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Durch Abholzung im Amazonasgebiet werden weiterhin natürliche Lebensräume vernichtet.

© dpa/Fernando Souza

Wasser, Luft, Nährstoffe, Natur und Klima: Menschheit lebt über gerechte Grenzen des Erdsystems

Planetare Grenzen wurden bislang vor allem an der Belastbarkeit von Stoffkreisläufen festgemacht. Mit der Dimension „Gerechtigkeit“ müssen sie jedoch enger gesetzt werden.

Das Wohlergehen der Menschheit ist an die Stabilität und Widerstandsfähigkeit von Klima, Wasser- und Stoffkreisläufen sowie des Lebens auf der Erde geknüpft, sagt ein internationales Forschungsteam. Doch die gegenseitige Abhängigkeit werde nicht ausreichend anerkannt und Belastungsgrenzen in mehreren Bereichen des Erdsystems überschritten.

In der Fachzeitschrift „Nature“ stellen die Fachleute jetzt ein Konzept von Grenzen vor, innerhalb derer die Menschheit das Erdsystem beanspruchen könnte. Es beruht auf der Auswertung wissenschaftlicher Literatur und Modellierungen und bezieht erstmals die Dimension der Gerechtigkeit ein, die etwa darin besteht, Schaden für Menschen durch den Wandel des Erdsystems abzuwenden, Zugang zu überlebenswichtigen Gütern zu gewährleisten und – wo das nicht gegeben ist – die Wirtschaftsweise gerecht umzugestalten.

„Sicher“ ist nicht gleich „gerecht“

„Wir können keinen biophysikalisch sicheren Planeten ohne Gerechtigkeit haben“, sagt die Co-Autorin Joyeeta Gupta, Professorin für Umwelt und Entwicklung im globalen Süden an der Universität Amsterdam. Die Ergebnisse der Analysen zeigten, dass Gerechtigkeitserwägungen zu engeren planetaren Grenzen für die Menschheit führen als Sicherheitsüberlegungen.

Sichere Grenzen einzuhalten, würde für stabile und widerstandsfähige Bedingungen auf der Erde sorgen. Als Referenzpunkt für einen gesunden Planeten diente dem Team ein zwischeneiszeitliches, dem Holozän ähnliches Erdsystem, das von ausgleichenden Rückkopplungen beherrscht wird, die Störungen abfedern und dämpfen.

Gerechte Grenzen einzuhalten, würde darüber hinaus Gefährdungen von Menschen durch schwerwiegende Schäden minimieren. Dazu gehören etwa der Verlust von Menschenleben, Lebensgrundlagen oder Einkommen, Vertreibung, oder der Verlust von Wasser oder Ernährungssicherheit.

„Unsere sicheren und gerechten Grenzen können bei der Zielsetzung Orientierung geben, müssen aber auch durch gerechte Transformationsprozesse verwirklicht werden, die den Menschen ein Mindestmaß an Zugang zu Ressourcen sichern“, sagt Gupta.

Im roten Bereich

In den Bereichen der Nutzung von Stickstoff, Phosphor, Oberflächen- und Grundwasser sowie der Ausdehnung natürlicher Lebensräume und der Gesundheit von Ökosystemen bewerten die Fachleute den sicheren Rahmen als überschritten. Auch das Klima überschreitet mit mehr als einem Grad Erwärmung bereits die als sicher und gerecht beurteilte Grenze, die unterhalb des Ziels der Vereinten Nationen liegt, die Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Luftverschmutzung ist der achte globale Bereich, in dem die Überschreitungen jedoch regional begrenzt sind.

In orangefarben und rot gefärbten Gebieten werden gleich mehrere Limits des Erdsystems überschritten.

© Quelle: FutureEarth / Earth Commission / Lade et al., 2023

„Die Ergebnisse unserer Analyse sind beunruhigend“, sagt Leitautor Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Ohne zügigen Wandel könnten irreversible Kipppunkte erreicht und weitreichende Auswirkungen auf das menschliche Wohlergehen die Folge sein. „Dieses Szenario sollte unbedingt vermieden werden, wenn wir eine sichere und gerechte Zukunft für heutige und künftige Generationen sichern wollen“, so Rockström.

„Ein Aufruf zum Handeln“

„Die Autoren definieren für acht Bereiche Grenzen und zeigen, dass diese in sieben Fällen schon überschritten sind“, sagt Daniela Jacob, Direktorin des Climate Service Centers Germany in Hamburg. Dabei würden die Grenzen so definiert, dass zum einen die Resilienz und Stabilität des Erdsystems erhalten bleibt und zum anderen signifikante Folgeschäden für die Menschheit vermieden oder minimiert werden, so Jacob gegenüber dem Science Media Center Deutschland. Das sei ein hervorragendes Konzept, um nun in den verschiedenen Regionen, Nationen und Sektoren Handlungsoptionen zu entwickeln, die dieser Methode folgen. „Und ein klarer Aufruf zum Handeln“, sagt Jacob.

Bei der Beurteilung Gerechtigkeitskriterien einzubeziehen sei gegenüber dem bisherigen Konzept planetarer Grenzen neu und „ein wichtiger und sinnvoller Schritt“, sagt Helmut Haberl von der Universität für Bodenkultur Wien. In einer globalen Studie sei es angesichts der äußerst unterschiedlichen sozial-ökologischen Bedingungen aber auch sehr komplex. Viele wichtige Gesichtspunkte vor allem im Hinblick auf Verteilungsungerechtigkeit seien bestenfalls ansatzweise gelöst. „Dies liegt auch an der sehr unbefriedigenden Datenlage in diesem Bereich“, erklärt Haberl.

„Diese neuen Erkenntnisse können als Grundlage für die Entwicklung von wissenschaftlich begründeten Zielen dienen“, resümiert Rockström. Diese können von Städten, Unternehmen und Ländern übernommen werden, um die systemischen globalen Krisen des Klimawandels, des Verlusts der biologischen Vielfalt, der Nährstoffüberlastung, der übermäßigen Nutzung von Wasser und der Luftverschmutzung zu bewältigen.

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