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Coli-Bakterien sind oft besser als ihr Ruf. Im menschlichen Darm gibt es viele davon, und sie sind offenbar wichtige Trainingspartner für das frühkindliche Immunsystem

© Reuters

Unterschiedliche Abwehrkräfte je nach Geburtsart: Früh übt sich das Immunsystem

Kaiserschnitte sind OPs unter sterilen Bedingungen. Für das Neugeborene aber sind genau diese nicht ideal.

Kreißsäle sind normalerweis sehr, sehr saubere, hygienische Orte. Trotzdem werden dort massiv Keime übertragen, zumindest bei normalen, also vaginalen Geburten. Denn bei der Passage durch den Geburtskanal wird das Neugeborene mit Mikroorganismen, die in der Scheide ansässig sind und die Frau etwa durch die Produktion von Milchsäure vor dem Eindringen problematischer Keime schützen, überzogen. Über Mund und After dringen sie auch in das Magendarmsystem des kleinen Körpers ein.

Ein Problem ist das normalerweise nicht. Im Gegenteil: Fällt dieser frühe Keimtransfer weg – was sehr häufig der Fall ist, dann nämlich, wenn per Kaiserschnitt entbunden wird - hat dies offenbar einen jedenfalls nicht eben positiven Effekt auf die Entwicklung des frühkindlichem Immunsystems. Das bestätigt jetzt eine am Dienstag in „Nature Communications“ erschienene Studie.

Schnitt oder kein Schnitt

Ein Team von Kinderimmunologen des Uniklinikum in Utrecht um Emma de Koff untersuchte die Immunantworten von insgesamt 120 Säuglingen auf Impfungen gegen Pneumo- und Meningokokken. Die Forschenden verglichen per Kaiserschnitt oder durch vaginale Geburt zur Welt gekommene Babys bezüglich ihrer im Speichel nachweisbaren Antikörperreaktionen und analysierten zusätzlich die Zusammensetzung von deren - früher „Darmflora“ genanntem - Mikrobiom.

Welche Reaktion eine Impfung bei einem Kind auslöst, hängt auch von den Darmbakterien ab.

© imago images/photothek

Ergebnis: Im Mittel zeigten vaginal geborene Kinder eine deutlich robustere Immunantwort auf die Impfungen. Diese Reaktion der körpereigenen Abwehr ging wiederum mit einer vergleichsweise hohen Dichte der Bakteriengattungen und -spezies Bifidobacterium und Escherichia coli einher.

Dass das Immunsystem, um richtig reagieren zu können, mikrobielle Trainingspartner braucht, dafür gibt es schon seit langem die verschiedensten Hinweise.

Folgen der sterilen Geburt

Ob auch bei geringerer Immunantwort trotzdem ein ausreichender Impfschutz besteht, war nicht Gegenstand der Untersuchung. Die Impfungen wurden vielmehr als standardisierte Methode einer Herausforderung des Immunsystems ausgenutzt, um die Frage nach dem tatsächlichen Einfluss der Geburtsart auf die Funktion des Abwehrsystems überhaupt systematisch angehen zu können.

Auch, ob und inwiefern Kaiserschnittgeburten tatsächlich die Gesundheit des Kindes und später des erwachsenen Menschen in problematischer Weise beeinflussen können, beantwortet die Studie nicht. Allerdings gibt es aus früheren Untersuchungen Hinweise etwa darauf, dass die Entwicklung von Allergien, Asthma oder auch kleineren kognitiv-mentalen Einschränkungen wahrscheinlicher ist.

Meist gute Gründe für den Kaiserschnitt

Allerdings können hier auch andere Faktoren eine Rolle spielen, etwa der, dass ältere Mütter oder solche mit Vorerkrankungen besonders häufig per Kaiserschnitt entbinden. Und dramatische Auswirkungen sind unwahrscheinlich. Denn etwa in Deutschland kommen derzeit ungefähr ein Drittel aller Kinder per Kaiserschnitt zur Welt. Wären viele von ihnen massiv in ihrer Gesundheit beeinträchtigt, wäre dies längst aufgefallen.

Der Oberarzt der Erlanger (Archivbild von 2012) Frauenklinik, Mathias Winkler, hält im Kreißsaal der Frauenklinik in Erlangen (Bayern) ein Baby in den Händen, das per Kaiserschnitt zur Welt kam.

© picture alliance / dpa

Maria Vehreschild, Professorin für Infektiologie am Universitätsklinikum Frankfurt, sagte dem Science Media Center Deutschland, die Studie sei „sehr relevant, da die Zahl der Kaiserschnitte in den Industrienationen sehr hoch ist.“ Die meisten Kaiserschnitte heute sind medizinisch notwendig, etwa wenn das Kind in Steißlage liegt oder sich die Hertztöne beim Versuch der Vaginalgeburt verschlechtern.

Die Studie ist sehr relevant, da die Zahl der Kaiserschnitte in den Industrienationen sehr hoch ist.

Maria Vehreschild, Professorin für Infektiologie am Universitätsklinikum Frankfurt

Deshalb sei es wichtig, so Vehreschild, Methoden zu entwickeln, auch per Kaiserschnitt geborene Kinder adäquat mit den richtigen Mikroben auszustatten. Die frühe Gabe von Probiotika gilt als einen Möglichkeit. Eine bereits seit Jahren getestete Methode hierfür ist es, neugeborene mit Vaginalsekret der Mutter einzureiben. Klare Ergebnisse, ob dies einen vergleichbaren Effekt wie der normale Geburtsvorgang hat, gibt es bislang aber nicht, das Verfahren scheint aber keinen besonderen Gefahren zu bergen.

Ein Problem der Untersuchung sei, ähnlich wie bei vielen anderen Forschungsergebnissen in diesem Bereich, die relativ geringe Anzahl der untersuchten Personen, sagt Claudius Meyer, Pädiatrischer Immunologe am Uniklinikum Mainz.

Das schränke „die Aussagekraft stark ein, insbesondere vor dem Hintergrund der erheblichen Komplexität des Mikrobioms.“ Aktuell sei der Blick auf das Mikrobiom auch insgesamt „recht einseitig“, da ausschließlich Bakterien betrachtet würden. Viren, Pilze und weitere Mikroorganismen dagegen blieben „ausgeblendet, ohne zu wissen, welchen Einfluss diese nicht beachteten Mitglieder des Mikrobioms“ hätten.

Eine weitere offene Frage ist die nach den konkreten Implikationen für Impfungen. Michael Zemlin, Geburtsmediziner am Uniklinikum des Saarlandes in Homburg, erhofft sich für die Zukunft noch deutlich mehr Detailverständnis der Zusammenhänge zwischen Mikrobiom und Immunantwort. Dies könne dann Wege zur Entwicklung neuer biologischer Hilfsstoffe ermöglichen, „die Impfstoffe noch wirksamer machen.“

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