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Erstautorin Prof. Dr. Sabine Gaudzinski-Windheuser neben der lebensgroßen Rekonstruktion eines erwachsenen männlichen Europäischen Waldelefanten.

© MONREPOS / Lutz Kindler

Jagd auf riesige Waldelefanten: Die Neandertaler stellten den größten Landsäugern ihrer Zeit nach

Funde aus der Nähe von Halle belegen die Jagdaktivität der Urmenschen. Doch was machten die Neandertaler mit der reichen Beute?

Von Walter Willems, dpa

Es war eine beachtliche Gemeinschaftsleistung und konnte die Ernährung für mehrere Wochen bis Monate sichern: Neandertaler haben in Mitteleuropa Europäische Waldelefanten gejagt – mit einer Masse von bis zu 13 Tonnen das größte Landsäugetier der jüngeren Erdgeschichte.

Dafür legt ein Forschungsteam um Sabine Gaudzinski-Windheuser von der Universität Mainz im Fachblatt „Science Advances“ erstmals eindeutige Belege vor. Die Analyse von Funden aus der Nähe von Halle zeigt auch, wie fachkundig Neandertaler vor etwa 125.000 Jahren die riesigen Tierkörper ausnahmen – und sie widerspricht einigen Annahmen zur Lebensweise unserer ausgestorbenen Vettern.

Europäische Waldelefanten (Palaeoloxodon antiquus) durchstreiften Europa und Westasien vor etwa 800.000 bis vor 100.000 Jahren. Mit einer Schulterhöhe von bis zu vier Metern und bis zu 13 Tonnen Gewicht waren Bullen der Art noch wesentlich größer als etwa Wollhaarmammuts oder Afrikanische Elefanten.

Wiederholt wurden in Deutschland Knochen dieser Urzeit-Riesen entdeckt, mitunter versehen mit Schnittspuren. Allerdings blieb lange unklar, ob Neandertaler – damals die einzigen Menschen in Europa – die Tiere tatsächlich erlegt oder aber tote Tiere nur ausgenommen hatten.

Diese Frage klärt nun die Analyse der weltweit größten Ansammlung Europäischer Waldelefanten vom Fundort Neumark-Nord etwa zehn Kilometer südlich von Halle eindeutig. Dort wurden Ende des 20. Jahrhunderts bei Arbeiten in einer Braunkohlegrube die Überreste von etwa 70 solchen Tieren entdeckt. Die Elefanten lebten vor etwa 125 000 Jahren in der damaligen Seenlandschaft und waren in hervorragendem Zustand konserviert – teils bis hin zum Darminhalt.

Schnittspuren an Knochen

Schon frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass es sich fast nur um erwachsene Tiere handelt, mit einem deutlichen Überschuss von Bullen. „Die Altersstruktur und Geschlechterverteilung konnte man anfangs nicht erklären“, sagte Gaudzinski-Windheuser. Nachdem die Archäologin an einzelnen Knochen Schnittspuren entdeckt hatte, nahm das Team die Überreste von 57 Elefanten genau unter die Lupe.

Vermutlich waren männliche Waldelefanten ebenso wie heutige Elefanten eher Einzelgänger. Dann hätten die damaligen Jäger auf jene Tiere abgezielt, die nicht in einer Herde geschützt waren und zudem aufgrund ihrer Größe mehr Beute versprachen. Für die Jagd spricht auch, dass die Elefanten unmittelbar nach ihrem Tod zerlegt wurden, noch bevor sich fleischfressende Tiere daran zu schaffen machten. „Alle 57 Karkassen zeigen das gleiche Muster“, betonte Gaudzinski-Windheuser. „Das lässt sich nicht anders erklären.“

„Dies ist der erste eindeutige Beweis für die Elefantenjagd in der menschlichen Evolution“, sagte Ko-Autor Wil Roebroeks von der Universität Leiden. Demnach praktizierten Neandertaler diese Jagd hier mindestens 2000 Jahre lang, also recht kontinuierlich über Dutzende Generationen hinweg.

