zum Hauptinhalt
Seit über 20 Jahren sind wieder Wölfe in Deutschland heimisch und ihre Zahl wächst.

© imago images/Hohlfeld/Volker Hohlfeld via www.imago-images.de

Schnellabschuss oder Schnellschuss?: Forschende kritisieren Regierungsvorschlag zu „Problemwölfen“

In Deutschland sollen nach Nutztierrissen Wölfe schneller geschossen werden dürfen. Fachleute begrüßen die Regierungsinitiative, sehen jedoch erhebliche Schwächen.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) betrachtet ihren Vorschlag als gute Grundlage für ein Management von Wölfen (Canis lupus) in Deutschland, „bei dem Probleme schnell angegangen werden können, ohne die Regelungen des europäischen Artenschutzes zu verletzen.“ Forschende sehen in dem Vorschlag dagegen erst einen kleinen Schritt hin zu einem ausgewogenen Umgang mit den Raubtieren.

Künftig sollen Wölfe innerhalb von drei Wochen und einem Umkreis von einem Kilometer um den Ort eines Nutztierrisses kraft Ausnahmegenehmigung erlegt werden dürfen, wenn sie eine Herdenschutzmaßnahme, wie etwa geeignete Zäune, überwunden haben. Wölfe würden auf der Suche nach Beute häufig an Orte früherer Risse zurückkehren. Ob es sich bei erlegten Tieren tatsächlich um diejenigen handelt, die den Schaden verursacht haben, könnte nachträglich – und nicht wie bisher verpflichtend im Voraus – per DNA-Test überprüft werden.

Verantwortung abgeschoben

„Der Vorschlag von Frau Lemke ist alles andere als ein großer Wurf oder gar ein Paradigmenwechsel“, sagte Klaus Hackländer, Leiter des Instituts für Wildbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien. Er kritisierte gegenüber dem Science Media Center Deutschland, dass das Umweltministerium die Verantwortung an die Bundesländer weiterreicht, die den jetzt vorgeschlagenen Weg ohnehin schon umsetzen konnten. Dabei wäre Lemke dafür zuständig, Anpassungen des Bundesnaturschutzgesetzes und der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie zu verfolgen.

„Fakt ist, dass Entnahmen Einzelfallentscheidungen bleiben und nicht pauschal Wölfe reguliert werden können“, sagt Hackländer, der auch Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung ist. Wenn die Bundesländer dem Vorschlag folgen, wäre das im Sinne der Nutztierhalter und mit der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie vereinbar. „Von einer bundesweiten Lösung sind wir aber noch weit entfernt“, sagt Hackländer.

Dazu müsse in allen Bundesländern geklärt werden, wer die Tiere tötet. Vor allem müsse bundesweit festgelegt werden, wie viele dieser Einzelfälle es pro Jahr geben darf. „Dies sollte sich daran orientieren, dass der günstige Erhaltungszustand nicht verschlechtert wird“, fordert Hackländer.

Stephanie Kramer-Schadt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin fordert, die Wolfsbestände in Deutschland weiter wissenschaftlich zu untersuchen, um Effekte der Abschüsse erkennen zu können. „Auswirkungen werden erst nach ein bis zwei Generationen wirklich sichtbar“ erwartet die Ökologin. Nur mit Modellierungen auf Basis valider Daten könnten schädliche Entwicklungen vermieden werden.

„Politisches Handeln angeraten“

Heribert Hofer, Direktor des IZW, geht davon aus, dass die Zahl getöteter Wölfe steigen werde. Er verweist darauf, dass die Bestände der Wölfe in Deutschland und damit auch die Handlungsbedarfe sehr ungleich verteilt sind.

Die regionale Fokussierung des Vorschlags und das fortbestehende Verbot anlassloser Tötungen ließen hoffen, dass er im Einklang mit dem Artenschutz umgesetzt werden kann. Es müsse sich zeigen, ob tatsächlich nur Problemwölfe oder ganze Rudel und zufällig vorbeiziehende Tiere getötet werden. „Diese offenen Fragen zielen auf eine Nachschärfung der Vorgaben“, sagt Hofer.

184
Wolfsrudel leben in Deutschland, darüber hinaus Wolfspaare und Einzeltiere. Sowohl die Zahl der hier lebenden Tiere als auch die Anzahl der besetzten Territorien steigt.

Grundsätzlich begrüßt er den Vorschlag aus dem Bundesministerium. Das IZW stelle seit geraumer Zeit fest, dass mit dem Anwachsen des Wolfsbestandes auch die Zahl tot aufgefundener und auch illegal getöteter Wölfe steigt. „Unter anderem daraus wird ein Handlungsbedarf in einem klassischen Mensch-Wildtier-Konflikt ersichtlich“, sagt Hofer. „Daher ist ein politisches Handeln aus wissenschaftlicher Sicht nachvollziehbar und angeraten.“

Selektion und Angsteffekte

Die vorgeschlagene Maßnahme könne helfen, Konflikte zu entschärfen und die Akzeptanz für den Wolf bei Nutztierhaltern und der Bevölkerung in ländlichen Gebieten zu fördern, sagt Niko Balkenhol, Wildtierwissenschaftler an der Universität Göttingen. „Anhand der derzeitigen wissenschaftlichen Faktenlage ist ihr Erfolg jedoch nicht zwangsläufig gegeben.“

Wie sieht ein Problemwolf aus? Dieses Tier aus dem Wildpark Schorfheide ist keiner.
Wie sieht ein Problemwolf aus? Dieses Tier aus dem Wildpark Schorfheide ist keiner.

© imago/Hohlfeld/IMAGO/Volker Hohlfeld

Die Entnahme bestimmter einzelner Wölfe habe sich in der Praxis als schwierig erwiesen, da Wölfe nicht immer leicht voneinander zu unterscheiden sind. Selbst, wenn die Problemwölfe erlegt würden, könnten verbliebene Tiere Nutztiere reißen. „Demgegenüber steht jedoch ein möglicher Lerneffekt“, sagt Balkenhol. Wenn verbleibende Wölfe lernen, dass es gefährlich ist, solche Flächen aufzusuchen, sollten sie diese Flächen zukünftig meiden.

Zudem könne ein Selektionseffekt auftreten. Wenn durch die Bejagung vor allem forsche und mutige Individuen aus der Population entnommen werden, würde das den Fortpflanzungserfolg von scheuen und eher vorsichtigen Individuen fördern. „Diese menschliche Auslese könnte eventuell dazu führen, dass zukünftige Wolfspopulationen weniger konfliktträchtig sind.“

Im November soll die Umweltministerkonferenz der Länder einen Beschluss zu dem Vorschlag aus dem Umweltministerium fassen. Die Regelung könnte zur nächsten Weidesaison 2024 in Kraft treten. 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false