zum Hauptinhalt
In Island will das Unternehmen Climeworks eine Anlage bauen, die jährlich 36.000 Tonnen CO₂ aus der Luft entnimmt.

© Reuters/Climeworks

Kohlendioxid aus der Luft holen: Entnahme muss für Klimaziele massiv ausgebaut werden

Für Netto-Null-Emissionsziele und das Zwei-Grad-Ziel ist sie unverzichtbar. Einen Plan für die Kohlendioxidentnahme hat laut einer ersten globalen Erhebung aber noch niemand.

Im englischsprachigen Raum sagt man, ein Elefant stehe im Raum, wenn sich alle Anwesenden eines drängenden Themas bewusst sind, aber niemand es anspricht. Bis jemand den Elefanten dann beim Namen nennt.

Mit ihrem „Bericht über den Stand der Kohlendioxidentnahme“ hat nun ein Team von vier Forschenden, unterstützt von etwa 20 Autorinnen und Autoren sowie 20 begutachtenden Fachleuten, den Elefanten des globalen Klimaschutzes beim Namen genannt: Carbon Dioxide Removal (CDR, Kohlendioxidentnahme).

Der Atmosphäre das Treibhausgas Kohlendioxid (CO₂) zu entziehen und es klimaunschädlich einzulagern, ist Bestandteil praktisch aller Emissionsszenarien, die mit dem 1,5- und dem Zwei-Grad-Ziel noch vereinbar sind – neben der drastischen Reduzierung des CO₂-Ausstoßes. Aber erste Umsetzungen, politische Weichenstellungen und Investitionen in den Ausbau entsprechender Technologien sind bemessen an den hochgesteckten Zielen ungenügend. Das geht aus dem heute veröffentlichten „globalen, unabhängigen wissenschaftlichen Sachstandsbericht“ zum Thema hervor.

Bäumchen wie diese Lärche zu pflanzen trägt zur CO₂-Entnahme bei, das globale Potenzial ist aber begrenzt.
Bäumchen wie diese Lärche zu pflanzen trägt zur CO₂-Entnahme bei, das globale Potenzial ist aber begrenzt.

© dpa/Matthias Bein

„Es gibt keinen Plan, es gab nicht mal Zahlen“, sagt Jan Minx vom Berliner Mercator Forschungsinstitut, einer der vier Initiatoren des Reports. Das erste Ziel der Veröffentlichung sei, Informationslücken zu schließen. Was wird bereits gemacht, wie viel CO₂ wird weltweit eingefangen? Der Bericht soll eine Grundlage dafür schaffen, Aktivitäten zu erfassen, zu erforschen und auch zu bewerten.

Das erste Ergebnis ist die Diskrepanz zwischen der großen Bedeutung der Kohlendioxidentnahme (CDR) für den international koordinierten Klimaschutz und der – bisher kaum vorhandenen – politischen Förderung. Die Autoren konstatieren: Die Lücke zwischen der heutigen und dem künftigen Stand von CDR muss geschlossen werden, denn darauf beruhen alle Planungen, die Gefahren des ungebremsten Klimawandels abzuwenden. „CDR ist kein Kann, sondern ein Muss“, sagt Minx.

Einen positiven Trend gibt es immerhin: Die öffentliche Aufmerksamkeit für Kohlendioxidentnahme, Forschung und Innovation nehmen zu. Und ein Ansatz bewährt sich: etwa zwei Milliarden Tonnen CO₂ werden der Atmosphäre jährlich durch Aufforstungen entnommen. Die Pflanzen nehmen das CO₂ auf und speichern es langfristig – im Boden und als stehender Baum oder auch bei Verwendung des Holzes als Baumaterial.

30
mal so viel CO₂ wie bisher muss im Jahr 2030 mit den neuartigen Methoden aus der Atmosphäre entnommen werden, wenn die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius oder weniger begrenzt werden soll.

Zum Vergleich: Die derzeitigen jährlichen globalen Kohlendioxid-Emissionen liegen ungefähr beim Zwanzigfachen dieses Werts. Aber der konventionelle Ansatz könnte sich auch positiv auf die Erhaltung von Biodiversität und die Trinkwasserversorgung auswirken. Zudem profitieren im Moment nachwachsende Wälder von der erhöhten CO₂-Konzentration in der Luft – unterm Strich könnten angepflanzte Bäume jährlich sogar mehr als sechs Milliarden Tonnen des Gases aufnehmen.

