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Charlotte Kuhrt ist gefragtes Curvy-Model und Beauty-Bloggerin.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Aktiv gegen diskriminierende Schönheitsideale: Der liebevolle Blick auf sich selbst

Model Charlotte Kuhrt setzt sich für Bodypositivity ein. Dafür musste sie sich erst selbst finden. Ab März startet ihr Podcast „Fette Gedanken“.

Von Sarah Borufka

Charlotte Kuhrt posiert am Fenster ihrer hellen Altbauwohnung in Charlottenburg für die Fotografin. Die 29-Jährige bewegt sich anmutig und sicher. Eine klassische Schönheit: herzförmiges Gesicht, volle Lippen, strahlend blaue Augen.

Doch ehe sie als Plus-Size-Model so selbstverständlich vor der Kamera posieren konnte, haderte Kuhrt lange mit ihrem Aussehen. Damit das anderen Menschen nicht auch so gehen muss, setzt sie sich mittlerweile als Aktivistin für „Body Positivity“ ein, eine Bewegung, die sich gegen diskriminierende Schönheitsideale wendet.

In ihrer Jugend war ihr Körper alles, nur nicht nebensächlich, erzählt Charlotte Kuhrt.
In ihrer Jugend war ihr Körper alles, nur nicht nebensächlich, erzählt Charlotte Kuhrt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Am 1. März startet Kuhrts Podcast „Fette Gedanken“, in dem sie sich in zehn Folgen dem Thema Selbstliebe widmen will. Kuhrt spricht über ihre Erfahrungen mit Diäten, beim Sex und in der Modebranche, und in jeder Folge bekommen die Hörer:innen eine Aufgabe mit auf den Weg. Der Podcast ist auch eine Art Selbstliebe-Kurs. Kuhrt will Menschen mit mehr Gewicht helfen, einen liebevolleren Blick auf sich zu finden, und bei Schlanken für mehr Verständnis werben, denn vielen sei nicht klar, dass Diskriminierung für Dicke immer noch Alltag ist. Schon der Titel des Podcasts ist eine Botschaft. „Sprache hat eine unglaubliche Macht. Wenn ich mich als fett bezeichne, dann kann mich keiner kränken, indem er mich fett nennt“, sagt sie. Auch „übergewichtig“ sei wertend, sie bevorzugt deshalb den Begriff „mehrgewichtig“.

Andere Mädchen in meinem Alter trugen Hüfthosen und Bikinis, das gab es in meiner Größe gar nicht.

Charlotte Kuhrt

Als kleines Mädchen ist Charlotte Kuhrt, die Verwandte und Freunde „Lotti“ nennen, die Kleinste und Dünnste in ihrer Klasse. Sie wächst mit zwei älteren Brüdern und einer alleinerziehenden Mutter in Charlottenburg auf. Kuhrt eifert den Jungs nach: Fahren sie BMX-Räder, will sie es auch, klettern sie auf Bäume, eilt sie hinterher. Eine Kindheit voller Toben, mit vielen Freiheiten. „Dass Mädchen still zu sein haben, wurde mir nie vermittelt. Meine Mutter hat mir beigebracht, dass ich ruhig den Mund aufmachen soll, wenn mir etwas nicht passt“, sagt sie.

Die Mutter ist athletisch, spielt gerne Tennis, die Brüder Volleyball. Kuhrt ist die Einzige in ihrer Familie, die mit Sport nichts anfangen kann. Sie malt und bastelt lieber. Mit der Pubertät wird aus der zarten Lotti eine Heranwachsende, die Kleidergröße 42 trägt. „Ich wurde nicht gehänselt“, sagt sie. „Aber es gibt wirksame Mechanismen, die einem vermitteln: Das ist nicht für dich, du gehörst nicht dazu. Andere Mädchen in meinem Alter trugen Hüfthosen und Bikinis, das gab es in meiner Größe gar nicht.“

Charlotte Kuhrt will auf Instagram auch dünne Menschen ansprechen.
Charlotte Kuhrt will auf Instagram auch dünne Menschen ansprechen.

© Doris Spiekermann-Klaas

In den Nullerjahren, ihrer Jugend, sind Saftkuren angesagt, auch Kuhrt macht diverse Trend-Diäten. „Meine Mutter hat mich aus Liebe dabei unterstützt. Trotzdem muss ich heute sagen, dass es der falsche Weg war. Ich hätte mir gewünscht, zu hören, dass ich mich auch mit mehr Gewicht lieben und schön sein kann“, sagt sie. Fast jeder dicke Mensch trage einen ähnlichen Schmerz mit sich herum. Kuhrt bekommt Komplimente, wenn sie abnimmt, und hört Sprüche, wenn sie zunimmt. Ihr Körper ist alles, nur nicht nebensächlich, als sei es völlig selbstverständlich, dass er immerzu kommentiert wird.

Selbst vermeintlich perfekte Frauenkörper werden gnadenlos bewertet

Mit 17 bekommt sie ein Stipendium für die Berliner „Living Faces“-Akademie und verlässt die Schule nach der zwölften Klasse, um eine Ausbildung zur Visagistin zu machen. Zwei Jahre später hat sie ihren ersten festen Job, in dem schlanke Körper eine wichtige Rolle spielen: Für ein Berliner Mode-Versandhaus bucht und schminkt Kuhrt Models. Sie beobachtet, wie gnadenlos selbst vermeintlich perfekte Frauenkörper bewertet werden. „Wenn man hört, dass eine Hüfte mit 91 Zentimetern zu üppig ist, und selbst 20 Zentimeter darüberliegt, dann macht das etwas mit einem“, sagt Kuhrt.

