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Iseei Sagawa war ein verurteilter Kannibale, der eine Niederländerin heimtückisch ermordet und teilweise verspeist hatte.

© Gamma-Rapho via Getty Images/Kurita KAKU

Kannibalistischer Krimi: Grusel für Gourmets

Krimis sollen spannend sein und, ja, auch mal ein wohliges Schaudern ob der grauslichen Verbrechen auslösen. Der Kriminalbiologe Mark Benecke treibt’s auf die Spitze. Seine Fans wird’s freuen.

Leichenteile, nun, dergleichen begegnet Krimi-Lesern immer wieder mal. Damit ist zu rechnen. Ein bisschen Grusel, ein wenig Ekel, das erhöht nunmal die Spannung.

Wenn sich allerdings der Kriminalbiologe Mark Benecke, Radio-Eins-Hörern von seiner Kolumne bei der Wissenschaftssendung „Die Profis“ ebenso bekannt wie Fans von Real-Crime-Dokus, ins Krimi-Genre wagt, dann geht es gleich auf den ersten Seiten mächtig zur Sache.

So wie der „Madendoktor“ auch sonst kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn er in Interviews begeistert und begeisternd erklärt, wie sich etwa mit Hilfe von Fliegenmaden der Todeszeitpunkt einer Leiche eingrenzen lässt, so schonungslos ist auch dieses Buch.

Es ist also empfehlenswert, die Wurststulle erst einmal zur Seite zu legen, wenn man „Kannibal. Jagdrausch“ zu lesen beginnt. Denn es geht um Kannibalismus, einen Menschenfresser, der in Berlin sein Unwesen treibt.

Plot mit Biss

Das mag auf den ersten Blick abwegig, vielleicht sogar effektheischend klingen. Und das wäre es wohl auch bei so manch anderem Autor, der nur einen Plot sucht. Doch Beneckes professioneller Hintergrund, seine wissenschaftliche Neugier, sein Wissen über mörderische Menschen und was sie zu ihren Taten treibt, geben dem kurzen (197 Seiten) Krimivergnügen ein sicheres Fundament.

Das merkt man nicht nur, wenn der – selbstverständlich verschrobene, in sich gekehrte, zu viel trinkende, aber Monk-artig geniale – Ermittler Bastian Becker seinen Kannibalismus-Verdacht mit dem Hinweis erhärtet, dass es tatsächlich Kannibalen gibt: Etwa der Japaner Issei Sagawa, der 1981 eine Niederländerin tötete und teilweise verspeiste. Beneckes Wissen über solche Täter und das Agieren der Polizei an Tatorten ist auch in vielen Details des Textes zu spüren – etwa wenn der Mörder mit dem Verwesungsgeruch und Heerscharen von Fliegen kämpft.

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Wieviel Benecke steckt im Becker? Zwar scheint der Ermittler nicht wie der Autor am ganzen Körper tätowiert zu sein (auf Beneckes Website können Fans jedes einzelne der vielen Motive auf bzw. in seiner Haut eingehend studieren). Aber auch der Protagonist ist kein Beamten-Charakter, weshalb der Ex-Polizist – wie Gutachter Benecke – als externer Berater zu besonders kniffeligen Fällen hinzugezogen wird, gemeinsam mit seiner Kollegin Janina Funke.

Mark Benecke, „Kannibal. Jagdrausch“ Benevento, München - Salzburg, 2023, 197 Seiten, Hardcover, 20 Euro

© Benevento

Becker vergräbt und verbeißt sich in seine Arbeit, denkt gern um die Ecke und eckt entsprechend an. Etwa, wenn er die übliche Reaktion auf Kannibalismus, den Ekel davor, das absolute Entsetzen darüber, in Frage stellt: Ob es denn so ein großer Unterschied ist, das Fleisch eines Tieres oder eines Menschen von den Knochen zu schaben, in der Pfanne zu brutzeln und zu verspeisen? Das klingt sehr nach dem überzeugten Vegetarier und kritisch hinterfragenden Wissenschaftler Benecke.

Solides Krimi-Gerippe

Sicher ist, dass es ein wenig Morbidität braucht, um sich auf diesen Krimi einzulassen. Wer kein Blut sehen, bzw. lesen kann, wer bei der Beschreibung von schmorendem Menschenfleisch würgen muss, für den dürfte es schwierig werden. Auch wer auf mehr als ein solides Krimi-Gerippe, auf besonderen Sprachwitz oder tiefgründige Literatur wert legt, wird enttäuscht.

Alle anderen können sich mit „Kannibal. Jagdrausch“ einen schaurigen Abend machen und die x-te „Psycho“-Wiederholung stecken lassen. Obendrein lernt man auch einiges, etwa, dass die erste schriftliche Erwähnung von Kannibalismus von Christoph Kolumbus stammt, der von den „Caniba“ auf der Nachbarinsel Hispaniolas berichtete, die angeblich Menschen jagen und aufessen würden. Dass Menschen nicht nur in extremen Notlagen zu Kannibalen werden, sondern sich in manchen Kulturen rituell die Kraft ihrer Opfer einverleiben wollten. Oder dass Experten davon ausgehen, dass in Deutschland „nur“ etwa 1000 Menschen mit kannibalistischen Fantasien spielen.

Zu Risiken und Nebenwirkungen – etwa plötzlich aufkommendem Misstrauen gegenüber (harmlosen oder menschenfressenden?) Mitmenschen – fragen Sie den Autor oder Verlag.

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