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Manche Schwangere erleben Übelkeit und Erbrechen in extremer Form. Laut einer neuen Studie ist ein einziges Hormon dafür verantwortlich. Was das für die Behandlung bedeutet.

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Hormon GDF15: Ursache für Schwangerschaftsübelkeit gefunden

Manche Schwangere erleben Übelkeit und Erbrechen in extremer Form. Laut einer neuen Studie ist ein einziges Hormon dafür verantwortlich. Was das für die Behandlung bedeutet.

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Gerade der Beginn einer Schwangerschaft stellt für viele Frauen eine üble Zeit dar. Etwa zwei Drittel der werdenden Mütter erleben in den ersten Wochen Übelkeit, die schon von Gerüchen ausgelöst werden kann. Sie müssen sich übergeben, vor allem am Morgen, und sind dadurch häufig erschöpft. Für die meisten verläuft die Schwangerschaftsübelkeit, auch Emesis gravidarum genannt, mild. Die Symptome ebben ab.

Doch bei bis zu drei Prozent der Schwangeren sind die Beschwerden meist im ersten Trimester so stark, dass ihnen und dem Kind Flüssigkeits- und Nährstoffmangel drohen. Die werdenden Mütter erbrechen dabei mehrmals am Tag, können stark an Gewicht verlieren und müssen im Krankenhaus behandelt werden. Bis vor kurzem lag die Ursache dieser sogenannten Hyperemesis gravidarum (HG) – auch als unstillbares Schwangerschaftserbrechen bezeichnet – im Dunkeln.

Die Ergebnisse könnten genutzt werden, um Behandlungen von und Schutzmaßnahmen gegen schwere Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft zu entwickeln.

Alice Hughes und Rachel Freathy, Forscherinnen an der englischen Universität Exeter

Nun berichtet ein internationales Forschungsteam in der Zeitschrift „Nature“, dass die Erkrankung häufig auf ein einziges Hormon namens GDF15 zurückgeht, dessen Konzentration im Blut während der Schwangerschaft deutlich steigt. Demnach sind die Beschwerden bei jenen Schwangeren besonders ausgeprägt, bei denen die GDF15-Werte im Vergleich zu vor der Schwangerschaft besonders stark zunehmen.

Detaillierte Untersuchungen

Schon 2018 hatte eine Genomanalyse von mehr als 50.000 Frauen ergeben, dass jene Frauen besonders gefährdet sind, die vor der Schwangerschaft nur geringe GDF15-Werte haben. Im Gegensatz dazu steigern während der Schwangerschaft hohe Konzentrationen des Hormons das HG-Risiko. Wie diese beiden Phänomene zusammenhängen, zeigt das Team um Marlena Fejzo von der University of Southern California in Los Angeles nun in einer Reihe von Untersuchungen detailliert auf.

So berichtet die Gruppe zunächst, dass der überwiegende Anteil von GDF15, dessen Werte in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft ansteigen, vom Fetus stammt – und nicht von der Mutter. Eine weitere Analyse ergab, dass jene Frauen, die genetisch bedingt vor der Schwangerschaft besonders wenig GDF15 bilden, besonders gefährdet sind, eine Hyperemesis gravidarum zu entwickeln. Umgekehrt schützt die angeborene Hämoglobinkrankheit ß-Thalassämie, die generell mit hohen GDF15-Konzentrationen einhergeht, vor schwerem Schwangerschaftserbrechen.

Dies erklärt das Team um Fejzo dadurch, dass jene Frauen, die schon an höhere Werte des Hormons im Körper gewöhnt sind, weniger sensibel auf den Anstieg während der Schwangerschaft reagieren. Im Gegensatz dazu leiden jene Schwangere, die vorher nur geringe Werte des Hormons aufwiesen, besonders stark. Dass eine Gewöhnung an hohe Hormonwerte tatsächlich vor akuten Beschwerden schützen kann, zeigte die Gruppe an Mäusen: Wurden die Tiere an höhere Konzentrationen von GDF15 gewöhnt, reagierten sie weniger heftig auf einen plötzlichen Anstieg des Hormons.

Wird es Medikamente geben?

„Die Ergebnisse liefern eine wissenschaftliche Grundlage, die genutzt werden könnte, um Behandlungen von und Schutzmaßnahmen gegen schwere Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft zu entwickeln“, schreiben Alice Hughes und Rachel Freathy von der englischen Universität Exeter in einem „Nature“-Kommentar. Patientinnen könnten eines Tages Medikamente einnehmen, die die Wirkung des Hormons im Gehirn blockieren. Solche Medikamente werden in Studien bereits getestet. Möglicherweise lässt sich die Erkrankung sogar therapeutisch ganz verhindern, kommentieren die beiden Forscherinnen.

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Frauen, die beispielsweise in ihrer ersten Schwangerschaft unter starker Übelkeit und Erbrechen gelitten haben, könnten vor einer weiteren geplanten Schwangerschaft niedrigen Dosen des Hormons ausgesetzt werden.  Das könnte die typischen Symptome verhindern. Vor einer Anwendung müssten solche Effekte jedoch in Studien an Menschen nachgewiesen werden, betonen die Expertinnen.

Auch Sven Kehl von der Frauenklinik des Universitätsklinikums Erlangen spricht von einer Studie zu einem wichtigen Thema. „Der gefundene Zusammenhang ist sehr interessant“, sagt der Experte, der nicht an der Studie beteiligt war. Wichtig seien nun Studien dazu, ob sich dieses Wissen sowohl zur Prävention als auch zur Therapie nutzen lasse.

Studienautorin mit Erfahrung

Die biologische Erklärung hinter der extremen Form der Schwangerschaftsübelkeit könnte in jedem Fall dazu beitragen, dass die werdenden Mütter ernst genommen werden. Studienautorin Marlena Fejzo litt in ihrer zweiten Schwangerschaft im Jahr 1999 selbst unter den Symptomen. In einem Interview mit der „New York Times“ berichtete sie, dass sie weder essen noch trinken konnte, ohne sich zu übergeben.

Sie habe schnell an Gewicht verloren und wurde so schwach, dass sie kaum stehen oder gehen konnte. Ihr Arzt habe gemeint, sie würde ihre Symptome übertreiben, um Aufmerksamkeit zu erregen. Sie wurde schließlich ins Krankenhaus eingeliefert und erlitt in der 15. Woche eine Fehlgeburt, erzählte Fejzo. Diese Erfahrung habe sie dazu angetrieben, die Krankheit Hyperemesis gravidarum zu erforschen.

Hughes und Freathy schreiben, möglicherweise könnten neben GDF15 auch andere Faktoren an Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft beteiligt sein. Zudem gelte es zu klären, welche evolutionären Vorteile der gefundene Mechanismus während der Schwangerschaft biete. „Eine Theorie besagt, dass dieser Mechanismus den sich entwickelnden Fetus vor Vergiftung schützt“, nennen sie eine Möglichkeit.

Auf die mögliche Funktion des Hormons geht auch das Team um Fejzo ein. GDF15 scheine sich vor allem als Signal dafür entwickelt zu haben, dem Gehirn Informationen über eine Reihe körperlicher Stressfaktoren zu übermitteln, um den weiteren Kontakt mit manchen Lebensmitteln und Giftstoffen zu vermeiden.

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