Als sie gefragt wurde, ob sie Plus-Size-Model werden wolle, hatte sie einen Aha-Moment.
Als sie gefragt wurde, ob sie Plus-Size-Model werden wolle, hatte sie einen Aha-Moment.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wieder dreht sich alles ums Abnehmen. Kuhrt ist unglücklich. Mit 22 Jahren wagt sie einen Schritt in Richtung Befreiung, kündigt und macht sich selbstständig. Sie arbeitet weiter bei Modeproduktionen, aber auch in einem Kosmetikgeschäft, wo sie ganz normale Frauen schminkt. Als ein männliches Model sie schließlich bei einem Job fragt, ob sie schon einmal darüber nachgedacht habe, Plus-Size-Model zu werden, hat sie einen Aha-Moment. „Da habe ich mich das erste Mal bewusst schön gefühlt“, sagt sie. Aber als sie bei einer Agentur für sogenannte Curvy-Models vorspricht, geht es schon wieder um ihr Gewicht. „Es hieß dann, meine Hüfte sei für Aufträge von großen Kunden zu breit“, sagt sie.

Es hieß dann, meine Hüfte sei für Aufträge von großen Kunden zu breit.

Charlotte Kuhrt

Zu Selbstliebe findet Kuhrt ausgerechnet über Instagram, eine Plattform, die man eher mit Schlankheitswahn verbindet. Doch seit Jahren schon wächst hier eine Bewegung von Frauen, die deutlich mehr wiegen, als ein in die Jahre gekommenes Schönheitsideal vorschreibt, und die ihre Körper stolz zeigen. Zu den Bekanntesten zählen etwa die Isländerin Isold Halldorudottir oder das US-amerikanische Model Ashley Graham. „Ich sah viele Frauen, die mir ähnelten und die ich schön fand. Ich begriff, dass ich mich dann auch schön finden kann. Und wenn mir das gelingt, nach vielen Jahren, in denen ich mein Aussehen gar nicht mochte – dann kann ich auch andere dazu inspirieren“, sagt sie.

Auf Instagram gibt es seit Jahren immer mehr Frauen, die dem Schlankheitswahn entgegenwirken.
Auf Instagram gibt es seit Jahren immer mehr Frauen, die dem Schlankheitswahn entgegenwirken.

© Doris Spiekermann-Klaas

Kuhrt beginnt mit Mitte 20, sich ihrem Schmerz zu stellen. Sie führt ein langes Gespräch mit ihrer Mutter und erklärt, warum sie sich von ihr Akzeptanz statt Hilfe bei Diätkuren gewünscht hätte. Die beiden bringt das noch näher zusammen. Kuhrt hört auf, sich zu wiegen, und beginnt mit „Intuitive Eating“, einer Form der Ernährung, die erstmals in den Achtzigerjahren in den USA propagiert wurde. Sie setzt auf essen ohne Verbote. Das soll langfristig dazu führen, dass man eine gesunde Beziehung zu seinem Essverhalten findet.

Kuhrt möchte auch dünne Menschen ansprechen

Kuhrts Lebensstil, ihre Sicht auf die Dinge, begeistern auch andere. Mittlerweile folgen ihr auf Instagram knapp 180.000 Abonnent:innen. Ihre Posts drehen sich um Mode, Yoga, Selbstliebe und Body-Positivity. Kuhrt will auch dünne Menschen darauf aufmerksam machen, dass Schlanksein mit Privilegien einhergeht. „Zahlreiche Studien zeigen, dass Menschen mit Mehrgewicht im Job diskriminiert werden, sie verdienen weniger und haben es schwerer, Karriere zu machen“, sagt sie.

Eine Frau schrieb, dass sie Angst hatte, ihren Job zu kündigen, weil sie glaubte, dass sie aufgrund ihres Gewichts keinen anderen findet.

Charlotte Kuhrt

Bodyshaming, also das Beleidigen dicker Menschen, sei ein globales Problem. „Aber in Berlin sind die Menschen sehr offen, die Geschichten anderer zu hören, die Stadt ist sehr international geworden und es treffen viele Kreative aufeinander. Auch hier gibt es Diskriminierung Mehrgewichtiger bei der Arbeit, aber die Berliner sind recht unerschrocken, und so kommt schnell eine Diskussion zustande“, sagt sie. Die eine Strategie für doofe Sprüche bezüglich ihrer Figur hat sie nicht, das kommt auch auf den Kontext und ihre Laune an. „Aber ich kann damit mittlerweile gut umgehen.“

Ihre Karriere hat nun Fahrt aufgenommen: Aus Charlotte Kuhrt ist eine Marke geworden, sie ist Model und Influencerin. Ihre Kund:innen kann sie sich aussuchen, es stört nicht, dass sie Größe 48 trägt. „Heute werde ich häufiger gebucht als vor sechs Jahren mit Kleidergröße 44“, sagt Kuhrt. Und, viel wichtiger: Sie ist glücklicher.

In Posts zeigt sie sich auch in Unterwäsche und bauchfrei beim Yoga. Kuhrt erzählt, dass ihr viele Frauen schreiben, dass sie das inspiriere, sich mehr zu trauen. Sichtbarkeit sei wichtig, sagt Kuhrt, nur so änderten sich Sehgewohnheiten und Schönheitsideale. „Eine Frau schrieb, dass sie Angst hatte, ihren Job zu kündigen, weil sie glaubte, dass sie aufgrund ihres Gewichts keinen anderen findet. Und dass sie sich getraut hat, weil mein Selbstbewusstsein sie inspiriert habe“, sagt Kuhrt. Genau das will sie erreichen. Und jetzt, wo sie sich nicht mehr mit ihrem Gewicht aufhält, kann sie nichts aufhalten.

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