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Nylon wurde im Zweiten Weltkrieg von DuPont rationiert. Hier ein Bild aus dem Jahr 1946.

© imago images/United Archives International

Heute vor 83 Jahren: Die Schlacht um die Nylonstrümpfe

Am 15. Mai 1940, der als „N-Day“ in die Geschichte eingehen sollte, konnten Frauen in den USA erstmals Nylonstrümpfe kaufen und so ihre Beine in „synthetisches Gold“ hüllen.

Eine Kolumne von Miray Caliskan

Als der US-amerikanische Chemiekonzern DuPont sie auf den Markt brachte, wurde vermutlich ganz unwissentlich eine gesellschaftliche Revolution ausgelöst. Bildlich gesprochen stand halb Amerika am 15. Mai 1940, heute vor 83 Jahren, auf den Beinen, um die eigenen Beine zu schmücken: mit Nylonstrümpfen.

An diesem Tag, der als „N-Day“ in die Geschichte eingehen sollte, konnten Frauen die Strümpfe erstmals als Massenware kaufen. Für etwa 1,25 Dollar das Paar, was in den 40er Jahren sehr viel Geld war und heute umgerechnet 19 Euro entspricht.

Innerhalb dieses Tages im Mai gingen angeblich fast eine Million Nylonstrümpfe über die Ladentische, die zunächst nur einen Teil des Beins bedeckten und mit einem Gürtel am Oberschenkel befestigt wurden; in den ersten Monaten verkauften die US-Kaufhäuser 64 Millionen Paare. Nylon, das heute oft als „minderwertiges Zeug“ assoziiert wird, galt damals als „synthetisches Gold“.

Langersehnt: Eine Frau zieht 1945 in Washington Nylonstrümpfe an.

© Bettmann/Getty Images

Die erste „echte synthetische Textilfaser“ der Welt wurde bereits 1939 am Rande einer Weltausstellung in New York präsentiert. Sie galt als Schauplatz für wissenschaftliche Enthüllungen, von Erfindern aus der ganzen Welt. Allen voran des in Wilmington, Delaware ansässigen Chemiekonzerns DuPont.

Die Forscher stellten Nylon unter dem Slogan „Ein besserer Faden für ein besseres Leben“ einem ausgewählten Publikum von ein paar Tausend Zuschauerinnen vor. Laut Firmenangaben wurden die Strümpfe, bevor sie auf den Markt kamen, unter anderem eigenen Mitarbeiterinnen und Bewohnerinnen in Wilmington verkauft.

Seide künstlich herzustellen, galt als ein langersehnter Traum der Amerikaner – nicht zuletzt, weil sie so unabhängig von Japan werden konnten, dem damaligen Hauptexporteur von Seide. Die Amerikaner, so heißt es in einem historischen Bericht in „Time“, sahen es gar als eine patriotische Pflicht an, japanische Artikel zu boykottieren.

Nylonstrümpfe mit Blumenmuster, präsentiert bei einer Messe in Deutschland im Jahr 1949.

© picture alliance / dpa

Wallace Hume Carothers sollte den Traum verwirklichen. Für den Chemiker errichtete DuPont 1928 ein eigenes Forschungslabor zur Entwicklung von künstlichen Materialien. Im April 1930 entdeckte sein Team das Neopren, ein synthetisches Gummi, und synthetisierte das erste Polyester.

Im Februar 1935, nach jahrelangen Experimenten, dann der Erfolg: Carothers Team entdeckte, dass aus einem Gemisch aus Kohlenteer, Sauerstoff und Wasser Fäden gezogen und gedehnt werden konnten – die „zäh wie Stahl und fein wie ein Spinnennetz“ waren. Seidenstrümpfe dagegen waren nicht nur extrem teuer (nur wenige konnten sich den Luxus leisten), sondern auch extrem empfindlich.

Carothers, der seit seiner Kindheit unter schweren Depressionen litt, beging drei Wochen nach Einreichung der Nylon-Patentanmeldung im Jahr 1937 Selbstmord. Sein Tod wurde von den US-Medien fast gänzlich ignoriert. Nylon wurde zuerst für Zahnbürstenborsten, Angelschnüre und chirurgisches Nahtmaterial verwendet – später dann für die begehrten Nylonstrümpfe.

Mit dem Angriff der japanischen Marine auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor im Dezember 1941 wurde spekuliert, dass Nylon ein Akronym sei für „Now, you lousy old Nipponese“, übersetzt etwa „Was nun, ihr lausigen alten Japaner“, herausgerufen von Carothers höchstpersönlich, der in seinem Durchbruch im Labor das Ende des japanischen Seidenmonopols voraussah.

Später erklärte DuPont, die Kunstfaser habe ursprünglich No-Run heißen sollen („keine Laufmasche“), sei dann aber aus Furcht vor gerichtlichen Auseinandersetzungen wegen falscher Behauptungen geändert worden.

Nylon wurde im Zweiten Weltkrieg wegen seiner Reißfestigkeit zum kriegswichtigen Material erklärt, vor allem, um Fallschirme herzustellen. Die Kunstfaser wurde von DuPont rationiert und zwischenzeitlich zu einer Art Währungsform auf dem Schwarzmarkt. Als der Krieg gewonnen war, ging ein anderer los: Frauen in den USA, die „in der Schlacht um Nylonstrümpfe“ Leib und Leben riskierten, lautete eine Schlagzeile von vielen.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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