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Basis für homöopathische Arzneimittel können pflanzliche, mineralische und tierische Substanzen sein. Die extrem verdünnten Stoffe werden zum Beispiel in Form von Kügelchen (Globuli) verabreicht.

© Ralf Hirschberger /picture alliance

Kampfansage an die Globuli: „Kein Land leistet sich eine solche Irrationalität wie wir“

Der Gesundheitsminister will die Finanzierung homöopathischer Mittel durch die gesetzlichen Krankenkassen kippen. Eine Entscheidung, die längst überfällig ist, findet der Wissenschafstheoretiker Nikil Mukerji.

Homöopathie soll als Kassenleistung entfallen. Das zumindest will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nun überprüfen lassen. In einer „wissenschaftsbasierten Gesundheitspolitik“ habe sie keinen Platz, sagte der SPD-Politiker dem „Spiegel“. „Deshalb werden wir prüfen, ob die Homöopathie als Satzungsleistung gestrichen werden kann.“

Satzungsleistungen sind Leistungen, die eine Krankenkasse zusätzlich zu den gesetzlich festgeschriebenen Leistungen gewähren kann. Einige Krankenkassen bieten die Erstattung homöopathischer Arzneimittel als Satzungsleistung an.

Warum es Zeit ist, sich klar gegen Pseudomedizin zu positionieren und die Argumente, die scheinbar für die Homöopathie sprechen, auf Sand gebaut sind, erklärt Vorsitzender des Wissenschaftsrats der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ Nikil Mukerji im Interview.

Herr Mukerji, wäre es eine richtige Entscheidung, dass Homöopathie als Satzungsleistung gestrichen wird?

Die Wirksamkeit der Homöopathie wurde noch nie in methodisch einwandfreier Weise empirisch belegt. Und sie widerspricht den bekannten Naturgesetzen. Das bedeutet, sie kann auch gar nicht wirken. Homöopathische Mittel sind damit reine Placebos. Somit wäre es tatsächlich konsequent, die Homöopathie als Satzungsleistung zu streichen. Wenn Geld für unwirksame Mittel ausgegeben wird, dann steht weniger für das zur Verfügung, was wirkt.

Ist das Ihre private Meinung?

Nein. Vielmehr steht die Grundlage dieser Einschätzung bereits im Gesetz. Nach dem „Wirtschaftlichkeitsgebot“ im Fünften Sozialgesetzbuch müssen die Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.“ Ferner heißt es: „Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“ Bei einer reinen Placebo-Behandlung dürfte letzteres erfüllt sein. 

Hinzu kommt: Wir wissen, dass es durch homöopathische Behandlungen zu Schaden kommen kann, wenn wirksame und dringend notwendige Behandlungen nicht oder nur verspätet durchgeführt werden. Allein aufgrund dieses Risikos lohnt es, sich klar gegen Pseudomedizin zu positionieren.

Nikil Mukerji

© Foto: Lara Witossek

Wieso wird die Debatte so spät geführt, wo doch seit vielen Jahrzehnten der Nutzen von Globuli in Frage gestellt wird?

Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V. und auch andere Organisationen, die sich für eine Evidenzbasierte Medizin einsetzen, klären schon seit vielen Jahre darüber auf, dass es sich bei der Homöopathie um eine Pseudowissenschaft handelt. Dazu haben mein Ko-Autor Edzard Ernst und ich erst kürzlich eine umfassende Arbeit im Fachjournal „Synthese“ veröffentlicht.

Die Erkenntnisse, die wir zusammentragen und die in der wissenschaftlichen Community als Selbstverständlichkeit gelten dürfen, entsprechen allerdings nicht der Wahrnehmung vieler Menschen. Homöopathie wird von Pharmafirmen ja geschickt vermarktet und als schonende, nebenwirkungsfreie Alternative zu etablierten Verfahren dargestellt. Das entfaltet natürlich eine Wirkung. Hinzu kommt: Wenn eine Behandlungsform in bestimmten Kreisen populär ist, dann hat das auch psychische Effekte. Dann muss man sich als Einzelne bzw. Einzelner gegen die eigene Gruppe stellen. Vielen fällt das schwer – und das ist nur menschlich.

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Hätte man in der Politik also durchaus früher reagieren können?

Die Entscheidung hätte früher kommen können und müssen. Dass sie jetzt sehr spät kommt, zeigt auch, dass in der Politik Parteiräson und Wahlkampfkalkül die wissenschaftliche Sachlage oft ausstechen.

Fakt ist, dass es einen riesigen Markt gibt und der Glaube in der Gesellschaft auch höchstwahrscheinlich trotz Lauterbachs Vorhaben bestehen bleiben wird. Die Unterstützung alternativer Medizin – insbesondere der Homöopathie – lag in Deutschland laut einer Forsa-Umfrage im Jahr 2020 und 2021 zwischen 50 und 60 Prozent. Wie könnte dem entgegengewirkt werden?

Zuckerkugeln kann und sollte man nicht verbieten. Allerdings sollte die Apothekenpflicht entfallen. Denn homöopathische Globuli sind nun einmal keine arzneilich wirksamen Mittel. Die Apothekenpflicht suggeriert allerdings, dass eine Wirkung besteht. Denn sonst – so die Logik – würde der Gesetzgeber ja nicht darauf achten, dass diese Mittel nur in der Apotheke abgegeben werden. Eine solche Politik informiert die Menschen falsch.

Und wo wir schon bei Logik sind: Viele Menschen verstehen leider noch nicht, warum die Argumente, die scheinbar für die Homöopathie sprechen, tatsächlich auf Sand gebaut sind. Wir müssen jungen Menschen schon sehr früh, die Denktechniken, die für ein vernünftiges, kritisches Urteil notwendig sind, mit auf den Weg geben. Da tuen Schulen und Hochschulen momentan noch zu wenig. Zudem brauchen wir in der Öffentlichkeit eine Kultur der Vernunft und des kritischen Denkens.

Wie sieht es in anderen Ländern aus? Werden auch dort homöopathische Mittel von den Kassen gezahlt oder „siegt“ dort die Evidenzbasierte Medizin?

Wir haben in Deutschland die rote Laterne. Kein Land in der westlichen Welt leistet sich mit Blick auf die Regelungen zur Homöopathie noch eine solche Irrationalität wie wir. International betrachtet haben sich unabhängige Wissenschaftsorganisationen längst und einheitlich gegen die Homöopathie positioniert. Es wird Zeit, dass Deutschland handelt.

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