Doch dem Wachstum dieser Art der CO₂-Entsorgung sind Grenzen gesetzt, etwa mit der verfügbaren Fläche für Wälder und auch mit den durch den Klimawandel regional stark erhöhten Dürre- und Brandgefahren.

Es gibt weitere Ansätze, CO₂ einzufangen. Im Bericht werden sie unter dem Oberbegriff „neuartig“ zusammengefasst. Ihr Beitrag ist noch gering, derzeit 0,1 Prozent der jährlich entnommenen CO₂-Menge, und wird es vorerst bleiben. Mit Umsetzung aller bis zum Jahr 2025 anvisierten Projekte würden es zwölf Millionen Tonnen pro Jahr. Aber das soll sich ändern.

Plantagenholz könnte als Brennstoff für die Strom- und Wärmeproduktion eingesetzt und das freigesetzte CO₂ aus den Abgasen abgeschieden und gespeichert werden. Als Pflanzenkohle ausgebrachter Kohlenstoff kann Böden anreichern, ausgebrachtes Gesteinsmehl kann per Verwitterung CO₂ aus der Luft binden. Das Treibhausgas lässt sich auch mit technischen Mitteln direkt aus der Luft filtern.

Bis zum Jahr 2100 müssen zwischen 450 und 1100 Milliarden Tonnen entnommen werden, zeigen Szenarien, unter denen das Zwei-Grad-Ziel eingehalten wird. Zwar kommt es in diesen Szenarien zunächst darauf an, die Emissionen drastisch zu senken. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gewinnen die CDR-Ansätze aber an Bedeutung.

Daher müssten die Technologien jetzt angeschoben werden, damit sie ihren Part übernehmen können, sagen die Berichtsautoren, zu denen neben Minx auch Oliver Geden von der Deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik, Gregory Nemet von der University of Wisconsin-Madison und Stephen Smith von der University of Oxford gehören.

In Berechnungen, in denen der Temperaturanstieg zumindest langfristig unter 1,5 Grad Celsius gehalten wird, werden die jährlichen Emissionen bis 2030 um 14 bis 27 Milliarden Tonnen vermindert und die jährliche CDR-Leistung um etwa eine bis fünf Milliarden Tonnen erhöht. Um langfristig die Netto-Null der Emissionen halten zu können, steigt sie in den Szenarien auf zwischen sechs und 16 Milliarden Tonnen pro Jahr.

Hier klafft die CDR-Lücke. In ihren Selbstverpflichtungen haben die Regierungen bis 2030 nur etwa die Hälfte der nötigen Kohlendioxidentnahme festgehalten. Für das Jahr 2050, bei einer jährlich deutlich höheren CDR-Leistung, ist es ähnlich, wobei nur wenige Länder in ihrer langfristigen Planung CDR-Ziele angeben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Dabei ist die Vorgabe durch das Zwei-Grad-Ziel klar: CDR durch Aufforstungen müsste bis 2050 etwa verdoppelt werden, während der Beitrag der neuartigen Ansätze – bemessen an ihrer derzeit geringen Leistung – um etwa das 1300-fache gesteigert werden müsste. „Und das bei Emissionsminderungen, wie wir sie noch nie gesehen haben“, sagt Minx.

Es scheint, als stehen nun mindestens zwei weitere Elefanten im Raum. Da ist zum einen die politische Verantwortung – über das nächste Jahrzehnt hinaus und inklusive der notwendigen Investitionsentscheidungen. Regierungen und auch Unternehmen, die sich ein Netto-Null-Ziel gesetzt haben, müssen angeben können, in welchem Umfang sie CDR einplanen. „Wer darauf keine Antwort hat, dessen Netto-Null-Ziel kann man nicht ernst nehmen“, sagt Oliver Geden.

Der andere Elefant heißt Klimawandel. Zu dem Zeitpunkt, an dem die globale Gemeinschaft die Emissionen auf netto Null senkt, wird sich die Erde voraussichtlich um 1,5, wahrscheinlich deutlich mehr Grad Celsius erwärmt haben. Wenn die Menschheit nicht langfristig in diesem erwärmten Klima leben will, wird sie die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre wieder in Richtung des vorindustriellen Stands senken müssen. Aber das ist Stoff für künftige CDR-Reports.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false