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Schwefelmollys verhalten sich im Schwarm ähnlich wie Nervenzellen im Gehirn.

© Juliane Lukas

Wildwechsel: Die nicht immer kluge Voraussicht im Schwarm

Wenn man etwas über den Menschen erfahren will, lohnt der Blick aufs Tier, auch was soziale Verhaltensweisen angeht. Homo sapiens erweist sich als ähnlich ansteckbar wie Fische.

Eine Kolumne von Patrick Eickemeier

Wie schaffen es Schwärme von abertausenden Fischen zu schwimmen wie ein riesiges Individuum? Die Forschungsgruppe „Schwarmverhalten“ am Berliner Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat mit Forschenden des Exzellenzclusters „Science of Intelligence“ der Humboldt-Universität Berlin untersucht, wie die Tiere sich synchron bewegen und auch einträchtig die Bewegungsrichtung ändern können.

Sie fanden, dass Fische Aktionen ihrer Artgenossen antizipieren. Sie sehen vorher, wie schnell und wohin sie schwimmen werden. Es ist keine übernatürliche Gabe, sondern vor allem genaue Beobachtung. Menschen können das auch. Ballsportler etwa nutzen Körperhaltung oder Bewegungen ihrer Mitspieler, um die Flugkurve des Balls vorherzusagen, noch bevor er geworfen oder getreten wurde. Die angeborene Fähigkeit wird durch Training verbessert.

Manchmal lassen wir uns aber auch schlicht hinreißen, sogar zu verbotenen Dingen – und Gewalttaten. Zugunsten der sozialen Konformität bleiben Menschen zum Beispiel neben anderen an einer roten Ampel stehen, brechen die Regel aber auch kollektiv, weil andere die Straße eben auch schon überqueren.

Noch stehen sie. Das kann sich aber ändern, nicht nur bei Grün.
Noch stehen sie. Das kann sich aber ändern, nicht nur bei Grün.

© Getty Images/Alexander Spatari

Das ist unbewusste, automatische Nachahmung, aber nur zum Teil. Dazu kommt Ablenkung. An der roten Ampel verlagern wir die Aufmerksamkeit von der Regel „Bei Rot stehen bleiben!“ auf das Verhalten der trotzdem Losgehenden. Der dritte Faktor ist eine Änderung der Bewertung: Wir deuten die Situation aufgrund des Verhaltens der Gruppe um.

Hier tut sich der Abgrund auf – beim Menschen, nicht beim Fisch. „Aktueller wissenschaftlicher Konsens ist, dass die situative Gruppendynamik für den Ausbruch von Gewalt zumindest notwendig und manchmal sogar ausreichend ist“, sagt Jens Krause vom IGB. Sobald ein bestimmter Anteil von Individuen in der Gruppe ein Verhalten zeigt, wird es von anderen übernommen. Unter Menschen können das auch Gewalttaten sein. Beispiele gibt es viel zu viele.

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