und Ausgänge. Den Bewohner:innen blieb wenig Zeit, Habseligkeiten und Hausstand zusammenzufinden und ihre Wohnung zu verlassen. Einige Zeitzeug:innen berichteten, dass sie nicht wussten, in welchen Bezirk sie umzogen oder ob sie überhaupt in Berlin bleiben durften.

Gewehrt haben sie sich trotzdem. Manche bevor die Polizei in ihre Wohnung eindrang, andere konnten sich im letzten Moment aus den Griffen der Beamten befreien und fliehen – durch die Türen und Fenster, die sich nach Westen öffneten.

So konnte die 77-jährige Frieda Schulze aus dem Fenster ihrer Wohnung in der Bernauer Straße entkommen, als Ost-Berliner Polizisten die Wohnung besetzt hatten. Zwei Volkspolizisten versuchten noch, sie an den Armen zurück in die Wohnung zu ziehen, doch ihr gelang der Sprung in ein Sprungtuch der West-Berliner Feuerwehr.

Und auch einige der Polizisten, die eigentlich die Fenster bewachen und Ost-Berliner:innen an der Flucht hindern sollten, nutzen ihre Position: Sie sprangen in die Freiheit.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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