Sabine Gaudzinski-Windheuser untersucht den Oberschenkelknochen eines großen erwachsenen männlichen Europäischen Waldelefanten (Palaeoloxodon antiquus).

© dpa / LUTZ KINDLER

Sowohl die Jagd nach den Elefanten als auch das Ausnehmen der Beute erforderte demnach die ausgeprägte Zusammenarbeit vieler Individuen. Regelhafte Schnittmuster an den Knochen verraten, wie gekonnt die Neandertaler das Fleisch von den Knochen ablösten und auch die begehrten fettreichen Fußpolster entfernten.

„Schnittspuren treten regelmäßig an den gleichen Stellen auf den Knochen verschiedener Tiere auf“, schreibt das Team. „Das deutet darauf hin, dass die Zergliederung dieser Tiere einem mehr oder weniger standardisiertem Vorgehen folgte.“

Für das Ausnehmen eines Tieres hätten 25 Menschen wohl drei bis fünf Tage gebraucht, kalkulieren die Forscher. Ihren Berechnungen zufolge lieferte ein zehn Tonnen schwerer Elefant mindestens 2500 Portionen zu jeweils 4000 Kilokalorien.

Hätten Neandertaler tatsächlich – wie vielfach angenommen – in Gruppen von maximal 25 Individuen zusammengelebt, hätten sie Fleischvorräte für mindestens drei Monate gehabt. In diesem Fall, so vermutet das Team, hätte die Gemeinschaft möglicherweise die Beute konserviert und über längere Zeiträume gelagert. Aber möglich sei auch, dass bei solchen Anlässen zumindest zeitweilig sehr viele Neandertaler zusammengekommen seien.

Neandertaler wussten, was sie taten.

Britt Starkovich, Universität Tübingen

Wie die Tiere genau erlegt wurden, wissen die Forscher nicht. „Das war nicht Ziel dieser Studie“, sagte Gaudzinski-Windheuser. Sie verweist jedoch auf den Fund eines Waldelefanten im niedersächsischen Lehringen aus jener Zeit: Zwischen dessen Knochen lagen Reste einer hölzernen Lanze.

In einem Kommentar in „Science Advances“ schreibt die Archäologin Britt Starkovich von der Universität Tübingen, die in der Studie genannten Belege für die Jagd auf Waldelefanten seien „zwingend“. „Neandertaler wussten, was sie taten“, betont sie. „Sie wussten, welche Individuen sie jagen mussten, wo diese zu finden waren, und wie man einen Angriff ausführte.“

Schon seit Jahren liefert der Fundort Neumark-Nord Einblicke in die Welt der Neandertaler. Neben der spektakulären Ansammlung von Elefanten-Überresten enthält die Fundstelle Tausende Steinwerkzeuge, zusammen mit mehr als 100 000 Überbleibseln von anderen Tieren - von Pferden über Hirsche bis hin zu Rindern.

Ende 2021 hatten Forscher ebenfalls im Fachblatt „Science Advances“ berichtet, dass Neandertaler hier schon vor 125 000 Jahren ihre Umwelt großflächig umgestalteten. Demnach sorgte ihre regelmäßige Anwesenheit dafür, dass etwa 2000 Jahre lang eine offene Landschaft entstand – im Gegensatz zu den umliegenden dichten Waldgebieten.

Das schloss das Team um den Leidener Archäologen Roebroeks aus der Analyse von Sedimenten der damaligen Seen. Demnach schufen Aktivitäten der Neandertaler – vor allem große Feuer – die waldfreie Landschaft. Zur zeitlichen Einordnung: Der moderne Mensch (Homo sapiens) erreichte Mitteleuropa nach derzeitigem Forschungsstand erst vor grob 45.000 Jahren. Die Neandertaler starben dort vor etwa 40.000 Jahren aus.

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